Frage an den SZ-Jobcoach:Kann ich mit 58 Jahren noch mal neu starten?

Natalie von W. war lange erfolgreich als selbständige Filmdramaturgin tätig. Als ihr vor zehn Jahren der größte Auftraggeber wegbrach, zog sie sich ins Privatleben zurück. Macht es jetzt Sinn, nochmal in die Arbeitswelt einzusteigen?

SZ-Leserin Natalie von W. fragt:

Ich bin 58, studierte Germanistin und war lange erfolgreich als selbständige Filmdramaturgin tätig. Ich las und bearbeitete deutsche, englische, französische und italienische Drehbücher. Mit der Insolvenz der Kirch-Gruppe vor zehn Jahren kam mir mein größter Auftraggeber abhanden. Ich zog mich resigniert aus der Medienbranche zurück und bewirtschafte seitdem unser großes Anwesen mit vielen Tieren. Mein Mann verdient zum Glück sehr gut. Aber ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, wieder etwas in meinem Beruf zu machen. Ich weiß, was ich kann und will: mit Sprache umgehen, inhaltliche und formale Strukturen erfassen, ergründen, vermitteln. Darüber hinaus bin ich durch Herkunft und soziales Umfeld sehr sicher in Etikette und im Umgang mit Menschen. Sehen Sie eine Möglichkeit für mich, in Industrie, Werbung oder Verlagswesen noch einmal einen Neuanfang zu wagen?

Madeleine Leitner antwortet:

Liebe Frau von W., eigentlich befinden Sie sich in einer beneidenswerten Position. Sie würden Ihre vielfältigen Kompetenzen gern wieder in einem beruflichen Umfeld nutzen und dabei spielen finanzielle Aspekte eine untergeordnete Rolle. Dieses Privileg erlaubt Ihnen Freiräume, die andere nicht haben. Ihre Frage kann man unter zwei Aspekten betrachten:

Der SZ-Jobcoach

Madeleine Leitner ist Diplom-Psychologin und hat als Therapeutin und Personalberaterin gearbeitet. Heute ist sie selbständige Karriereberaterin.

Erstens: Welche Möglichkeiten bietet Ihr früheres Arbeitsgebiet? Mit der Filmbranche steht es leider auch heute nicht zum Besten. Anhaltendes Preisdumping, sinkender Qualitätsanspruch, harte Bandagen durch die starke Konkurrenz - davon berichten übereinstimmend einige meiner Klienten aus der Szene. Sie sollten abwägen, wie hoch Ihr subjektiver Gewinn ist und ob er die negativen Aspekte wirklich kompensieren kann. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie Sie an Aufträge kommen. Bekanntlich läuft das vor allem über Kontakte. Nach zehn Jahren Pause dürfte das in Ihrem Fall nicht mehr so einfach sein. Dennoch kann es einen Versuch wert sein. Schließlich haben Sie ja etwas vorzuweisen, und manchmal hat man auch einfach Glück. Überlegen Sie sich daher, welche Anknüpfungspunkte es geben könnte, sei es zum Beispiel die Wiederbelebung von alten Kontakten oder der Besuch von Veranstaltungen.

Zweitens: Welche Alternativen gibt es, bei denen Sie Ihre Stärken einsetzen können? Sie könnten als Ghostwriterin tätig werden, Geschäftsberichte lektorieren, Pressearbeit machen oder als freie Lektorin für Bücher oder Drehbücher arbeiten, Seminare zum Schreiben von Drehbüchern oder zur Business-Etikette anbieten. All diese Aufgaben sind nicht an ein bestimmtes Alter gebunden und können selbständig ausgeübt werden. Auch hier müssen Sie sich auf eine längere Anlaufzeit einstellen. Um hineinzukommen, brauchen Sie die passenden Kontakte.

Zunächst sollten Sie aber klären, wie es in Ihrer früheren Branche und bei möglichen Alternativen wirklich zugeht. Ein vermeintlicher Traum kann bekanntlich in Wirklichkeit ein Albtraum sein. Davon sollten Sie abhängig machen, wie viel Zeit und Aufwand Sie in eine alte oder neue Aufgabe investieren möchten. Da Sie nicht unter finanziellem Druck stehen, sollten Sie sich zunächst einmal ausgiebig in der Szene umschauen. Nehmen Sie Ihre jetzige Fragestellung als Ausgangspunkt, um sich mit Branchenkennern darüber zu unterhalten. Vermeiden Sie dabei aber unbedingt den Eindruck, dass es Ihnen vor allem um Aufträge oder gar einen Job geht. Sonst geraten Sie sofort in eine unangenehme Bittsteller-Haltung.

Möglicherweise nimmt diese Recherche sogar noch eine andere Wendung. Angenommen, Sie stellen fest, dass keine Ihrer Ideen wirklich attraktiv ist. Dann können Sie sich auch bewusst entscheiden, es bei Ihrer aktuellen Situation zu belassen. Auch das kann Ihnen Frieden bringen. Frustrierend ist nur, wenn Menschen ein Leben lang das Gefühl haben, eigentlich hätten Sie gerne dies und das gemacht.

Haben Sie auch eine Frage zu Berufswahl, Bewerbung, Arbeitsrecht, Etikette oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten wählen einzelne Fragen aus und beantworten sie im Wechsel. Ihr Brief wird komplett anonymisiert.

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