Frauen, die Physik studieren:"Manche reagieren entsetzt"

Noch immer studieren mehrheitlich Männer naturwissenschaftlich-technische Fächer. Drei Schwestern aus der Oberpfalz ist das herzlich egal. Sie studieren Physik - und widerlegen sämtliche Klischees.

Viola Schenz

Man könnte die Leierseders eine ganz normale Familie nennen, wäre da nicht die Studienfachwahl der Töchter. Alle drei haben sich nämlich für ein "Männerfach" entschieden, für Physik. Ursula Leierseder, 20, studiert an der Universität Regensburg im Bachelor-Programm, Elisabeth Leierseder, 22, studiert ebenfalls in Regensburg auf Lehramt, nebenbei unterrichtet sie an einem Gymnasium aushilfsweise Physik und Mathematik. Die älteste, Judith Megerle, 28, ist verheiratet, hat einen einjährigen Sohn und ein Physik-Diplom; derzeit promoviert sie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Aufgewachsen sind die Schwestern in Kallmünz und Sinzing, kleinen Orten in der Oberpfalz, die Eltern arbeiten als Erzieher und Therapeuten. Ein Gespräch über Frauen und Technik.

Frauen, die Physik studieren: Entschieden sich alle drei für ein Physikstudium: Die Schwestern Judith Megerle,   Elisabeth Leierseder und Ursula Leierseder (von links).

Entschieden sich alle drei für ein Physikstudium: Die Schwestern Judith Megerle,  Elisabeth Leierseder und Ursula Leierseder (von links).

(Foto: lok)

SZ: Naturwissenschaftler und technische Fachkräfte werden auf dem deutschen Arbeitsmarkt verzweifelt gesucht - Sie drei zählen also zur künftigen Elite. Wie fühlt man sich dabei?

Judith: Man fühlt sich nicht besonders. Wir studieren das, weil es uns interessiert hat. Man kriegt Lorbeeren, die gar nicht angemessen sind.

Ursula: Ich kenne viele, die Physik studieren, weil Physiker gebraucht werden, aber das war nicht unser Motiv.

Elisabeth: Ich studiere es auch, weil es mich interessiert und um es später jungen Leuten zu vermitteln und sie hoffentlich dafür zu begeistern. Ich habe das nie gemacht, um irgendwann was Besseres zu sein.

SZ: Judith, Sie sind die Älteste und haben als erste mit Physik begonnen. Haben Sie Ihre Schwestern angesteckt?

Judith: Ein bisschen wohl schon. Ich habe den beiden gezeigt, dass das eine Möglichkeit ist, aber ich habe nicht aktiv an sie hingearbeitet.

Ursula: Als ich noch klein war, hat Judith für ihre Facharbeit in der Kollegstufe ein Molekül-Modell gebastelt, und unser Vater hat ihr geholfen. Das war interessant, und sie war begeistert dabei.

Elisabeth: Mir hat sie, als ich 14 war, von der Relativitätstheorie erzählt, von Zwillingen, die ins Weltall geschickt wurden und so weiter. Ich habe es nicht verstanden, aber ich fand, es klingt gut. Später habe ich Physik-Leistungskurs genommen, damit war klar, dass ich das auch studieren werde.

SZ: Sie sind nicht in einem Physiker-Haushalt aufgewachsen. Wie haben Ihre Eltern auf Ihre Studienwahl reagiert?

Ursula: Unsere Mama findet es toll, aber sie kann es gar nicht verstehen. Unser Papa hat das zwar nie beruflich gemacht, aber es hat ihn immer interessiert. Er hat Einstein-Biographien mit nach Hause gebracht, und die haben wir auch gelesen, weil sie halt rumlagen. Es ist schon viel vom Papa ausgegangen, und er weiß bis heute nicht, warum er es eigentlich nicht selber studiert hat.

Elisabeth: Er hört immer interessiert zu, was wir gerade machen, und will von uns quasi unterrichtet werden, gerade vor den Prüfungen.

Judith: Wir wurden von unseren Eltern ermutigt, bekamen nie, nie zu hören, dass Mädchen so was nicht können, sondern dass das ein selbstverständlicher Weg für uns ist.

SZ: Haben Sie als Kinder mit Puppen gespielt oder mit Autos?

Elisabeth: Mit allem. Ich kann mich erinnern, dass wir viel mit Bauklötzen gespielt haben, beziehungsweise dass unser Papa damit gerne Türme gebaut hat - die wir dann umschmeißen durften.

SZ: Sie stammen aus einem Dorf in der Oberpfalz. Wie reagieren die Leute dort?

Judith: Den meisten ist das egal.

Ursula: Manche reagieren schon entsetzt und können überhaupt nicht verstehen, warum ich nicht zum Beispiel Deutsch studiere. 'Was, du machst Physik, ja, warum machst du dann nicht wenigstens Lehramt', fragen sie dann.

SZ: Und an der Uni? Gelten Sie als Exotinnen?

Judith: Im Studium ist die Frauenquote bei 20, 25 Prozent, da ist das nicht das Thema. Wenn man abends auf eine Party geht, kommen eher die Reaktionen, die Ursula gerade beschrieben hat.

Elisabeth: Im Lehramtsstudium gibt es eigentlich viele Frauen, bei gemeinsamen Vorlesungen mit den Physik-Bachelors und Mathe-Diplomern sind es fast die Hälfte.

SZ: Hat man als Frau eine Art Bonus, wenn man ein Männerfach studiert? Oder muss man im Gegenteil mehr leisten als die männlichen Kommilitonen?

Judith: Nein, bei uns im Studium war immer klar: Allein die Leistung zählt.

Elisabeth: Es gibt hauptsächlich schriftliche Prüfungen, ich glaube nicht, dass da der Vorname besonders beachtet wird. Selbst bei den mündlichen Prüfungen ist mir nichts aufgefallen. Wer mehr gelernt hat, bekommt ganz einfach die bessere Note. Okay, etwas Glück gehört auch dazu.

Ursula: So ist es. Bei 300 Studenten im Hörsaal kennt der Professor eh niemanden persönlich. Ob es sich bei den Prüfungen um einen Mann oder eine Frau handelt, weiß er oft gar nicht.

SZ: Was war bisher der dümmste Spruch, den Sie sich als Physik-Studentinnen antun mussten?

Elisabeth: Bisher bin ich keinem begegnet.

Ursula: Das hier sagen wirklich viele, vor allem junge Männer: 'Du schaust doch gar nicht so schlecht aus, ich hätte gar nicht erwartet, dass du Physik studierst.' Als ob man dafür kurze Haare und eine Brille bräuchte und ungeschminkt durchs Leben laufen müsste! Aber das ist ja eh nur ein Klischee.

Judith: Allzu viele Sprüche sind mir nicht begegnet, aber der hier: 'Brauchst ja nur für die Prüfung was Tiefausgeschnittenes anziehen.' Doch da spricht eher Neid raus, das hat nichts mit der Realität zu tun. Oder: 'Gratuliere, mit Physik kriegst du sicherlich einen besser gestellten Mann ab.'

SZ: Reagieren Männer nicht irritiert auf Physik?

Elisabeth: Die finden es eher toll - also zumindest die, die in Betracht kommen.

Judith: Die meisten meiner Physik-Freundinnen sind mit Männern aus dem Fach zusammen, was sich aber vielleicht aus dem Geschlechterverhältnis an der Uni ergibt. Aber keine hatte dezidiert Probleme.

Ursula: Die meisten finden es nicht abschreckend.

SZ: Bringt Physik Vorteile für den Alltag, bei Reparaturen oder Ähnlichem?

Elisabeth: Ich glaube, wir sind alle doch eher die Theoretiker, es reicht für die kleinen Sachen.

Judith: Man kann sich ungefähr vorstellen, warum etwas nicht funktioniert, aber die konkrete Lösung liegt manchmal fern.

Immer die gleichen Klischees

SZ: Wie erklären Sie es sich, dass in Deutschland nach wie vor mehrheitlich Männer technische Fächer studieren?

Frauen, die Physik studieren: "Du schaust doch gar nicht so schlecht aus, ich hätte gar nicht erwartet, dass du Physik studierst." Solche Sätze bekommen Physikstudentinnen schon mal zu hören.

"Du schaust doch gar nicht so schlecht aus, ich hätte gar nicht erwartet, dass du Physik studierst." Solche Sätze bekommen Physikstudentinnen schon mal zu hören.

(Foto: Robert Haas)

Judith: Ich habe ein Jahr in Schweden verbracht, da war die Situation ähnlich, meiner Erfahrung nach ist das kein deutsches Phänomen. Ich glaube, dass in vielen Köpfen noch drinsteckt: Frauen können das nicht. Dazu kommt: Physik hat kein klares Berufsbild, sondern führt zunächst in eine - manchmal unsichere - wissenschaftliche Laufbahn. Bei Frauen, die irgendwann Kinder haben und ihr Leben entsprechend planen wollen, spielt das sicherlich eine Rolle.

Elisabeth: Auch viele Eltern denken nach wie vor: Wenn die Tochter in Mathe schlecht ist, ist das okay. Wenn der Sohn schlecht ist, ist das zumindest seltsam. Mädchen haben in Deutsch gut zu sein, basta.

SZ: Sollte man gezielt Mädchen fördern?

Elisabeth: Das ist wieder so eine Sache. Fördert man zum Beispiel in Mathe die Mädchen, besteht die Gefahr, dass die Jungs das Interesse verlieren und zurückfallen.

SZ: Also in naturwissenschaftlichen Fächern nach Geschlechtern getrennt unterrichten?

Elisabeth: Ich glaube nicht, dass das viel bringt und dass sich Mädchen nichts zu sagen oder zu fragen trauen, weil sie sich vor den Jungs schämen.

Ursula: Bei Mädchen kann das bewirken: Wir werden getrennt unterrichtet, weil man uns weniger zutraut.

SZ: Rechnen Sie sich als Frau bessere Job-Chancen aus?

Judith: Nein, nicht wirklich.

Elisabeth: Es geht bei Planstellen für Lehrer sowieso ganz klar nach Noten, entsprechend kriegst du eine Stelle oder nicht.

SZ: Wie sieht Ihr Traumberuf aus?

Ursula: Keine Ahnung, ich mach jetzt erst mal meinen Bachelor, dann den Master, dann möchte ich promovieren. Dann überlege ich mir, ob ich in der Forschung bleibe oder in die freie Wirtschaft gehe.

Judith: Ich muss meinen Doktor abschließen und liebäugle stark mit der Forschung. Leider gibt es im deutschen Uni-System kaum Mittelbau, das heißt, wenn man in der Forschung bleiben möchte, muss man fast den Weg zum Professor einschlagen. Das ist natürlich ein beschwerlicher, unsicherer Weg, bei dem wiederum die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr schwierig ist.

SZ: Deutschland klagt über Akademikermangel gerade in technischen Berufen. Was ist da Ihrer Meinung nach schiefgelaufen?

Ursula: Für manche sind Naturwissenschaften abschreckend, sie hören, dass auch mal 80 Prozent in den ersten Semestern durchfallen. Die Angst, nach vier Semestern durch- und rauszufallen, also nach zwei Jahren wieder ganz von vorne anfangen zu müssen, lässt einen lieber gleich was anderes, Nicht-Naturwissenschaftliches studieren.

Judith: Ich denke, wir verlieren viele in den Schulen, in der Pubertät, die aus dem Schulsystem rausfallen. Der Dreh- und Angelpunkt ist, den Schülern Begeisterung zu vermitteln: Wenn ihr das lernt, dann könnt ihr die Natur, die Welt verstehen. Sie dazu zu bringen, das selber wissen zu wollen, das ist elementar.

Elisabeth: In der 7. Klasse, wenn man mit Physik beginnt, ist bei den meisten ein Grundinteresse vorhanden. Das ist der Zeitpunkt, wo man die Schüler nicht mit stupiden Formeln und Rechnungen verschrecken darf. Ich hatte Klassen, da waren alle ohne Ausnahme mit Eifer dabei, da hat keiner gesagt, das interessiert mich nicht, schon gar nicht die Mädchen.

SZ: Gibt es Momente, in denen Sie es bereuen, Physik gewählt zu haben?

Judith: Nein, nie. Natürlich, es gibt auch Frustrationen, aber die gibt es überall und in jedem Fach.

Ursula: Vor Klausuren fragt man sich ab und zu: Warum tu ich mir diese Paukerei an? Aber wenn die dann vorbei sind und man sie bestanden hat, fühlt man sich natürlich umso toller. Dann ist man einfach stolz, dass man es geschafft hat.

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