Als ihr Vater noch Chef war, hätte es das nicht gegeben: Einige Mitarbeiter stehen in der Werkhalle zusammen und unterhalten sich über das letzte Spiel des VfB Stuttgart. Als Claudia Wagner vorbeikommt, nicken sie ihr freundlich zu - und schwätzen weiter. Dabei ist sie der Boss. "Bei meinem Vater wären die sofort auseinandergestoben", sagt die 28 Jahre alte Maschinenbau-Ingenieurin. Vor drei Jahren hat sie den kleinen Zulieferbetrieb in Gerlingen bei Stuttgart übernommen.
Und sie hängt sich richtig rein: Sie zieht Aufträge an Land, konstruiert Werkzeuge und hat das stark von der Autoindustrie abhängige Unternehmen aus der Wirtschaftskrise herausgesteuert. Trotzdem fühlt sie sich oft nicht ernst genommen. Zum Beispiel als sie vor kurzem eine Werksführung mit einem Kunden machte. "Als ein männlicher Mitarbeiter auftauchte, war ich plötzlich Luft für den Kunden. Er richtete all seine Fragen an den Mitarbeiter", erzählt Wagner. Wie sie sich in solchen Situationen verhalten soll, weiß sie nicht. "Mir sagt ja niemand offen, dass er meine Kompetenz anzweifelt. Das ist unterschwellig, dagegen kann man sich schlecht wehren."
Wie Claudia Wagner geht es vielen Frauen in Spitzenpositionen. Sie werden unterschätzt und in Frage gestellt. "Vielen Männern ist gar nicht klar, dass sie es den Frauen so schwermachen", sagt Christiane Flüter-Hoffmann, Expertin für betriebliche Personalpolitik am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Nach oben zu kommen, das ist mittlerweile leichter geworden. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Hoppenstedt hat sich der Anteil von Frauen in Führungspositionen zwischen 1995 und 2010 auf knapp 20 Prozent verdoppelt. Aber wie ist es, wenn man es nach oben geschafft hat?
Claudia Wagners Urgroßvater hat das Familienunternehmen 1949 gegründet, seitdem saßen stets Männer im Chefsessel. Mit der ersten Frau änderte sich der Führungsstil: Wagner senior war autoritär, die Tochter ist behutsamer, kooperativer. Sie hat ein besseres Betriebsklima, bekommt aber weniger Respekt. Manchmal denkt sie, sie müsste "mal richtig auf den Putz hauen". Tut sie dann aber doch nicht, weil sie so nicht führen möchte. Also sucht sie nach anderen Lösungen.
Hilfe bekommt sie im Projekt "Verstärkung" der Stadt Stuttgart. Mit neun anderen Frauen aus kleinen und mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg trifft sich Wagner ein Jahr lang alle zwei Monate in einer Führungswerkstatt. Dort berichten die Frauen von ihren Problemen, tauschen sich aus, machen sich gegenseitig Mut. In Rollenspielen üben sie, wie sie Mitarbeiter kritisieren und sich - wenn sie nicht ganz an der Spitze stehen - gegenüber Vorgesetzten behaupten können.
Organisiert wird die Führungswerkstatt vom Verein zur beruflichen Förderung von Frauen (BeFF). Der wichtigste Schritt zur Selbstbehauptung ist laut Leiterin Birgit Steinhardt die Abkehr von männlichen Vorbildern: "Es bringt nichts, männliches Führungsverhalten zu imitieren." Stattdessen müsse jede ihren eigenen Weg gehen. Bei Kleinigkeiten sollte man aber manchmal einfach mitspielen: "Der Firmenwagen zum Beispiel ist bei manchen Unternehmen ein typisches Symbol der Macht. Da sollte man nicht sagen: 'Nein danke, mein Smart reicht mir'", erklärt Steinhardt.
Ratgeber für die erfolgreiche Sekretärin:Hauptsache, sie sieht gut aus
Ohne sie läuft gar nichts im Unternehmen: Sekretärinnen waren schon in den sechziger Jahren die heimlichen Bosse. Berufsratgeber lieferten damals Karrieretipps für junge Frauen mit Ambitionen. Eine skurrile Auswahl
Aber nicht nur die Frauen, auch die Unternehmen müssen an sich arbeiten. Deshalb fährt das Projekt "Verstärkung" zweigleisig. Während die Frauen in der Führungswerkstatt sitzen, werden auch ihre Unternehmen gecoacht. Jedes bekommt ein Expertenunternehmen an die Seite gestellt, das sich um die Frauenförderung verdient gemacht hat.
Die eigene Tochter hält den Spiegel vor
Viele Verbesserungsvorschläge beziehen sich auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sprich: flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle, Kinderbetreuungsangebote. Schwieriger ist es, die Einstellung der Mitarbeiter zu verändern. Oft kommt ein Umdenken erst durch persönliche Erfahrung: "Erst wenn die eigene Tochter oder Frau von Problemen im Beruf erzählt, fangen viele Männer an, über ihre eigene Haltung nachzudenken", sagt Christiane Flüter-Hoffmann vom IW. Nur haben nicht alle Männer eine Frau, Freundin oder Tochter, die ihnen diesbezüglich den Spiegel vorhalten könnte.
Dass viele Frauen Angebote wie das Stuttgarter Projekt nutzen und damit eingestehen, sich weiterentwickeln zu müssen, sieht Flüter-Hoffmann als weibliche Stärke an. "Wenn Männer Probleme im Job haben, sprechen sie nicht darüber, weil sie fürchten, das könnte als Schwäche ausgelegt werden und weil sie alles aus eigener Kraft schaffen wollen."
Sprechen über Schwächen
Diese Erfahrung hat auch Doris Körner gemacht. Die Ingenieurin ist Projektmanagerin bei einem großen Medizintechnikunternehmen. Sie würde sich wünschen, mit ihren männlichen Kollegen und Vorgesetzten offener über Schwächen sprechen zu können. "Ich habe gelernt, es für mich zu behalten, wenn ich sehr viel Stress habe, da eine offene Ansprache von Überlastung oft falsch interpretiert wird."
Verbiegen lässt sich die 41-Jährige von der männlichen Geschäftswelt trotzdem nicht. Den Tipp eines Vorgesetzten, nicht immer so emotional zu reagieren, will sie nur teilweise beherzigen: "Ich sehe die Emotionalität als Teil meiner Stärke, schließlich ziehe ich daraus meine Kreativität und neue Impulse", sagt die Ingenieurin. Neue Impulse bekommt sie auch im Austausch mit anderen Führungsfrauen. Körner ist Mitglied bei den "Business and Professional Women". Immer mehr Frauen nutzen solche Netzwerke. Dort heißt es dann ausnahmsweise mal "women only", Männer müssen draußen bleiben.