Formulierungen im Arbeitszeugnis:Die Chiffren der Chefs

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"Er hat Einfühlungsvermögen bewiesen" - klingt positiv, oder? Ist aber womöglich ein Hinweis des Personalers auf das Sexleben des Angestellten. Jetzt muss das Bundesarbeitsgericht über die Geheimsprache in Arbeitszeugnissen entscheiden.

Von Daniela Kuhr

Ganze fünf Buchstaben sind es, die seit mehr als zwei Jahren die Gerichte beschäftigen - und an diesem Dienstag das Bundesarbeitsgericht. Es geht um das Wörtchen "stets". Eine Berlinerin, die eine Zeit lang an der Rezeption einer Arztpraxis arbeitete, vermisst dieses Wort in ihrem Abschlusszeugnis. Ihr Chef schrieb, sie habe "zu unserer vollen Zufriedenheit" gearbeitet. Sie aber hätte den Satz gern um besagte fünf Buchstaben erweitert - und hat sich deshalb bereits durch zwei Instanzen geklagt. Beide Male mit Erfolg. Der Arbeitgeber aber bleibt stur. Er meint, "stets" würde signalisieren, dass die Mitarbeiterin überdurchschnittlich gut gearbeitet habe, doch seien ihre Leistungen nur durchschnittlich gewesen.

Wer recht hat, werden nun Deutschlands höchste Arbeitsrichter klären müssen. Es ist einer der seltenen Fälle, in denen es der Streit um ein Arbeitszeugnis bis in die dritte Instanz schafft. Nicht, weil so selten darum gerungen würde. "Das ist im Gegenteil sogar recht häufig der Fall", sagt Günter Huber, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Freiburg. "Doch normalerweise einigen sich die Parteien spätestens in der ersten Instanz."

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Dass es bei Arbeitszeugnissen häufig zu Meinungsverschiedenheiten kommt, hat einen einfachen Grund: Anders als in der Schule kann der Arbeitgeber nicht auf Noten zurückgreifen, die der Arbeitnehmer angesammelt hat. Stattdessen muss er eine Gesamtbeurteilung abgeben. Und die muss einerseits der Wahrheit entsprechen, andererseits aber in jedem Fall "wohlwollend" sein. So verlangen es die Arbeitsgerichte.

Was positiv klingt, kann einem kundigen Personaler die Augen öffnen

"Das hat dazu geführt, dass sich mit der Zeit so etwas wie eine eigene Zeugnissprache entwickelt hat", sagt Huber. "Weil der Arbeitgeber dem nächsten potenziellen Arbeitgeber gegenüber ehrlich sein will, aber gleichzeitig keinen Ärger mit seinem Angestellten wünscht, wählt er Formulierungen, die positiv klingen, aber einem kundigen Personalchef dennoch die Augen öffnen."

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Beispiele dafür gibt es viele. So ist es kein Grund zur Freude, wenn jemand in seinem Zeugnis Formulierungen findet wie: Er habe "alle Aufgaben mit Fleiß und Interesse erledigt", er habe "sich sehr lernwillig gezeigt", oder die Mitarbeiterin habe "Verständnis für ihre Arbeit gezeigt". Zwar klinge all das gut, sagt Huber, "doch letztlich sind es Floskeln. Wenn einem Arbeitgeber aber nichts Besseres zu seinem Mitarbeiter einfällt als Floskeln, dann ist das bedenklich".

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"Sie hat ihre Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt." In dieser chiffrierten Formulierung fehlt das Wort "stets", meint eine Arbeitnehmer und klagt gegen das Arbeitszeugnis.

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Neben solchen nichtssagenden Formulierungen haben sich angeblich aber auch sehr vielsagende Umschreibungen entwickelt. Wer etwa "für die Belange der Belegschaft stets Einfühlungsvermögen bewiesen" hat, gilt bei Personalern nicht etwa als vorbildlicher Kollege oder Chef, sondern als jemand, der gern sexuelle Kontakte zu seinen Kollegen pflegte. Oder wer "durch seine Geselligkeit zur Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen" hat, neigt angeblich zu überhöhtem Alkoholkonsum.

"So etwas liest man zwar so gut wie nie", sagt Huber. "Ich kann aber nur jedem Arbeitnehmer raten, die Formulierungen in seinem Zeugnis sehr genau zu prüfen." Zumal nicht jeder Arbeitgeber im Schreiben von Zeugnissen geübt sei. "Da steht dann womöglich etwas drin, was der Arbeitgeber so gar nicht andeuten wollte."

© SZ vom 18.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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