Frage an den SZ-Jobcoach:Kann ich mit über 50 noch mal durchstarten?

Ältere Frau, nachdenklich

Wie schafft man am besten den Wiedereinstieg nach Jahrzehnten Berufsabstinenz? Der SZ-Jobcoach weiß Rat.

(Foto: iStock)

SZ-Leserin Andrea R. hat vier Kinder großgezogen und in den vergangenen 20 Jahren nur sporadisch in ihrem erlernten Beruf gearbeitet. Jetzt würde sie gerne wieder einsteigen, doch ihr fehlt das Selbstvertrauen. Der SZ-Jobcoach gibt Tipps für den Neuanfang.

Andrea R. fragt:

Ich bin 53 Jahre alt, habe vier Kinder großgezogen und in den vergangenen 20 Jahren nur sporadisch auf Honorarbasis in meinem alten Beruf als Grafikerin gearbeitet. Seit alle Kinder aus dem Haus sind, fällt mir die Decke auf den Kopf und ich überlege, ob ich noch einmal durchstarten soll.

Allerdings traue ich mir nichts mehr zu. Meine Computerausrüstung ist veraltet, für eine Selbständigkeit bin ich zu schlecht in Akquise, bei Bewerbungen würde ich wohl sofort ausgesiebt, und ich möchte mich nicht mehr in einen Ganztagsjob zwängen. Haben Sie eine Idee, was ich tun könnte?

Madeleine Leitner antwortet:

Liebe Frau R., wenn Frauen lange Zeit aus dem Berufsleben ausgestiegen sind, liegt das Selbstwertgefühl oft am Boden. Doch es gibt Wiedereinsteigerinnen, die erfolgreich eine Firma gründeten oder wieder in ihrem früheren Beruf Fuß fassten. Ihre Frage zeigt, dass Sie orientierungslos sind. Um ans Ziel zu kommen, sollten Sie mit System vorgehen. So können Sie Enttäuschungen und Fehlinvestitionen vermeiden.

Was bezwecken Sie mit einer beruflichen Aufgabe? Machen Sie sich bewusst, worum es bei Ihnen geht. Es ist ein großer Unterschied, ob Sie dringend Geld verdienen müssen oder ob Sie eine Tätigkeit suchen, damit Ihnen die Decke nicht auf den Kopf fällt. In bestimmten Branchen besteht immer Bedarf.

Es könnte für Sie eine Gelegenheit sein, sich einen Lebenstraum zu erfüllen und - mit oder ohne beruflichen Ambitionen - ein Studium oder eine bestimmte Weiterbildung in Angriff zu nehmen.

Entwickeln Sie drei bis fünf Alternativen. Machen Sie eine berufliche Standortbestimmung. Stellen Sie sich folgende Fragen: Was können Sie besonders gut? Was machen Sie gerne? Was davon würden Sie gerne beruflich tun? Möchten Sie zum Beispiel mit Zahlen arbeiten, Möbel restaurieren oder Kinder betreuen?

Zu Ihrer Standortbestimmung gehören weitere wichtige Eckpunkte: die gewünschte Branche, das Gehalt und die Stundenzahl, die Sie investieren möchten. Mindestens eine Variante sollte in selbständiger Form möglich sein.

Finden Sie heraus, ob Ihre Vorstellungen der Realität entsprechen. Nicht alles, was gut klingt, ist es auch. Sie sollten Ihre Ideen noch einmal an der Realität überprüfen. Dafür sollten Sie sich mit mehreren Personen unterhalten, die das tun, was Sie interessiert. Sie werden rasch feststellen, was Sie weiter verfolgen möchten - und welche Sie besser streichen. Dabei finden Sie heraus, was Ihnen in fachlicher Hinsicht fehlt. Dann wissen Sie, welche Weiterbildung Sie wirklich benötigen - wenn überhaupt.

Setzen Sie dann Ihre Idee in die Tat um. Die Stellensuche ist der letzte Schritt. Es gibt natürlich typische Vorbehalte gegen die Generation 50+, die hier ein objektives Handicap sind. Es gibt aber Arbeitgeber, die Lebenserfahrung, Zuverlässigkeit, Loyalität und Treue und echte Motivation schätzen.

Bei klassischen Bewerbungen haben Sie zwangsläufig die größte Konkurrenz. Aus diesem Grund sind Bewerbungen für alle Menschen, aber verstärkt für die mit objektiven oder vermeintlichen jobtechnischen Handicaps, die schlechteste Möglichkeit, um einen Job zu finden. Generell sollten Sie Absagen nie persönlich nehmen. Parallel sollten Sie Aktivitäten auf dem verdeckten Stellenmarkt entwickeln: Initiativbewerbungen, Kontakte zu Freunden und Bekannten, Aushilfstätigkeiten.

Bedenken Sie, dass freie Mitarbeiter oft gerne von Firmen eingesetzt werden. Es ist oft schwer, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was man kann und möchte - abgesehen von der Umsetzung. Erkundigen Sie sich nach Kursen für Wiedereinsteigerinnen. Im Kreis von Gleichgesinnten fällt vieles leichter.

Madeleine Leitner ist Diplom-Psychologin und hat als Therapeutin in Kliniken, als Gerichtsgutachterin und Personalberaterin für große Konzerne gearbeitet. Heute ist sie selbständige Karriereberaterin in München.

Haben Sie auch eine Frage zu Bewerbung, Berufswahl, Etikette, Arbeitsrecht, Karriereplanung oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten beantworten ausgewählte Fragen im Wechsel. Ihr Brief wird selbstverständlich anonymisiert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: