Frage an den SZ-Jobcoach:Wie schaffe ich es, kürzerzutreten?

Norman K. hat rasant Karriere gemacht - doch der berufliche Erfolg geht zulasten seines Privatlebens. Wie kommt er nun aus der Spirale seiner Arbeitsgewohnheiten heraus? Der SZ-Jobcoach weiß Rat.

SZ-Leser Norman K. fragt:

Meine Karriere verlief in den vergangenen Jahren blitzartig. Ich halte mich für einen Perfektionisten, verbringe fast jedes Wochenende im Büro und habe infolgedessen derzeit ein erbärmliches Privatleben. Ich schreibe Ihnen, weil ich das verändern will, aber nicht genau weiß, wie ich aus der Spirale meiner Arbeitsgewohnheiten herauskomme. Wie würden Kollegen und Geschäftsführung mein Verhalten interpretieren, wenn ich auf einmal kürzerträte?

Georg Kaiser antwortet:

Lieber Herr K., wie denken Sie über einen Menschen, der fachlich Hervorragendes leistet, auf dessen Zuverlässigkeit Kollegen und Geschäftsführung bauen können, der aber gleichzeitig Wert auf ein intaktes Privatleben legt und sich deshalb freitags spätestens um 17 Uhr ins Wochenende verabschiedet? Würden Sie ihm vorwerfen, nicht alles für das Unternehmen zu geben? Stellen Sie sich vor, dieser Mensch blickt an seinem Lebensabend zurück auf seine berufliche Entwicklung, auf seine Familie, seine Kinder und Enkelkinder - wie hoch schätzen Sie seinen Grad an Erfüllung und Zufriedenheit ein? Und wie hoch den Ihren, wenn Sie so weiter arbeiten wie bisher und dann in etwa 50 Jahren auf Ihr Leben zurückschauen?

Sie wollen Karriere und Privatleben besser in Einklang bringen. Derzeit leben sie fast ausschließlich für und in Ihrem Beruf. Von den Burn-out-Risiken eines solchen Lebensstils einmal abgesehen, ist das sicherlich förderlich - sowohl für das Unternehmen als auch für Ihre Karriere. Und solange Sie aus eigenem Antrieb diesen Einsatz bringen, werden nur wenige Vorgesetzte Ihr Engagement zügeln und Sie darauf hinweisen, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht.

Im Berufsleben sind Leistung, Erfolg und Gewinn entscheidende Faktoren. Im Privatleben geht es um gute, erfüllende Beziehungen und um die Verwirklichung der eigenen Wünsche und des eigenen Potenzials. Beide Perspektiven haben Überschneidungen, etwa wenn der Beruf Spaß macht und im positiven Sinne fordernd ist. Aber sie gehen nicht ineinander auf. Das wissen Ihre Kollegen und die Geschäftsführung. Sonst säßen sie auch jedes Wochenende im Büro.

Aus der Logik der beruflichen Perspektive mag es schwerfallen, die Spirale Ihrer Arbeitsgewohnheiten zu verlassen. Sie wollen mehr und nicht weniger Leistung bringen, besser und nicht schlechter werden. Aus der Logik der privaten Perspektive ist es sehr einfach: Sie erklären Ihren Kollegen und der Geschäftsführung, dass Ihr Privatleben zu kurz kommt, dass Sie das ändern wollen und dass Sie deshalb am Wochenende nicht mehr ins Büro kommen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Ihnen jemand das Recht auf ein Privatleben abspricht.

Wenn Sie zwei Tage pro Woche weniger arbeiten, hat das vermutlich Auswirkungen auf Ihre Leistung. Mein Rat an Perfektionisten (der aber gerade für Perfektionisten nur schwer zu akzeptieren ist): 95 bis 100 Prozent sind gut genug. Es müssen nicht 150 Prozent sein. So werden Sie Ihr Pensum weiterhin schaffen. Die letzten fünf Prozent Detailgenauigkeit binden häufig etwa 50 Prozent der Arbeitszeit. In vielen Fällen kommt es auf diese Detailtiefe aber gar nicht an. Bei 95 Prozent kommen (kleine) Fehler vor. Erlauben Sie sich solche kleinen Fehler mit dem Vorsatz, daraus zu lernen und jeden Fehler nur einmal zu machen.

Ein Gespräch mit der Geschäftsführung sollten Sie suchen, wenn Ihr Aufgabenfeld so umfangreich ist, dass es nur in einer Sieben-Tage-Woche zu bearbeiten ist. Wenn Ihr Chef und Sie sich einig sind, dass eine Verringerung der Detailgenauigkeit nicht erwünscht ist, dann geht es darum, bestimmte Aufgabenfelder abzugeben. Die Begründung wird hier wichtig: Nicht weil Sie beruflich überfordert sind, sondern weil Sie Ihr Berufs- und Privatleben besser und gesünder austarieren wollen. Das kommt im Übrigen auch ihrer langfristigen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit zugute.

Georg Kaiser unterstützt Führungskräfte bei Konflikten im Arbeitsalltag und der Entwicklung ihres Personals. Er arbeitet als Wirtschaftsmediator, Managementtrainer und Gestalttherapeut in Bremen.

Haben Sie auch eine Frage zu Bewerbung, Berufswahl, Etikette, Arbeitsrecht, Karriereplanung oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten beantworten ausgewählte Fragen im Wechsel. Ihr Brief wird selbstverständlich anonymisiert.

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