Frage an den SZ-Jobcoach:Mit 48 noch mal in die Lehre?

SZ-Leser Martin W. ist promovierter Physiker und arbeitet in der Softwareentwicklung. Weil ihn sein Job belastet, würde er gerne noch mal ganz von vorne anfangen - doch als was? Der Jobcoach gibt Tipps zur Berufsfindung.

SZ-Leser Martin W. fragt:

Ich bin 48 Jahre alt und promovierter Physiker. Seit 14 Jahren arbeite ich als Softwareentwickler in einer eher speziellen Nische. Da meine Firma umstrukturiert wird (das heißt: Leute entlassen und Arbeitsplätze nach Indien verlagert werden), denke ich darüber nach, noch mal etwas völlig Neues auszuprobieren.

Mein alter Job hat mich immer sehr belastet, und ich kann mir so ziemlich alles vorstellen - vom Fliesenleger oder Bibliothekar bis zum Pub-Besitzer. Ist es möglich, in dem Alter noch eine Lehre zu machen oder den Weg in die Selbständigkeit zu gehen?

Madeleine Leitner antwortet:

Lieber Herr W., Physiker wie Sie streben bei ihrer Studienwahl meist keine Karriere im engeren Sinn an. Aus Mangel an beruflichen Alternativen in ihrem eigentlichen Bereich landen sie nach dem Studium oft mehr oder weniger desillusioniert in der Softwarebranche, die durch Schnelllebigkeit und ständige Veränderungen gekennzeichnet ist. Das erfordert eine große Umstellungs- und Improvisationsfähigkeit.

Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum die Branche besonders "jung" und die Beschäftigungsfähigkeit mit zunehmendem Alter besonders gefährdet ist.

Deshalb könnte es in Ihrem Fall durchaus Sinn haben, sich möglichst frühzeitig nach beruflichen Alternativen umzusehen. Ihre Ideen scheinen mir allerdings noch nicht ausgereift. Man gewinnt zwar den Eindruck von einer Person, die gerne exakt arbeitet und Ordnung schafft (Bibliothekar, in gewisser Weise auch Fliesenleger) oder auf Stil Wert legt (Pub), aber das ist zu spekulativ, um daraus konkrete Vorschläge abzuleiten. Mit folgenden Schritten könnten Sie Ihre Fragestellung systematisch angehen:

Erstens: Entwickeln Sie einige berufliche Alternativen, die Sie sich ernsthaft vorstellen können. Eine selbständige Tätigkeit ist grundsätzlich ab einem gewissen Alter immer eine Option, die Sie ins Visier nehmen sollten.

Nehmen Sie aber bitte auch weitere Punkte unter die Lupe, die den entscheidenden Unterschied zwischen Glück und Unglück ausmachen können: Wie viel Geld möchten und müssen Sie verdienen? Mit welchen und für welche Menschen möchten Sie gerne arbeiten? Wissenschaftler (Bibliothekar)? Gesellige Biertrinker (Pub)? Reiche Ästheten, die aufwendige Mosaike bezahlen können (Fliesenleger)?

Können Sie sich zum Beispiel vorstellen, bei Kälte und Dreck und stundenlang auf den Knien (Fliesenleger) oder nachts zu arbeiten (Pub)? Sind Sie eher Einzelkämpfer oder arbeiten Sie besser mit anderen zusammen? Vielleicht finden Sie auch Ideen, die eine Weiterentwicklung Ihrer bisherigen Tätigkeit und leichter zu realisieren sind.

Zweitens: Überprüfen Sie anschließend die Schnittmengen zwischen diesen Ideen und der Realität. Dafür unterhalten Sie sich mit mehreren Menschen, die in dem Beruf arbeiten, der Sie interessiert. Auf diese Art finden Sie heraus, wie es wirklich ist, wenn man in Ihrem Wunschberuf arbeitet. Ein Traum kann sich dann als Albtraum entpuppen und in Luft auflösen.

Drittens: Erst dann geht es um die Umsetzung: die Jobsuche oder Existenzgründung. Nichts ist generell unmöglich, wenn man den richtigen Weg dafür findet. Sie sollten aber wissen, wie wahrscheinlich Ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden.

Durch Ihre Recherche bei Praktikern haben Sie auch den richtigen Weg zum Ziel gefunden. Sie wissen zum Beispiel, ob Sie einen Kredit benötigen, wie hoch dieser in etwa ist und wie andere ihn bekommen haben. Sie wissen, ob Sie noch einmal die Schulbank drücken müssen und mit welcher Ausbildung.

So können Sie systematisch auf Ihr neues berufliches Ziel hinarbeiten.

Madeleine Leitner ist Diplom-Psychologin und hat als Therapeutin in Kliniken, als Gerichtsgutachterin und Personalberaterin für große Konzerne gearbeitet. Heute ist sie selbständige Karriereberaterin in München.

Haben Sie auch eine Frage zu Bewerbung, Berufswahl, Etikette, Arbeitsrecht, Karriereplanung oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten beantworten ausgewählte Fragen im Wechsel. Ihr Brief wird selbstverständlich anonymisiert.

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