Süddeutsche Zeitung

Frage an den SZ-Jobcoach:Bin ich mit 59 zu alt für den Quereinstieg?

Thomas T. war lange Zeit erfolgreich in seinem Job. Jetzt wird er dort nicht mehr gebraucht und möchte sein Knowhow anderswo einbringen.

SZ-Leser Thomas T. fragt:

Ich habe 32 Jahre lang in gehobener Position in der Marktforschung gearbeitet. Nun habe ich einen Aufhebungsvertrag unterschrieben, weil sich die Firma von einem traditionellen Marktforschungsinstitut zu einem digitalen Tech-Unternehmen wandelt, in der meine durchaus anerkannten Fähigkeiten nicht mehr gebraucht werden. Ich möchte meine wertvolle Erfahrung aber noch ein paar Jahre einbringen und schaue auch auf Quereinsteiger-Jobs in anderen Bereichen. Bisher habe ich nur Absagen erhalten, was wohl an meinen 59 Jahren, einer gewissen Überqualifikation, verbunden mit hohen Gehaltserwartungen, liegt. Wie kann ich meine Bewerbung optimieren?

Vincent Zeylmans antwortet:

Lieber Herr T., obwohl es für Unternehmen schwieriger wird, qualifiziertes Personal zu gewinnen, tun sie sich noch immer schwer, ältere Mitarbeiter einzustellen. Die Gründe sind bekannt, häufig handelt es sich um Vorurteile: Arbeitgeber befürchten mehr Krankmeldungen, weniger Leistung, eine schwierigere Integration und höhere Gehaltsansprüche. Der wertvollen Berufserfahrung steht in manchen Bereichen ein veraltetes Fachwissen gegenüber.

Wer den Arbeitgebern aber Unbeweglichkeit in der Altersfrage unterstellt, tut ihnen unrecht. Die kritische Grenze hat sich in den letzten zehn Jahre durchaus von Mitte 40 auf Mitte 50 verlagert. Das bedeutet nicht, dass Bewerbungen ab diesem Alter sinnlos sind. Man muss aber mit deutlich höherem Aufwand rechnen.

Dabei gilt es einiges zu berücksichtigen. Wer sich auf ausgeschriebene Stellen bewirbt, begibt sich in einen Wettbewerb und konkurriert je nach Position mit mehreren Dutzend bis einigen Hundert Kandidaten. Wenn der Arbeitgeber die Wahl hat, wird er sich häufig für jüngere Bewerber entscheiden. Ältere können dagegen mit ihrem spezifischen Fach- und Branchenwissen punkten oder etwa im Vertrieb mit einem Netzwerk.

Personaler beklagen, dass im Zuge der Digitalisierung die Qualität der Bewerbungen nachlässt. Manche behaupten sogar, dass lediglich zehn Prozent aller Bewerbungen verwertbar seien. Achten Sie also auf exzellente Unterlagen, mit denen Sie auf Anhieb überzeugen! Ihre Leistungen und Kompetenzen sollen sofort sichtbar werden und nicht nur der Werdegang. Größere Chancen haben Sie beim Mittelstand, bei unbekannten Unternehmen und in Regionen, die als weniger attraktiv wahrgenommen werden.

Es gibt zahlreiche Optionen

Mit 59 Jahren können Sie natürlich auch andere Optionen in Betracht ziehen. Gerade als Interim- oder Projektmanager wird Erfahrung nicht nur geschätzt, sondern vorausgesetzt. Eine gute Anlaufstelle ist die Dachgesellschaft Deutsches Interim Management. Darüber hinaus gibt es viele Vermittlungsgesellschaften, die für die Akquisition der Aufträge einen Prozentsatz vom Honorar zurückhalten. In manchen Fällen setzt dieses Vorgehen eine Überarbeitung des Lebenslaufs voraus: Er sollte dann eher als Projektliste erstellt werden, in der Sie Situationen beschreiben, die Sie bereits in Ihrem Berufsleben vorgefunden haben. Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, welche Ergebnisse erzielt?

Andere Menschen in Ihrer Situation wollen ihre Führungskompetenzen jüngeren Firmen oder Start-ups zur Verfügung stellen. Manche beteiligen sich, andere erhalten ein Beiratsmandat. Einige Teilhaber verbinden ein finanzielles Engagement mit der Übernahme einer operativen Verantwortung. Wieder andere investieren in ein Franchisemodell oder treten in eine Unternehmensnachfolge ein. Das ist mit 59 Jahren allerdings vor allem dann sinnvoll, wenn Sie einen jüngeren Partner an Ihrer Seite haben.

Vincent Zeylmans war lange Abteilungsleiter in internationalen Konzernen und kennt deren Rekrutierungspolitik aus der Praxis. Heute ist er Autor, Karriere-Coach und Outplacement-Berater.

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SZ vom 30.03.2019
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