SZ-Leserin Alina G. fragt:
Ich bin 30, habe Soziologie und Erziehungswissenschaften studiert und einen Abschluss von 2,2 erreicht. Jetzt will ich eigentlich ein Praktikum machen. Das war während des Studiums nicht möglich, weil es die für mich interessanten Felder (Personalentwicklung oder Meinungsforschung) in meinem Ort nicht gab und ich kein Geld hatte, um einfach mal drei oder sechs Monate für ein unbezahltes oder schlecht bezahltes Praktikum woanders hinzuziehen. Jetzt sitze ich schon fast fünf Monate herum und halte mich mit einem Minijob und meinem Freund über Wasser. Ich bekomme nur Ablehnungen, da bei allen Praktika nur Studenten gesucht werden. Was könnte ich da machen?
Christine Demmer antwortet:
Liebe Frau G., Sie sind zu schnell für mich. Ich rätsele erst noch, warum Sie als fix und fertig ausgebildete Soziologin und Erziehungswissenschaftlerin überhaupt ein Praktikum machen wollen.
Mit dem Abschluss eines Hochschulstudiums sollten Sie für den Arbeitsmarkt gerüstet sein. Ein approbierter Mediziner geht von der Uni in eine Klinik, ein Betriebswirt sucht sich eine Stelle als Junior-Controller oder Einkaufsassistent oder dergleichen, ein Jurist startet nach dem Staatsexamen in einer Kanzlei, in einem Unternehmen oder macht sich selbständig. Und eine Soziologin, die gern in der Personalentwicklung oder in der Meinungsforschung arbeiten will, bewirbt sich auf Stellenangebote für Personalentwickler oder Meinungsforscher, aus denen hervorgeht, dass auch Anfänger eine Chance haben. Das erwarten die öffentlichen und privaten Arbeitgeber.
Sicher weiß ich auch, dass Berufseinsteiger mancher Fachrichtungen große Mühe haben, zum Start zugelassen zu werden. Ihre gehört aber nicht dazu. Außerdem haben Sie einen guten Abschluss hingelegt. Stutzig macht die lange Zeit, die Sie dafür gebraucht haben - zumal ohne jedwedes Hineinschnuppern in die Praxis. Dafür sollten Sie sich eine stichhaltige Erklärung zurechtlegen.
Ansonsten rate ich Ihnen, zweigleisig zu fahren. Bewerben Sie sich unverdrossen weiter auf angebotene Praktika, selbst wenn sich die ausdrücklich an Studenten richten. Formulieren Sie das Anschreiben offensiv, schließlich haben Sie mehr zu bieten, als verlangt wird. Bewerben Sie sich parallel dazu auf alle Ihnen passend scheinenden Stellen, für die Berufsanfänger nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind. Und testen Sie am Ende des Anschreibens doch mal diesen Satz: "Gerne bin ich bereit, vorab ein Praktikum bei Ihnen zu machen, sodass Sie die Möglichkeit haben, mich und meine Fähigkeiten besser kennenzulernen."
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