Job:Die Frauenquote bringt bisher wenig

BSR übernimmt Reinigung

Die Vorstandsvorsitzende der Berliner Stadtreinigung, Tanja Wielgoß, ist auch Chefin von inzwischen mehr als 200 Frauen im Mülldienst.

(Foto: Gregor Fischer/dpa)
  • Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt in einer aktuellen Studie, dass die Frauenquote in Aufsichtsräten erste Auswirkungen hat.
  • Die Vorstände aber blieben "Männerdomänen", sagen die Forscher.
  • Und: Tatsächlich sei die Entwicklung in einigen Firmen sogar rückläufig.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Die Zukunft der Wirtschaft befindet sich in der Berliner Müllabfuhr. Sie ist weiblich. Vor zehn Jahren wurde erstmals in der Geschichte der Berliner Stadtreinigungsbetriebe eine Frau zu ihrer Vorstandsvorsitzenden. Drei Jahre später stellte der öffentlich-rechtliche Betrieb ein: 60 männliche Mitarbeiter und 60 Müllfrauen.

Ihre Nachfolgerin, die Managerin Tanja Wielgoß, übernahm 2014 ein zertifiziertes "familienfreundliches Unternehmen" mit mittlerweile mehr als 200 Frauen im Straßenreinigungsdienst. Sie selbst wurde von einer Unternehmensberatung geholt. In ihren bisherigen Jobs, sagt Wielgoß, habe es meist ein Jahr gedauert, um sich als Frau in einer Führungsposition zu beweisen. Diesmal konnte sie direkt arbeiten. "Eine total neue Erfahrung", sagt sie.

Damit ist in der Berliner Straßenreinigung geschehen, was Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) vor der Einführung ihrer festen Geschlechterquote in Aufsichtsräten einmal einen "Kulturwandel" nannte: "Sobald es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, werden gleiche Chancen in Unternehmen und Verwaltungen selbstverständlicher", sagte sie vor der Verabschiedung ihres Gesetzes. Eine schöne Vorstellung. Bloß, während die großen Dax-Unternehmen und Staatsbetriebe öffentlichkeitswirksam an ihrer Frauenförderung arbeiten, reagiert der Rest der deutschen Wirtschaft nur sehr langsam.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt in einer aktuellen Studie, dass Schwesigs Frauenquote in Aufsichtsräten zwar erste Auswirkungen hat - die Vorstände aber blieben "Männerdomänen", sagt die DIW-Forscherin Elke Holst. In den Spitzengremien großer Unternehmen in Deutschland seien Frauen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Das DIW hatte im Zeitraum von November 2016 bis zum 2. Januar Aufsichtsräte und Vorstände von mehr als 500 Unternehmen untersucht. Anfang des vergangenen Jahres war die feste Quotenregelung für Aufsichtsräte von börsennotierten und voll mitbestimmten Gesellschaften in Kraft getreten. Sie betrifft im Augenblick 106 Unternehmen, bei denen die Quote mittlerweile bei durchschnittlich mehr als 27 Prozent liege, heißt es in der Studie.

Auch in den 200 umsatzstärksten Unternehmen des Landes waren Frauen zu gut 23 Prozent in den Aufsichtsräten vertreten. In den Vorständen dagegen lag der Anteil nur bei etwa acht Prozent. Würde sich die Entwicklung der vergangenen Jahre im selben Tempo fortsetzen, würde es noch mehr als 60 Jahre dauern, bis die Vorstände gleichmäßig besetzt wären, sagen die DIW-Forscher - und dies sei noch optimistisch. Tatsächlich sei die Entwicklung in einigen Firmen sogar rückläufig.

Unternehmen zeigen wenig Eigeninitiative

Gerade Betriebe, an denen der Bund beteiligt ist, drohten derzeit "ihre Vorbildfunktion einzubüßen". Auch der Bankensektor stehe dem DIW zufolge besonders schlecht da. Bei den 100 größten Banken des Landes lag der Frauenanteil im Jahr 2016 bei gut 21 Prozent und entwickelte sich dabei nicht gegenüber dem Anteil im Vorjahr. Auch in denjenigen Unternehmen, deren Aufsichtsräte der Quote unterliegen, sei der Anstieg des Anteils in den Vorständen marginal. Vielmehr stellten die Forscher fest, dass sich hier eine neue gläserne Decke entwickelt. In Vorständen wachse der Frauenanteil fast nie über ein Viertel hinaus. In den Aufsichtsräten überschreite er selten die 30 Prozent.

So zeigt sich, dass die Unternehmen die gesetzlichen Quoten zwar einhalten, aber darüber hinaus wenig Eigeninitiative zeigen. Im Bankensektor zeige sich im niedrigen Frauenanteil laut Forscherin Holst auch eine Spätfolge der Finanzkrise. Damals hätten viele männliche Banker ihren Job verloren und neue Positionen ergriffen. Für weibliche Neubesetzungen auf diesem Führungskräfteniveau sei da zur Zeit noch wenig Platz.

Eine wichtige Ursache für die geringe Zahl der Spitzenfrauen seien die nach wie vor großen Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das DIW empfiehlt, innerbetriebliche Strukturen zu schaffen, die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen verbessern, indem sie mehr Raum für Familie schaffen. Unternehmen wären "gut beraten", heißt es von dem Institut, "ihren Beschäftigten mehr Zeitsouveränität zuzugestehen und eine zeitweise Arbeitszeitreduktion nicht als Zeichen für geringe Karriereambitionen zu deuten". Sonst würde die deutsche Wirtschaft Gefahr laufen, hochqualifizierte Talente zu verlieren und Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen. "Maßnahmen, die den Frauenanteil erhöhen, sollten somit im ureigenen Interesse der Unternehmen sein", sagt Forscherin Holst.

Von der Politik fordert das DIW außerdem eine Rahmensetzung "aus einem Guss". Familienpolitische Maßnahmen wie Partnermonate oder Elterngeld passten zum Beispiel nicht zum Konzept vom Ehegattensplitting, das ein traditionelles Rollenbild fortführe. Aus dem Bundesfamilienministerium heißt es zu den DIW-Zahlen, dass die neuen Frauengesetze bislang noch nicht ihre volle Wirkung entfaltet hätten. Es sei "nicht überraschend", dass es im Jahr 2016 noch nicht zu einer signifikanten Steigerung des Frauenanteils an Vorstandsposten gekommen sei. Vorstände seien "in der Regel mit mehrjährigen Verträgen ausgestattet". Man werde die Wirkung der Quote beobachten und gegebenenfalls mit Nachbesserungen reagieren.

Die Kinder von Tanja Wielgoß, die die Berliner Straßenreinigung leitet, bleiben an manchen Tagen bis 18 Uhr in der Betreuung. Teilzeit als Vorstandsvorsitzende? "Vielleicht trete ich dann in Verhandlungen, wenn ich das mal zehn Jahre gemacht habe", sagt sie.

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