Frage an den SZ-Jobcoach:Darf mein Chef verlangen, dass ich im Auto telefoniere?

Timm T. ist beruflich viel im eigenen Pkw unterwegs. Nun verlangt sein Chef von ihm, diese "verschwendete Arbeitszeit" auch sinnvoll zu nutzen. Muss er die Anweisung befolgen?

SZ-Leser Timm T. fragt:

Ich muss beruflich viel mit dem Auto fahren. Ich bin dabei in der Woche ungefähr neun Stunden im eigenen Pkw unterwegs. Nun hat mein Chef mir erklärt, dass er dies für "verschwendete Arbeitszeit" hält und mir vorgeschlagen, ich solle in dieser Zeit beruflich telefonieren. Darf mir mein Chef vorschreiben, was ich während der Autofahrt zu tun habe?

Ina Reinsch antwortet:

Lieber Herr T., der Gesetzgeber definiert Arbeitszeit als den Zeitraum vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. Daher liegt Arbeitszeit auch dann vor, wenn jemand auf Dienstreisen arbeitet. Was die Reisezeit selbst betrifft, differenziert das Bundesarbeitsgericht (BAG) aber: Schreibt der Chef dem Arbeitnehmer die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel vor, überlässt es aber ihm, wie er seine Reisezeit nutzt, liegt keine Arbeitszeit vor. Selbst dann nicht, wenn der Mitarbeiter in der Bahn oder im Flugzeug freiwillig den Laptop aufklappt.

Der SZ-Jobcoach

Ina Reinsch lebt als Rechtsanwältin, Autorin und Referentin in München und befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Arbeitsrecht.

Anders sieht die Lage aus, wenn der Mitarbeiter auf Anweisung des Chefs mit dem Auto fährt. Es spricht einiges dafür, die Reisezeit als Arbeitszeit zu werten. Das BAG hat diese Frage bisher allerdings offengelassen. Klar ist die Situation bei Arbeitnehmern, die hauptberuflich Auto fahren wie etwa Berufskraftfahrer oder Außendienstmitarbeiter. Bei ihnen ist die Reisezeit auch Arbeitszeit.

Unabhängig davon wird Reisezeit aber immer dann zur Arbeitszeit, wenn der Mitarbeiter währenddessen auf Weisung des Chefs berufliche Aufgaben erledigt. Hier kommen wir zum Kern Ihrer Frage: Darf der Arbeitgeber Ihnen zusätzlich zum Autofahren abverlangen, beruflich zu telefonieren? Weil im Arbeitsvertrag Art und Umfang der Tätigkeit meistens nur grob geregelt sind, steht dem Arbeitgeber zur Konkretisierung ein sogenanntes Weisungsrecht zu. Seit 2003 existiert zu diesem Weisungsrecht, auch Direktionsrecht genannt, eine gesetzliche Regelung: Nach § 106 der Gewerbeordnung kann der Chef Arbeitsinhalt, Arbeitsort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen.

Allerdings gilt das Weisungsrecht nicht uneingeschränkt. Es findet seine Grenzen in den Gesetzen, dem Arbeitsvertrag, tarifvertraglichen Regelungen sowie den Beteiligungsrechten des Betriebsrates. Diese Regelungen haben Vorrang. Daher darf der Chef beispielsweise nicht anweisen, dass Sie während der Fahrt mit dem Handy ohne Freisprecheinrichtung telefonieren oder parallel dazu Termine ins Smartphone eintragen. Dieses Verhalten ist nach § 23 Absatz 1a der Straßenverkehrsordnung verboten. Arbeitnehmer können durch das Direktionsrecht nie dazu verpflichtet werden, gesetzlich verbotene Arbeiten auszuführen.

Zusätzlich hat der Arbeitgeber die Schranken des sogenannten billigen Ermessens zu beachten (§ 315, Bürgerliches Gesetzbuch). Dieser unbestimmte Rechtsbegriff verlangt vom Arbeitgeber eine Abwägung der beidseitigen Interessen, in die er alle Umstände des Einzelfalls miteinbeziehen muss. Konkret bedeutet das: Ihr Chef hat ein berechtigtes Interesse daran, dass Sie freie Kapazitäten während der Autofahrt sinnvoll für die Firma einsetzen und Telefongespräche führen. Auf der anderen Seite müssen Sie sich auf den Verkehr konzentrieren. Allein schon die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr kann aber zu einer Belastung führen, die manchmal andere Tätigkeiten nicht zulässt.

Eine pauschale Antwort wird es daher leider nicht geben. Je nach Verkehrsaufkommen, Fahrtstrecke und Dauer können Gespräche mit Kollegen oder Kunden, etwa um Termine abzustimmen oder kurze Fragen zu klären, durchaus zumutbar sein. Komplizierte Verhandlungen oder Kontroversen, die Ihre volle Aufmerksamkeit erfordern, halte ich bei langen und anstrengenden Fahrten dagegen für überzogen. Ich würde Ihrem Chef daher freundlich mitteilen, dass Sie gerne während der Fahrt die eine oder andere Konversation führen, komplizierte Gespräche aber lieber in Ruhe. Das dürfte im Übrigen auch im Interesse Ihres Chefs liegen.

Haben Sie auch eine Frage zu Berufswahl, Bewerbung, Arbeitsrecht, Etikette oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten wählen einzelne Fragen aus und beantworten sie im Wechsel. Ihr Brief wird komplett anonymisiert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: