SZ-Leser Stephan P. fragt:
Ich bin 46 Jahre und habe viele Jahre in Vollzeit einen Familienangehörigen gepflegt. Aus meinen alten Berufen (zuletzt war ich Dozent für Multimedia-Programme) bin ich lange raus, so dass ich mich beruflich komplett neu orientieren muss. Finanziell könnte ich es mir leisten, noch einmal zu studieren. Ich bin aber weder handwerklich besonders geschickt noch ein Sprachgenie, ansonsten halte ich mich für schlau und flexibel genug, jedes Uni-Studium halbwegs gut zu schaffen. Aber wenn ich studiere, habe ich nur noch einen Schuss frei. Deswegen frage ich ganz direkt: Gibt es Berufe, bei denen die Arbeitgeber so verzweifelt Bewerber suchen, dass sie sogar einen dann etwa 50-jährigen Berufsanfänger akzeptieren würden?
Christine Demmer antwortet:
Lieber Herr P., ich bin absolut sicher: Es gibt Arbeitgeber, die Berufsanfänger im fortgeschrittenem Lebensalter nehmen, die viele Jahre lang kein Unternehmen von innen gesehen haben. Die gibt es. So wie es auch im Universum Planeten gibt, auf denen sich humanoide Formen von Leben entwickelt haben. Astrophysiker haben zwar noch keine gefunden, aber sie haben ausgerechnet, dass es sie irgendwo geben muss. Es ist nur eine Frage der Zeit, sie zu finden. Und genau diese Zeit haben Sie nicht. Oder richtiger: Diese Zeit sollte Ihnen für einen Funken Hoffnung, der angesichts von aktuell 2,8 Millionen Studierenden allein an deutschen Hochschulen fraglos zerstieben wird, zu schade sein.
Wollen Sie tatsächlich noch einmal vier bis fünf Jahre lang zur Uni gehen und einen ganz neuen Beruf lernen? Auch wenn Sie das Zeug dazu hätten: Sie haben doch einen Beruf. Sogar einen relativ modernen. Denn an den Grundlagen Ihres Fachs hat sich bis heute nichts geändert. Die Leute spielen an elektronischen Geräten, was das Zeug hält. Wir rechnen nach wie vor acht Bit auf ein Byte. Es gibt noch immer Audio- und Video-Formate, auch wenn die heute etwas anders aussehen. Software wird geschrieben wie eh und je und funktioniert wie eh und je. Sogar ISDN hat großflächig überlebt. Und noch haben sich Quantencomputer, bei denen Sie Ihre Ausbildung tatsächlich vergessen könnten, nicht durchgesetzt.
Nutzen Sie also Ihren Freischuss, um sich in Ihrem Beruf auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Gehen Sie durchaus noch einmal zur Universität, aber bleiben Sie Ihrem Fach treu, anstatt mitten im Lebensritt das Pferd zu wechseln. Andernfalls befürchte ich, dass Sie sich als älterer Berufsneuling im übertragenen Sinne eine blutige Nase holen werden. Aber als 50-Jähriger, der es geschafft hat, nach einer längeren Phase der Familienarbeit an seinen früheren Beruf anzuknüpfen, können Sie stolz sein auf sich. Das wird man dann aus Ihren Bewerbungen auch herauslesen können.
Die große Karriere - Vorstandsvorsitzender, CEO und so weiter - werden Sie ohnehin nicht mehr anstreben, da Sie in den letzten Jahren gelernt haben, was wirklich wichtig ist im Leben. Sie sollten sich weiterbilden - per Selbststudium, in einem Lehrgang oder Weiterbildungsstudium - und als Spezialist für einen Multimedia-Teilbereich qualifizieren.
Etwa Produktions- und Ablaufpläne erstellen, Programmkonzepte erstellen. Oder Programmierfehler feststellen und beheben, Änderungswünsche vornehmen, Anwendungen und Einstellungen testen und auf Fehlerfreiheit prüfen, Kunden beraten und informieren oder Schulungen an den Produkten durchführen. Dafür nimmt man gerne lebenskluge Mitarbeiter. Beweisen Sie Ihrem künftigen Arbeitgeber, dass Sie das sind.
Christine Demmer arbeitet als Wirtschaftsjournalistin und Coach in Deutschland und Schweden. Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher zu Kommunikations- und Personalthemen.