Forschung mit Herz:Zeichen der Liebe

Briefe, Zettel, SMS: Wissenschaftler entschlüsseln die schriftliche Kommunikation von Liebenden.

Nicola Holzapfel

"Die Liebe ist gar nicht etwas, was man in Händen hat und dem schenken kann, dem man gerne möchte, sondern man ist ihr einfach ausgeliefert", schrieb Maria von Wedemeyer an Dietrich Bonhoeffer vor etwa 60 Jahren. Heute ist ihr intimes Liebes-Bekenntnis Gegenstand der Forschung geworden und wird auf wissenschaftlichen Tagungen öffentlich referiert.

Briefe, Zettel, SMS: Wissenschaftler entschlüsseln die schriftliche Kommunikation von Liebenden.

Romantisches Bekenntnis in Mundart aus dem Liebesbriefe-Archiv der Uni Zürich (siehe Bildergalerie)

(Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Mit diesem Schicksal ist sie in guter Gesellschaft. Auch die Herzensergüsse von Friedrich Wilhelm II von Preußen und Ingeborg Bachmann sind in die Fänge der Wissenschaft geraten. "Wir betreten Neuland. Es gibt noch keine Kulturgeschichte des europäischen Liebesbriefs", sagt Renate Stauf. Die Germanistin leitet an der TU Braunschweig ein Projekt, bei dem die Entwicklung erotischer Kommunikationsformen über drei Jahrhunderte untersucht werden soll.

Den Liebesbrief, wie wir ihn heute kennen, gibt es erst seit 300 Jahren. Auch im 17. Jahrhundert gab es schriftliche Liebesbezeugungen. "Aber es gab feste Regeln. Eine nicht vorhandene Liebe wurde simuliert oder eine wahrhaftige so scherzhaft und galant vorgebracht, dass die lesende Person sie für eine verstellte halten mussten. Man durfte in der vorbürgerlichen Kultur nicht ehrlich sein und keine eigenen Worte für die Liebe finden", erklärt Stauf. Im 18. Jahrhundert versuchten Liebende erstmals, ihre wahren Gefühle auf Papier zu bringen. Der Liebesbrief sollte ein Spiegel der Seele, eine Urkunde des Herzens sein. Dabei bezogen sich Liebende häufig auf Muster der literarischen Liebessprache. "Liebe in Briefen ist bis heute stets auch angewandte Lektüre und gelebter Text", sagt Stauf.

Auch wenn der Liebesbrief per se als romantisch gilt: Die Briefe früherer Jahrhunderte sind in ihrer Rührseligkeit heute unerreichbar. Verliebte zeigen sich bei ihren schriftlichen Herzensergüssen inzwischen viel realistischer. Renate Stauf beschreibt den Zwiespalt moderner Liebeskommunikation: "Im 20 Jahrhundert kommen immer mehr Zweifel auf, ob die Sprache das, was man im Brief mitteilen will, überhaupt vermitteln kann. Dazu kommt die Vorstellung, dass auch das Ich etwas Zweifelhaftes ist. Man weiß um die Fragilität des eigenen Erlebens und um die Fragwürdigkeit des Anderen. Die Liebessprache wird komplexer und reflektierter. Sie lebt von Selbstinszenierungen und wechselseitigen Zuschreibungen." So formulierte Kafka in seinen Liebesbriefen an Milena, das Briefeschreiben sei ein "Verkehr mit Gespenstern", geschriebene Küsse kämen nicht an.

Wer wissen will, wie und was sich Liebende heute schreiben, muss mit Eva Wyss sprechen. Die Sprachwissenschaftlerin hat an der Universität Zürich ein Liebensbrief-Archiv der Gegenwart aufgebaut. Für ihre Habilitation über den "Liebesbrief im 20. Jahrhundert" rief Wyss in mehreren Medien dazu auf, ihr private Liebesbotschaften zu schicken. Der Rücklauf war überwältigend. Sie erhielt seitenlange Briefe, kleine Zettelchen mit Kinderhandschrift, erotische E-Mails und flüchtige SMS. Inzwischen hat sie mehr als 6000 Dokumente archiviert.

Wyss betont, dass sie jede Nachricht kennt. Aber alles gelesen hat sie nicht. "Es gibt Bündel mit mehren hundert Briefen. In den 30er und 40er Jahren haben sich Liebende mehrmals täglich geschrieben", erklärt sie die Kapitulation vor ihrem eigenen Archiv. Die Germanistin versucht all die persönlichen Geschichten, die mit den Briefen in ihr Büro gelangt sind, auf wissenschaftliche Distanz zu halten. Doch es gibt Momente, die sehr berühren. Wyss erinnert sich an einen Brief, der kurz vor dem Sterben geschrieben wurde.

Zeichen der Liebe

Vieles sei allerdings sehr stereotyp. Dem Versuch, einen einmaligen Text zu schreiben stehe die unvermeidliche Wiederholung entgehen. "Der Liebesbrief wird zu einem großen Zitat, Wörter und Wendungen wiederholen sich, sattsam bekannte Liebesschwüre und Kosenamen tauchen auf. Ganze Textpassagen scheinen sich zu gleichen", schreibt Wyss im Vorwort zu ihrer Veröffentlichung ausgewählter Briefe.

Die gesellschaftlichen Vorstellungen, was männlich und was weiblich ist, spiegeln sich in der Liebessprache wider. Beide Partner halten sich stark an Rollen-Schemata: "Die Briefe der Frauen sind sehr viel zurückhaltender. Für sie ist es offenbar schwierig, Leidenschaft zu zeigen. Männer dagegen sind sehr in den Wolken. Sie schreiben mit sehr viel Pathos über ihre Liebesgefühle", sagt Wyss. Das schlägt bis zur Anrede durch. Ein "Mein liebstes Muckelchen" etwa war auch im 20. Jahrhundert Frauen vorbehalten. Männer dagegen wurden bis zu den 70er Jahren immer mit ihrem Vornamen angeschrieben.

Wyss Liebesarchiv gibt schöne Einblicke, wie sich Liebes- und Sehnsuchtsformeln über die Zeit ändern. So war Anfang des 20. Jahrhunderts die Formulierung "Ich habe so großes Heimweh nach dir" völlig üblich. Für die heutige Zeit ist typisch, dass sich die Möglichkeiten, seine Liebe zu bekennen, vervielfältigt haben. "Es gibt eine Poylphonie von Liebes- und Sehnsuchtsformeln, die abhängig von Milieu und Alter sind."

Junge Menschen schreiben ein "Ich liebe dich" höchstes als PS. Und in akademischen Kreisen gibt man sich offenbar gerne realistisch. Die Romantik wird mit einem Schuss Pragmatismus gewürzt. Da heißt es dann: "Ich sehne mich sehr nach dir. Aber ich fühle mich auch wohl hier allein".

Wyss glaubt, dass mit den Kommunikationsmöglichkeiten über E-Mail und Handy, Liebensnachrichten einen Aufschwung erleben. Durch die Geschwindigkeit der Kommunikation sei gar eine "Flirtschriftlichkeit" entstanden.

Annette Simonis von der Uni Gießen untersucht, wie Liebende über neue Medien wie E-Mail und Handy kommunizieren. Die Wissenschaftlerin hat in der SMS-Kommunikation Elemente zärtlicher Liebessprache entdeckt. "Es ist natürlich ein Verlust an Ausführlichkeit im sprachlichen Ausdruck, aber SMS lassen Raum für spontanen Gefühlsausdruck. Sie können auf frühere Zärtlichkeiten anspielen und Assoziationen wecken."

Wie Wyss Liebes-Archiv zeigt, gibt es vor allem von älteren Handynutzern sehr romantische Kurzmitteilungen. "Erwachsene werden mit SMS poetischer. Sie haben den Anspruch und auch den Spaß daran, auf 160 Zeichen etwas Ansehnliches hinzuschreiben."

Annette Simonis vergleich die SMS mit den "billetti" aus dem 18. Jahrhundert, kleinen Kärtchen mit Grüßen oder Verabredungen, die Kavaliere damals ihren Damen zukommen ließen. "Die SMS bleibt ergänzungsbedürftig. Sie setzt voraus, dass die Partner auch anderweitig kommunizieren oder sich sehen." Die kurzen Nachrichten reichen nicht aus, um eine dauerhafte Verbindung entstehen zu lassen.

Die Kürze und die Schnelligkeit der Kommunikation per SMS sei typisch für unsere moderne Lebensform, sagt Simonis. "Es fehlt die Zeit, lange Briefe zu schreiben. Daher bleibt auch die Liebeskommunikation punktuell."

Eva Lia Wyss, Leidenschaftlich eingeschrieben. Schweizer Liebesbriefe, Nagel&Kimche 2006

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