Süddeutsche Zeitung

Flexible Arbeitszeiten:32-Stunden-Woche sticht Frauenquote

Familienministerin Schwesig will jungen Eltern eine staatlich unterstützte 32-Stunden-Woche ermöglichen. Der Aufschrei in der Wirtschaft war groß. Doch wer den Anteil von Frauen in Führungsfunktionen fördern will, der wird mit solch einem Instrument sehr viel mehr erreichen als mit der Frauenquote.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Flexibilität - das war für viele Menschen lange ein Schreckenswort. Flexibler sollten sie sein, um im weltweiten Wettbewerb mithalten zu können; schön anpassungsfähig sollten sie sein, weil die Menschen anderswo - die Amerikaner! die Asiaten! - viel flexibler sind als wir.

Flexibilität - das forderten in den vergangenen Jahren vor allem die Unternehmer und ihre Verbände. Hans-Olaf Henkel, heute Vorkämpfer der AfD, war einst als BDI-Präsident einer der lautesten Deregulierungs-Drängler. Die Lobbyisten beackerten die Politik und forderten, die Regeln für Unternehmen insgesamt zu lockern. Und manches, in der Tat, muss sich ändern, wenn Deutschland mithalten will. Aber müssen in einer Zeit, in der jeder ständig erreichbar ist (oder dies zumindest sein kann), wirklich nur die Arbeitnehmer flexibler werden? Oder müssen nicht auch die Unternehmen flexibler werden, wenn es um die Wünsche ihrer Beschäftigten geht?

Denn immer mehr Menschen kämpfen damit, wie sie Beruf und Privates, Karriere und Familie besser vereinbaren können; sie würden gern mal Zeit im Büro verbringen, mal daheim bei ihren Kindern; sie wollen mal vorübergehend nur drei oder vier Tage arbeiten, nicht Vollzeit, wenn die Kinder klein sind - und wieder länger, wenn sie in den Kindergarten oder die Schule gehen; oder häufiger mal im Home-Office arbeiten. Alles Wünsche, die nicht mehr nur Mütter haben, sondern auch immer mehr Väter.

Die 32-Stunden-Woche für junge Eltern ist der richtige Weg

Manuela Schwesig, die Bundesfamilienministerin, hat jedoch so ihre Zweifel, ob die Wirtschaft als Ganzes willens ist, diesem Wunsch nach mehr Flexibilität entgegenzukommen. Klar, viele Unternehmen haben verstanden (oder begreifen es allmählich), dass sehr viel mehr getan werden muss, als einen Betriebskindergarten zu bauen, was sich im Übrigen ja auch nur große Firmen leisten können. Manche lockern die Präsenzpflicht, andere statten ihre Mitarbeiter mit mobilen Geräten für die Telearbeit aus - doch viele tun nichts.

Deshalb plädiert Schwesig dafür, jungen Eltern für ein paar Jahre eine staatlich unterstützte "Familienarbeitszeit" zu ermöglichen - eine 32-Stunden-Woche für Mutter und Vater, die es beiden ermöglicht, sich auch noch um die Kinder zu kümmern. Der Aufschrei in der Wirtschaft war, wie einst schon beim Teilzeit- und beim Elternzeit-Gesetz, groß. Derart viel Flexibilität bei der Arbeitszeit - so ging die Argumentation der Lobbyisten - überfordere viele Unternehmen. Ein Sprecher der Bundeskanzlerin sprach, als die Debatte im Januar erstmals hochkochte, von "einem persönlichen Debattenbeitrag" der Ministerin.

Dennoch hält Schwesig an ihrem Vorhaben fest - und das aus gutem Grund. Denn wer den Anteil von Frauen in Führungsfunktionen fördern will, der wird mit solch einem Instrument sehr viel mehr erreichen als mit der Frauenquote. Die Quote dagegen hilft nur einem sehr kleinen Kreis von Frauen, sie betrifft nur die Aufsichtsräte, und auch nur größere Unternehmen. Vor allem aber umgeht die Quote die entscheidende Frage: Wie schaffen Unternehmen die Voraussetzungen, damit es genug talentierte Frauen auch tatsächlich nach oben schaffen, ohne als Rabenmütter zu gelten oder ganz auf Kinder zu verzichten.

Die Familienarbeitszeit, die 32-Stunden-Woche für junge Eltern, allein wird dieses Problem nicht lösen, aber sie setzt dort an, wo die eigentlichen Probleme liegen - und kuriert nicht, so wie die Quote, lediglich an den Symptomen.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2014
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