SZ-Leserin Sabina W. fragt:
Ich arbeite in einer Digitalagentur und betreue seit einem halben Jahr ein eigenes Projekt für einen neuen Auftraggeber. Es läuft sehr gut. Bei einem Geschäftsessen fragte mich nun dieser Auftraggeber nach meinem beruflichen Hintergrund und meinte: "Genau so jemand bräuchten wir bei uns auch." Das ist nun ungefähr zwei Monate her, ohne dass ein Angebot folgte. Ich würde liebend gerne zu dieser Firma wechseln, weil ich mir dort mehr Gestaltungsmöglichkeiten und eine weitere Spezialisierung erhoffe. Wie signalisiere ich das? Und was muss ich beachten im Hinblick auf meinen jetzigen Arbeitgeber, falls es nicht klappt?
Christine Demmer antwortet:
Liebe Frau W., in Deutschland herrscht Vertragsfreiheit, und die gilt grundsätzlich auch auf dem Arbeitsmarkt. Während sich die Arbeitgeber allerdings den sozial- und tarifvertraglichen Bestimmungen unterwerfen müssen - größere Betriebe müssen zum Beispiel einen Teil ihrer Arbeitsplätze für Menschen mit schweren Behinderungen reservieren -, dürfen Sie als EU-Bürgerin frei entscheiden, in welchem Land und bei welchem Arbeitgeber Sie arbeiten möchten. Unter Einhaltung der Kündigungsvorschriften dürfen Sie jederzeit den Vertragspartner wechseln. Selbst wenn Sie beim schärfsten Konkurrenten anheuern, darf Ihnen niemand einen Strick daraus drehen. Die Rechtslage ist klar auf Ihrer Seite.
Das Signal, mit dem Arbeitnehmer ihren Wunsch zum Ausdruck bringen, bei einem bestimmten Unternehmen arbeiten zu wollen, heißt Bewerbung. Die kann, muss aber nicht schriftlich erfolgen. Wenn man einen Firmenchef oder eine Führungskraft der oberen Ränge gut kennt, spricht nichts gegen eine formlose Anfrage. Im Tennisclub, in der Pause bei "La Traviata" oder auf einer Gartenparty haben Bewerbungen allerdings nichts verloren. Bier ist Bier, und Job ist Job.
Doch am Ende des nächsten gut gelaufenen Meetings könnten Sie Ihren Kunden nach offenen Stellen für Mitarbeiter mit Ihrer Qualifikation fragen. Formulieren Sie locker und eher vage, verweisen Sie auf Ihr professionelles Netzwerk ("da trat neulich die Frage auf . . ."), und erinnern Sie ihn beiläufig an seine Bemerkung vor zwei Monaten.
Und was jetzt folgt, stimmt in 95 Prozent aller Fälle: Wenn er wie aus der Pistole geschossen zurückfragt, ob Sie für sich selbst sprechen, dann ist er interessiert. Falls nicht, dann nicht. Entweder geht es jetzt ans Verhandeln. Oder Sie müssen zum nächsten Termin. Keiner von Ihnen hat sein Gesicht verloren, und Sie müssen sich auch keine Gedanken machen, was Ihr jetziger Arbeitgeber denken könnte, wenn er davon erfahren würde. Sie haben es sich mit niemandem verscherzt.
Hitzig kann es nur werden, wenn umgekehrt Ihr Kunde mit einem konkreten Jobangebot auf Sie zukommt und Sie folglich zweifelsfrei veranlassen will, den Arbeitgeber zu wechseln. Das nennt man Abwerbung, und dagegen könnte Ihr jetziger Arbeitgeber unter Umständen juristisch vorgehen. In der Praxis kommen solche Dinge selten vor den Arbeitsrichter. In der Regel einigt man sich außergerichtlich durch Zahlung einer Summe. Auf der Strecke bleiben dürfte allerdings die Geschäftsbeziehung. Die ist dann, wie bei den meisten schmerzlich gelösten Dreiecksbeziehungen, unwiderruflich zerrüttet.
Und bevor bei Ihnen jetzt die Hoffnung keimt, Ihr Kunde habe seine Bemerkung vor zwei Monaten nur deshalb nicht vertieft, um dem Verdacht einer strafbewehrten Abwerbung aus dem Weg zu gehen: Das kann so sein, muss aber nicht. Sie werden es nur herausbekommen, indem Sie ihn fragen.
Christine Demmer arbeitet als Coach und Wirtschaftsjournalistin zu Management- und Personalthemen in Deutschland und Schweden.