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Floskeln und geheime Codes der Personaler:So fällt das Arbeitszeugnis stets zur vollsten Zufriedenheit aus

Wie Chefs ihre Bewertungen chiffrieren - und worauf Mitarbeiter noch achten sollten.

"Lass uns Freunde bleiben" oder Rosenkrieg? Diese Frage stellt sich nicht nur, wenn eine Beziehung in die Brüche geht, sondern auch, wenn ein Arbeitsverhältnis endet. Und wie auch im Liebesleben hängt viel davon ab, wie die Trennung verlaufen ist. Man geht im Guten auseinander, weil man sich schlicht auseinandergelebt hat? In dem Fall wird es beiden Parteien leichter fallen, dem anderen von Herzen alles Gute für die Zukunft zu wünschen. Gab es hingegen Betrug, Streit, Gemeinheiten? Dann ist die Versuchung groß, dem Ex-Partner das weitere Leben bestmöglich zur Hölle zu machen.

Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied zwischen Trennung und Kündigung: Im Berufsleben zieht der Arbeitgeber noch einmal Bilanz für die gemeinsamen Jahre.

Die Schwierigkeit aus Arbeitnehmersicht: Die Zeugnisse werden in einer Art Geheimsprache formuliert. Über die Jahre hat sich ein System bestimmter Floskeln und Standards in den Personalabteilungen entwickelt. In diesem Regelsystem können ein "stets" oder ein "vollstens" darüber entscheiden, ob eine Leistung hervorragend oder nur durchschnittlich war.

Der Grund für diese umständliche Verklausulierungstechnik: Ein Arbeitszeugnis muss "wahr", "wohlwollend" und "vollständig" sein - so verlangt es das Bundesarbeitsgericht. Will nun der Chef einen potenziellen neuen Arbeitgeber vorwarnen, darf er nicht schreiben "Herr Müller war arbeitsunwillig und hat lediglich Dienst nach Vorschrift gemacht" (wenig wohlwollend). Ein "Er zeigte stets Verständnis für seine Arbeit" bedeutet im Zeugnis-Sprech dasselbe, klingt allerdings viel freundlicher. Und anders als Herr Müller, der sich über die vermeintlich netten Worte freut, kann ein geschulter Personaler die Formulierung schnell entschlüsseln - und das Absageschreiben vorbereiten.

Für Arbeitnehmer ist es also wichtig, ein Gefühl für die speziellen Vokabeln und Formulierungen in einem Zeugnis zu bekommen. Nur so können sie einschätzen, wie wohlmeinend und positiv die Leistungsbeurteilung tatsächlich ausfällt.

Allerdings ist die Sorge, am letzten Tag ein schlechtes Zeugnis in die Hand gedrückt zu bekommen, nur in wenigen Fällen berechtigt. Mehr als 80 Prozent der Arbeitszeugnisse seien im Bereich "gut" oder "sehr gut" angesiedelt, zitiert die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Finanztest den Berliner Arbeitsrecht-Anwalt Alexander Bredereck. Umso wichtiger sei es jedoch, sich zur Wehr zu setzen, wenn das Dokument ungewöhnlich negativ ausfällt oder andere Mängel aufweist.

Folgende Kriterien sollte ein Zeugnis den Experten von Finanztest zufolge erfüllen:

  • Anspruch: Nicht nur Arbeitnehmer, auch freie Mitarbeiter und Auszubildende können ein Arbeitszeugnis verlangen. Ein gesetzlicher Anspruch auf ein Zeugnis besteht drei Jahre nach Ende des Arbeitsverhältnisses. So lange sollten Mitarbeiter aber nicht warten - Arbeitsgerichte hielten einen Zeitraum von vier bis zehn Monaten für angemessen, schreibt die Finanztest.
  • Formalien: Das Arbeitszeugnis sollte schriftlich und auf Firmenpapier ausgestellt werden. Eine Mail ist nicht ausreichend. Flecken, Eselsohren oder Korrekturen können reklamiert werden. Neben Ausstellungsort und -datum gehört auch die Unterschrift des Arbeitgebers auf das Dokument.
  • Inhalt: Wer nur einige Tage oder Wochen für ein Unternehmen gejobbt oder ein Praktikum absolviert hat, bekommt in der Regel nur ein "einfaches Zeugnis" ausgestellt, das eine Tätigkeitsbeschreibung und Schlussformel enthält. Wer länger dabei war, bekommt ein "qualifiziertes Zeugnis", in dem Tätigkeiten aufgeführt werden und die Leistung bewertet wird.
  • Aufbau: Los geht es mit Überschrift, Anschrift des Arbeitgebers und den Daten zum Arbeitnehmer (Name, Beschäftigungsdauer, Position). Es folgt die Beschreibung aller ausgeführten Tätigkeiten und die Beurteilung von Leistung und Verhalten. Typische Kriterien sind hierbei die Arbeitsweise, das Fachwissen, die Motivation und Erfolge sowie der Umgang mit Kunden, Kollegen und Vorgesetzten. Aus einer zusammenfassenden Beurteilung lässt sich auf eine Gesamtnote schließen. Das Zeugnis endet mit Danksagung und Wunschformel - im Schlussteil findet sich auch ein Hinweis auf den Grund, aus dem ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, so Finanztest.
  • Tabu: Abmahnungen oder Krankheitstage haben in einem Arbeitszeugnis nichts zu suchen. Auch eine Elternzeit darf, so die Experten, nur dann Erwähnung finden, wenn sie mehr als die Hälfte der gesamten Beschäftigungsdauer ausgemacht hat.

Wer das Gefühl hat, dass ein Zeugnis nicht mindestens gut oder sehr gut ausfällt, sollte sich an den ehemaligen Arbeitgeber wenden. Häufig lassen sich so Missverständnisse klären. Gerade in kleineren Unternehmen kommt es durchaus vor, dass die Vorgesetzten selbst nicht firm in den Zeugnis-Formulierungen sind.

Ist das alte Unternehmen nicht kompromissbereit, bleibt als letzte Möglichkeit der Gang vor Gericht. Allerdings liegt in diesem Fall die Beweislast beim Arbeitnehmer: Er muss nachweisen, dass die eigene Leistung besser als "befriedigend" war. Daher empfiehlt Finanztest, sich in diesem Fall unbedingt den Rat eines Anwalts einzuholen.

Das sollte aber das letzte Mittel sein - sowohl im Hinblick auf den Job als auch auf die Liebe.

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