Frauen in der Medizin:Ärzte mit Grenzen

In den klassischen medizinischen Fächern sind Lehrstuhlinhaberinnen an deutschen Universitäten eine Seltenheit - daran hat sich seit 100 Jahren nichts geändert. Doch: Der Ärztemangel eröffnet Frauen inzwischen bessere Perspektiven selbst in den besonders stark männlich dominierten Fächern - und nicht nur dort.

Christina Berndt

Als Martina Müller-Schilling noch nicht lange Ärztin war, nahm sie einmal ein wohlwollender Mentor zur Seite: "Sie müssen Automarken lernen und sich für die Bundesliga interessieren", sagte ihr der Direktor einer Universitätsklinik. "Herr Professor, Sie scherzen?", fragte sie ungläubig. Doch es war sein voller Ernst. Damit talentierte Ärztinnen eine Chance haben, ihre Begabung auch in einer Führungsposition unter Beweis zu stellen, müssen sie sich in die Boygroups der Kollegen einfügen, sonst wird es mit der Karriere nichts. Darin bestand für den erfahrenen Professor kein Zweifel.

Ob es auch an dem Tipp mit den Automarken lag? Martina Müller-Schilling hat letztlich eine gewaltige Karriere hingelegt. Nach vielen Jahren in Heidelberg, zuletzt als leitende Oberärztin, ist die Leberspezialistin nun Ordinaria für Gastroenterologie an der Uni Regensburg. Damit ist sie die erste Frau auf einem solchen Lehrstuhl in Deutschland.

Gerade in den klassischen medizinischen Fächern sind Lehrstuhlinhaberinnen an deutschen Universitäten nach wie vor eine Seltenheit. Etwa zehn Prozent aller Professoren sind laut Medizinischem Fakultätentag weiblich. Das ist schon keine überwältigende Zahl. Noch dazu besetzt aber ein Großteil dieser Frauen Subdisziplinen. Von den leitenden Klinikdirektoren sind nicht mal fünf Prozent weiblich. Dass nun mit der Gastroenterologie ein großes klassisches Fach von einer Frau geführt wird, könnte man daher schon fast als Revolution betrachten.

Noch größeres Aufsehen hat branchenintern nur die Berufung der ersten Frau auf einen Lehrstuhl in der Männerbastion Chirurgie im Jahr 2001 erzeugt - Doris Henne-Bruns lehrt seither in Ulm. Und 2000 - gut hundert Jahre, nachdem Frauen in Deutschland zur Approbation zugelassen wurden - gelang es tatsächlich, eine weibliche Person zu entdecken, die für einen Lehrstuhl in Frauen-Heilkunde ebenso gut wie die männlichen Mitbewerber geeignet schien: Marion Kiechle ist seither Ordinaria für Gynäkologie an der TU München.

Was seine Fakultät da angerichtet hat, weiß auch Regensburgs Medizin-Dekan Torsten Reichert: Mit dem Ruf von Martina Müller-Schilling habe das Klinikum "national ein wichtiges Zeichen gesetzt", sagt er. Es sei "immer noch nicht selbstverständlich, dass Medizinerinnen ihren Weg bis zur Spitze verfolgen können".

Das kann man wohl sagen. Immer noch ist die Schere zwischen Männern und Frauen in kaum einem Beruf so groß wie im ärztlichen. 66 Prozent der Studienanfängerinnen im Fach Medizin sind inzwischen weiblich, denn "Abiturientinnen haben nun einmal bessere Noten für den Numerus clausus", wie Dieter Bitter-Suermann sagt, der Präsident des Medizinischen Fakultätentages. Mit jedem Karriereschritt aber geht der Anteil der Frauen zurück. In Heidelberg etwa sind noch gut die Hälfte der Assistenzärzte weiblich, aber nur 16 Prozent der leitenden Oberärzte.

Dass dies in Zeiten des Ärztemangels ein ungünstiges Signal ist, hat auch die hohe Politik erkannt. Beim Neujahrsempfang der Ärzteschaft hatte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) noch an die versammelte Männerriege appelliert: Es reiche nicht, wenn die Politik die Rahmenbedingungen schaffe. "Die Ärzteschaft muss diese auch leben und umsetzen."

Allerdings: Hendrik van den Bussche vom Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf leitet das Forschungsprojekt "Karriereverläufe von Ärztinnen und Ärzten" und hat jüngst seinen neuesten Bericht vorgestellt. Er sagt: "Wir stellen in unseren Daten immer wieder fest, dass Ärztinnen kaum eine Chance haben, an die Spitze zu gelangen."

Keine attraktiven Aussichten

Zweifellos machen zum Beispiel die aufreibenden 60-Stunden-Wochen mit Schicht- und Bereitschaftsdiensten den Beruf vor allem für Frauen, die sich Kinder wünschen, nicht besonders attraktiv. Denn Teilzeitangebote oder Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt es in vielen deutschen Krankenhaus kaum. Für eine Karriere am Universitätsklinikum kommt dann noch die wissenschaftliche Arbeit obendrauf: Vor dem Dienst in der Klinik müssen Veröffentlichungen geschrieben werden, nach dem Dienst geht es oft noch ins Labor.

Wohl auch deshalb setzen sich junge Ärztinnen häufig schon selbst niedrigere Karriereziele. So wollen 51 Prozent der männlichen Nachwuchsärzte Oberarzt werden, aber nur 29 Prozent der weiblichen, sagt van den Bussche. "Wie vor hundert Jahren" sehe auch die Rollenverteilung in den Familien aus, was Haushalt und Kinder betrifft. In der Folge bewerben sich Ärztinnen lieber gleich im Kreiskrankenhaus, während Ärzte an der Uniklinik ihre Karrierepläne umsetzen und sogar besonders viele Bereitschaftsdienste übernehmen, wenn sie Väter sind.

Der Kinderwunsch sei aber nur ein Teil der Erklärung, betont van den Bussche. Frauen tendieren häufig nicht zu Spitzenpositionen, weil sie sich in der Männerdomäne Medizin ohnehin keine großen Chancen ausrechnen können. "Frauen wird unterstellt, dass sie sowieso schwanger werden und aussteigen, dass sie nicht führen können, dass sie nicht so gut operieren", sagt die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Regine Rapp-Engels. Schon in der Ausbildung würden Frauen weniger gefördert oder zu Kongressen eingeladen. "Das sind subtile Mechanismen", sagt sie - die zum Teil auch unreflektiert ablaufen.

Immerhin könnten zwei Trends jungen Ärztinnen künftig helfen: So eröffnet der Ärztemangel Frauen inzwischen bessere Perspektiven selbst in den besonders stark männlich dominierten operativen Fächern, so Rapp-Engels. Zudem bringen ausländische Experten, die Uni-Kliniken für die Exzellenzinitiative begutachten, neue Impulse. "Die fragen oft, wo sind denn hier die Frauen", sagt eine Insiderin. "Und wenn sie keine finden, kommt das gar nicht gut an."

Auch für Martina Müller-Schilling war es ein steiniger Weg. Obwohl etwa ihre Publikationsliste gehaltvoll ist, hat sie sich lange vergebens auf einen Lehrstuhl beworben. In Tübingen wurde die Professur für Gastroenterologie sogar neu ausgeschrieben, nachdem der auf Platz eins gesetzte Bewerber abgesagt hatte und Müller-Schilling als Zweitplatzierte hätte zum Zuge kommen sollen. Der Dekan der Fakultät begründet die neue Ausschreibung damit, dass die Stelle in der Zwischenzeit aufgrund neu vergebener Forschungsgelder "eine neue wissenschaftliche Ausrichtung" erhalten habe.

An ihrem neuen Wirkort Regensburg blickt Müller-Schilling nach vorne: "Ich kann jede Medizinerin nur ermutigen, weder auf die Karriere noch auf die Familie zu verzichten", sagt sie, die selbst Mutter eines 14-jährigen Sohnes ist. Seit ihrer Berufung haben ihr zahlreiche Ärztinnen geschrieben, sie hätten nun "Hoffnung, dass es sich doch lohnt weiterzumachen". Müller-Schilling hat auch Tipps für ehrgeizige junge Kolleginnen - neben den Automarken und der Bundesliga: "Machen Sie Dinge, die messbar sind!", empfiehlt sie. "Lassen Sie sich nicht auf das Klischee 'heilende Frau und Mutter' reduzieren, etablieren Sie ein eigenes Forschungsfeld!"

Bei der Vergabe von Posten werde leider nicht gefragt, wie viele Menschenleben man gerettet habe, auch wenn das doch eigentlich das wichtigste Ziel des Arztberufes sei.

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