Frage an den SZ-Jobcoach:Soll ich meine Zeit im Betriebsrat verschweigen?

Anja G. hat ein Stellenangebot gefunden, das perfekt zu ihren Fähigkeiten passt. Aber sie ist unsicher, wie sie in Bewerbung und Vorstellungsgespräch damit umgehen soll, dass sie bei ihrem aktuellen Arbeitgeber im Betriebsrat sitzt.

SZ-Leserin Anja G. fragt:

Ich habe 20 Jahre in einem Institut für Markt- und Meinungsforschung in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. Ich bin versiert in Bürotätigkeiten aller Art, Office-Produkte beherrsche ich aus dem Effeff. Nun habe ich ein interessantes Stellenangebot für eine Sachbearbeiterstelle im Personalwesen entdeckt. Die Anforderungen entsprechen meinen Fähigkeiten. Allerdings sind unter anderem sozialversicherungsrechtliche Kenntnisse und Erfahrung im Vertragswesen gewünscht. Auch das traue ich mir ohne Weiteres zu. Nur habe ich diese speziellen Kenntnisse aus meiner fünfjährigen Tätigkeit als Betriebsrätin. Wie gehe ich damit in meiner Bewerbung um?

Vincent Zeylmans antwortet:

Liebe Frau G., zunächst einmal arbeiten viele Unternehmen konstruktiv und vertrauensvoll mit ihrem Betriebsrat zusammen. Sollte dieses auch bei Ihnen der Fall gewesen sein, können Sie das im Anschreiben ruhig betonen. Sollten Sie bereits aus dem Gremium ausgeschieden sein, können Sie eine Referenz angeben. Es gibt viele Gründe, sich als Mitarbeitervertreter zu engagieren. Ich kenne Unternehmen, in denen sich Kandidaten für den Betriebsrat aufstellen ließen, weil sie mit dem bisherigen, konfrontativen Kurs der Arbeitnehmervertretung nicht zufrieden waren. Das Bewerbungsanschreiben bietet die Möglichkeit, Ihre Entscheidung für Ihr Engagement zu erläutern.

Der SZ-Jobcoach

Der Autor und Coach Vincent Zeylmans war jahrelang Abteilungsleiter in internationalen Konzernen und kennt deren Rekrutierungspolitik aus der Praxis.

Sie erwähnen, dass Sie fünf von 20 Jahren Betriebsrätin waren. Vielleicht gelingt es Ihnen, Ihre Beweggründe positiv darzustellen. Wurde Ihre Firma beispielsweise von einem anderen Unternehmen übernommen, wollten Sie in unsicheren Zeiten Autorität zum Schutz der Kollegen gewinnen? War Ihr Engagement mit einem besonderen Anliegen verbunden, das Sie nach fünf Jahren erreicht hatten?

Nicht jeder Arbeitgeber sieht eine Betriebsratstätigkeit kritisch. Und Ihre Darstellung beeinflusst die Wahrnehmung natürlich signifikant. Gleichwohl kann es sein, dass Sie lieber nicht über diese Zeit reden wollen. Auch das wäre kein Problem. Dann erwähnen Sie lediglich, dass Sie Kenntnisse und Erfahrung im Vertragswesen vorweisen. Sie müssen im Anschreiben nicht begründen, woher diese stammen. Ich vermute, dass Sie auch bei Ihren sonstigen Kompetenzen nicht jeweils spezifisch darstellen, in welcher Situation Sie diese erworben und unter Beweis gestellt haben. Sollten Sie zum Vorstellungsgespräch eingeladen und in diesem Rahmen detailliert befragt werden, können Sie neu entscheiden.

Entweder wird im Gespräch klar, dass Sie ohnehin nicht zusammenpassen. Oder der Arbeitgeber ist von Ihrer Qualifikation überzeugt, Ihre Persönlichkeit passt zum Team und zur Unternehmenskultur. Dann können Sie selber einschätzen, ob das Vertrauen groß genug ist, um über Ihre Zeit als Betriebsrätin zu reden.

Haben Sie auch eine Frage zu Berufswahl, Bewerbung, Arbeitsrecht, Etikette oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten wählen einzelne Fragen aus und beantworten sie im Wechsel. Ihr Brief wird komplett anonymisiert.

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