Frage an den SZ-Jobcoach:Kann ich mit 32 noch eine Umschulung machen?

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Die 32-jährige Alexandra P. fragt: Soll ich meinen Job aufgeben und noch mal ganz von vorne anfangen?

(Foto: Jessy Asmus)

Alexandra P. hat erst mit der Geburt ihres Kindes entdeckt, was ihr Traumberuf ist. Vom Jobcoach will sie wissen, ob sie jetzt ihren besser bezahlten Job kündigen soll.

SZ-Leserin Alexandra P. fragt:

Ich bin 32 Jahre alt, habe einen Master in Geografie und arbeite seit fünf Jahren in der Windparkplanung. Seit der Geburt meiner Tochter vor sechs Wochen weiß ich auf einmal, was ich wirklich will: Mein größter Wunsch ist es, Hebamme zu werden! Ich überlege, ob ich nach Ende der Elternzeit meinen unbefristeten Job aufgeben und eine Ausbildung zur Hebamme beginnen soll. Vorher müsste ich noch Praktika machen, und das alles mit einem kleinen Kind und einem Mann, der nicht besonders gut verdient. Rational gesehen ist das Wahnsinn - aber wenn es doch der Traumberuf ist?

Christine Demmer antwortet:

Liebe Frau P., mein erster Glückwunsch geht an Sie und Ihren Nachwuchs. Mein zweiter an all die Krankenhäuser und Arztpraxen, die zunehmend verzweifelt nach Hebammen suchen und denen Sie jetzt Hoffnung machen: Es gibt ihn also doch, den Nachwuchs, für den die Geburtshilfe der schönste Beruf der Welt ist. Man hatte schon fast aufgegeben, daran zu glauben. Und jetzt kommen Sie und jubeln: "Das ist mein Traumberuf. Ich will das machen."

Ich bin etwas unschlüssig, was Sie von mir erwarten. Sowohl die Wahl als auch die Abwahl des Berufes gehören zu den grundlegenden Lebensentscheidungen, die jeder Mensch für sich selbst treffen muss. Was Sie allerdings tun können und in Anbetracht der von Ihnen geschilderten familiären Lage auch unbedingt tun sollten, ist, sich alle eventuellen Illusionen (Die umhegte Geburt! Das Baby! Die Glückshormone!) von den Augen zu reiben und mit nunmehr klarem Blick an die Entscheidung heranzugehen. So, wie Sie vermutlich auch einen Windpark planen: Dieses spricht dafür, jenes dagegen, dann gewichten Sie die Argumente, betrachten das Gesamtbild. Politische Zielsetzungen klammern wir jetzt mal aus. In den Beruf führt eine dreijährige Ausbildung an einer Hebammenschule. Nach 2020 soll wie überall in Europa ein Hochschulstudium vorgeschrieben sein. Bis zum Bachelor dauert es auch drei Jahre - und allzu viele Studiengänge gibt es noch nicht -, aber was soll's: Traumberuf. Die Arbeit ist anstrengend, reicht weit in die Freizeit hinein und ist trotz des Mangels an Hebammen schlecht bezahlt.

Erklären lässt sich das nur mit der Begeisterung vieler Frauen für die Geburtshilfe. Es ist ja auch schön, neues Leben auf die Welt zu bringen - wer denkt da schon an die Miete? Wer es trotzdem tut, hat früher gern das Privileg in Anspruch genommen, freiberuflich zu arbeiten. Weil die Prämien für die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung aber explodiert sind, lohnt sich das auch nicht mehr. Viele selbständige Hebammen suchen deshalb nach einer Festanstellung. Das wiederum drückt auf die Gehälter. Aber was soll's. Traumberuf.

Angesichts dieser ernüchternden Fakten wundert es nicht, dass Hebamme ein reiner Frauenberuf ist. Männer dürften schon, wenn sie wollten. Aber sie wollen nicht. Sie träumen von gut bezahlten Berufen, in denen sie anderen Menschen Anweisungen geben können. Das machen Hebammen zwar auch. ("Und jetzt hecheln! Und entspannen!") Doch für sie überstrahlt die Freude, jungen Müttern zu ihren Babys verhelfen zu können, alles andere. Für sie ist es der Traumberuf.

Wenn Sie auch so fühlen, dann schießen Sie Ihre Parks in den Wind. Für diesen Job findet sich eher Ersatz als für eine liebevolle und kompetente Hebamme, die sich dreimal in der Woche mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln lässt, an die Seite einer werdenden Mutter eilt und mit ihr zusammen die nächsten 24 Stunden durchsteht. Aber denken Sie besser noch mal darüber nach.

Christine Demmer arbeitet als Wirtschaftsjournalistin, Sachbuchautorin und Coach in Deutschland und Schweden.

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