Süddeutsche Zeitung

Frage an den SZ-Jobcoach:Soll ich mich für mehrere Praktika bewerben?

Lesezeit: 2 min

Fritz A. hat gerade seinen Bachelor gemacht und möchte Berufserfahrung sammeln. Nun bittet er den Jobcoach um Rat.

SZ-Leser Fritz A. fragt:

Ich bin 27 Jahre alt, habe gerade meinen Bachelor in Politikwissenschaft gemacht und muss jetzt eigentlich dringend Geld verdienen. Bei der Jobsuche habe ich allerdings festgestellt, dass für die meisten Stellen Praktika vorausgesetzt werden. Daher will ich mich nun erst mal darum bewerben. Große Firmen bieten häufig mehrere Praktika an, die für mich infrage kommen würden. Soll ich mich gleich für drei oder vier Praktika in derselben Firma bewerben? Oder erweckt das den Anschein, dass ich mich nicht wirklich für eine Sache begeistern kann?

Vincent Zeylmans antwortet:

Lieber Herr A., wenn ein Unternehmen mehrere Stellen im festen Angestelltenverhältnis ausschreibt, ist es kontraproduktiv, wenn Sie sich nicht auf eine Stelle festlegen. Arbeitgeber sehen es gerne, wenn Bewerber wissen, wo ihre Stärken liegen, was sie begeistert und welche Position sie anstreben. Bei einem Praktikum verhält es sich anders.

Dieser überschaubare Zeitraum ist häufig der erste Berührungspunkt mit der Unternehmensrealität und wird daher - auch vom Arbeitgeber - als Orientierungsphase angesehen. Keiner erwartet von Ihnen, dass Sie sich bereits festlegen können. Im Gegenteil, viele Praktikanten wollen erst einmal schauen, welche Aufgabenbereiche es im Unternehmen überhaupt gibt. Das Praktikum dient dazu, für sich zu entdecken, wo man nach dem Studium einmal Fuß fassen könnte. Daher können Sie sich durchaus auf mehrere ausgeschriebene Praktika bewerben.

Wenn Sie - umgekehrt - bestimmte Fachgebiete bevorzugen, können Sie auch initiativ eine Bewerbung für ein Praktikum an Arbeitgeber senden. In Zeiten, in denen es zunehmend mühsam für Firmen ist, qualifiziertes Personal zu finden, sind viele offen für diese Form des Kennenlernens. Auch wenn ein Praktikum für einen Arbeitgeber monetär eher uninteressant ist, wird es als Rekrutierungsmaßnahme geschätzt. Wenn der Praktikant das Team und die Kultur im Unternehmen kennen- und schätzen gelernt hat, zieht er es möglicherweise auch als künftigen Arbeitgeber in Betracht.

Es ist keine Seltenheit, dass eine Firma einem Praktikanten - unabhängig davon, ob er weiter studieren möchte oder nicht - ein Angebot für einen Einstieg ins Unternehmen unterbreitet. Aus Sicht des Arbeitgebers ist es schwieriger, die Persönlichkeit eines Bewerbers zu entwickeln, als seine Fachkompetenz. Gerade in einer unverbindlichen Zeit der Zusammenarbeit können beide ausprobieren, ob sie über das Praktikum hinaus zusammenfinden könnten. Arbeitgeber sehen die Möglichkeit, potenzielle künftige Mitarbeiter in der Alltagspraxis zu beobachten, als ideale Voraussetzung für eine fundierte Personalentscheidung. Wenn ein Praktikant mit persönlichen Kompetenzen überzeugt und dazu eine fachliche Eignung mitbringt, stehen die Chancen sehr gut, dass daraus eine Zusammenarbeit resultieren könnte.

Sie meinen, Sie müssten dringend Geld verdienen. Ich weiß nicht, ob Sie später noch einen Master absolvieren wollen. Wenn nicht, könnten Sie das Praktikums strategisch als Sprungbrett ins Unternehmen sehen. Sie können im Anschreiben darauf hinweisen, dass Sie - wenn das Matching stimmt - durchaus offen sind, nachher bei diesem Arbeitgeber zu bleiben.

Wenn Sie das Studium mit dem Bachelor beenden wollen, erscheint es mir allerdings nicht grundsätzlich erforderlich, dass Sie überhaupt Praktika machen, bevor Sie in ein festes Angestelltenverhältnis wechseln. Versuchen Sie einfach mal, sich auch ohne Praktika auf die ausgeschriebenen Stellen zu bewerben!

Vincent Zeylmans war lange Bereichsleiter und Geschäftsführer in internationalen Konzernen und kennt deren Rekrutierungspolitik aus der Praxis. Heute lebt er als Autor, Karrierecoach und Outplacementberater in Emmerich.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2018
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