Frauen in Führungspositionen:Zu nett für den Job

Smiling businesswoman in office conference room

Freundliche Vorgesetzte müssen nicht scheitern. Gerade junge Mitarbeiter fordern einen zugewandten Führungsstil und eine gute Arbeitsatmosphäre ein.

(Foto: DigitalVision/Getty Images)

Chefs dürfen nicht harmoniebedürftig sein, heißt es. Sie müssen schließlich Konflikte aushalten. Viele Frauen schrecken deshalb vor Führungsjobs zurück. Welche Eigenschaften sind ideal?

Von Sigrid Rautenberg

Es gibt einen Satz, den Frauen häufiger als Männer zu hören bekommen. Er lautet: "Sie sind einfach zu nett." Der Satz hat es in sich. Er klingt wie ein Kompliment und ist manchmal vielleicht auch so gemeint. Dennoch blockiert das Wort "nett" alle Aufstiegschancen. Im betrieblichen Kontext kann es den Dank enthalten für zuvorkommendes Verhalten oder das Gestalten einer angenehmen Arbeitsatmosphäre. Nur: Ein Team oder die Firma zu leiten, wird der netten Kollegin wohl eher nicht zugetraut. Für viele passen Nettsein und Chefsein nicht zusammen.

Christine Marin kann das bestätigen. Sie ist Geschäftsführerin der Kopf Holding, eines mittelständischen Familienunternehmens, das ihre Eltern gegründet haben, mit Sitz im schwäbischen Kirchheim und weltweit 2500 Mitarbeitern. "Neulich sagte mir ein Mitarbeiter: Toll, Frau Marin, dass Sie als Chefin auch mal nett sein können!", erzählt sie. "Das unterstellt doch, dass irgendwas nicht stimmt, wenn man Chefin ist und zugleich nett."

Nettsein sei keine Schwäche, im Gegenteil, meint Marin. Es bedeute, die Menschen ernst zu nehmen und wertzuschätzen. Schon Marins Mutter, die ebenfalls im Unternehmen aktiv ist, hat ihr das vorgelebt - konsequent und klar zu sein, dabei aber auch herzlich und auf ein gutes Verhältnis mit den Mitarbeitern bedacht.

Natürlich schließt Nettsein auch nicht automatisch aus, dass ein Mensch sich durchsetzen oder Konflikte aushalten und damit eine gute Führungskraft sein kann. Auch wenn so mancher Leadership-Experte das Gegenteil behauptet und erklärt, nette oder ehrliche Führungskräfte könnten nicht erfolgreich sein. Wenn allerdings Nettsein bedeutet, Konflikten auszuweichen, ist das unabhängig vom Geschlecht hinderlich.

Tamara Lissitsyna wurde schon mit 25 Jahren ihre erste kleine Führungsaufgabe anvertraut, mit 28 leitete die Finanzexpertin ein Team von fünf Mitarbeitern im Controlling eines großen Automobilzulieferers. Zunächst skeptisch beäugt, war die junge Frau bald ausgesprochen beliebt und wurde auch von deutlich älteren Mitarbeitern respektiert.

Nett- und Zugewandtsein kann einen erfolgreichen Führungsstil begünstigen, ebenso wie das Harmoniebedürfnis, das Frauen oft unterstellt wird. Für Lissitsyna ist Harmoniebedürfnis nichts, was für sich genommen zu Problemen führt: "Das Umfeld muss in Balance sein. Eine gute Stimmung ist wichtig, das sagen im Übrigen auch meine männlichen Mentoren", erklärt sie. "Ich möchte immer gute Beziehungen zu meinen Mitarbeitern haben, schließlich verbringe ich mit ihnen die meiste Zeit meines Lebens."

"Hierarchiedenken ist da nicht mehr drin"

Ihre Mitarbeiter loben besonders den wertschätzenden Kommunikationsstil. Denn auch ein Streben nach Harmonie schließt Kritik nicht aus. "Im Gegenteil", sagt Lissitsyna. "Ich habe gelernt, dass Leute auch negatives Feedback zu schätzen wissen, wenn man ihnen Rat gibt, was verbessert werden kann." Auch als sie in einem ausländischen Unternehmen zur Chefin eines 30-köpfigen Teams wurde, pflegte sie eine offene Kommunikation. Anders, erzählt sie, wäre sie wohl auch kaum respektiert worden: Die meisten Teammitglieder waren um die 30 Jahre alt, typische Millennials. Denen ist ein hohes Einkommen weniger wichtig als Anerkennung und eine harmonische Atmosphäre.

Dass die jüngere Generation einen konsensorientierten, vertrauensvollen Führungsstil braucht, findet auch Annett Polaszewski-Plath: "Hierarchiedenken ist da nicht mehr drin." Vor allem dann nicht, wenn sich wie bei vielen IT-Unternehmen immer mehr Arbeitsplätze gar nicht mehr in den Räumen der Firma befinden. Die 42-Jährige ist Deutschland-Chefin der IT-gestützten Veranstaltungsplattform Eventbrite. Auch sie hat kein Problem damit, sich als harmoniebedürftig zu beschreiben: "Schließlich ist es doch immer besser, mit einer gemeinsamen Entscheidung aus dem Raum zu gehen, oder?" Harmonie also im Sinne von Konsens. Allerdings kann diese bei aller Nettigkeit manchmal nur durch Konfrontation wiederhergestellt werden.

Beim Thema Konfrontation jedoch tun sich zwischen den Geschlechtern riesige Unterschiede auf. Bei Männern werden harte Worte eher hingenommen, ein starker Auftritt wird bewundert. So manche Verhaltensweisen, die bei Männern als "tough" rüberkommen, werden bei Frauen als "zickig" wahrgenommen. Wer als Frau nicht zugleich nett wirkt, hat es schwerer. "Als Frau muss man weicher rangehen. Da wird erwartet, sich im richtigen Maß zurückzunehmen", sagt Lissitsyna.

Entscheidend sei allein die Erwartungshaltung, findet auch Firmenchefin Christine Marin, denn "männliche und weibliche Eigenschaften gibt's eigentlich nicht". Sie erinnert sich an einen Satz aus ihrer Zeit als junge Führungskraft in einer Bank. "Ein Kunde sagte zu meinem Chef, nachdem ich eine Präsentation gehalten hatte: Nett anzuschauen ist sie ja, aber sie hat Haare auf den Zähnen."

Auch nette Chefinnen brauchen also Durchsetzungsstrategien. Polaszewski-Plath nennt ihre Methode das Judo-Prinzip - Siegen durch Nachgeben. "Gerade wenn jemand die Konfrontation sucht, muss ich die Attacken ins Leere laufen lassen und das Gespräch auf die Sachebene ziehen." Dafür könnten typisch weibliche Eigenschaften wie Empathie, Diplomatie oder gar ein entwaffnendes Lächeln hilfreich eingesetzt werden. "Aber ob jemand positionsbezogen agiert oder sachbezogen, ist nicht vom Geschlecht abhängig, sondern vom Charakter", sagt die Eventbrite-Chefin.

Die Durchsetzungsstrategie von Christine Marin ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: "Ich gehe immer sehr gut vorbereitet in Gespräche. Mit Klarheit und Konsequenz kann man überraschen. Denn manche Männer meinen, die nette Kleine spiele ich mal eben an die Wand!"

Tamara Lissitsyna, die mittlerweile Senior Finance Manager bei einem Biotech-Unternehmen ist, fand anfangs, dass es ihr vor allem ihre physische Präsenz schwer machte, sich durchzusetzen: "Ich habe keine laute und tiefe Stimme und bin eher klein und zierlich. Ich musste aufpassen, die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen." In der Automobilbranche sei das besonders schwer gewesen, da seien "auch ein paar große Egos unterwegs". Geholfen haben ihr ein paar Tricks: "Zum Beispiel aufstehen, nach vorne gehen. Und zu zeigen, hier bin ich, ich habe etwas zu sagen."

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