Fleischindustrie:Ein Knochenjob

Lesezeit: 5 min

Etwa 185 000 Menschen sind in der deutschen Fleischindustrie beschäftigt, mehr als die Hälfte davon arbeitet zum Niedriglohn. Kein Wunder also, dass die Arbeitskräfte fehlen. (Foto: imago images/BildFunkMV)

In der Fleischindustrie zu arbeiten, ist kein Traumberuf. Zu schlecht die Bedingungen, zu belastend der Umgang mit Tieren, körperlich wie psychisch. Warum sich Menschen trotzdem für die Branche entscheiden - und dabei neue Wege gehen.

Von Matthias Kreienbrink

Der Alltag von Alois Zimmerer sieht genauso aus, wie man sich die Arbeit in der Fleischindustrie vorstellt. Der 49-Jährige beginnt seine Schicht morgens um 6 Uhr 15, dann nimmt er sein Zerlegemesser in die Hand, stellt sich an eines von fünf Fließbändern und bearbeitet täglich ungefähr 3700 Mittelstücke vom Schwein, um das Fleisch von den Knochen zu trennen. Jeden Tag, wenn er die Fabrik betritt, lege er einen inneren Schalter um. Alois Zimmerer fasst das so zusammen: "Man stumpft ab."

Die Fleischindustrie ist keine begehrte Branche. Viele Menschen arbeiten für einen Niedriglohn und unter prekären Bedingungen, oft ist es ein Knochenjob, den man als Leiharbeiter oder unter Werkverträgen verrichtet. Nicht selten sind es Arbeitskräfte aus Osteuropa, die in den Schlachthöfen schuften - für noch weniger Geld als die Einheimischen und zum Teil mit noch weniger Rechten. Vergangenes Jahr hat der Fall Tönnies für Schlagzeilen gesorgt: Dort kam es zu einer starken Häufung von Corona-Infektionen, der Betrieb wurde zum Synonym für katastrophale Arbeitsbedingungen.

Auch wegen ihrer Auswirkung auf Klimawandel und Artenvielfalt steht die Fleischindustrie unter Druck. Andererseits führt die zunehmende Kritik an Fleischkonsum und industriellen Schlachtbetrieben zu neuen Geschäftszweigen wie dem Biofleischsegment. So ist der Pro-Kopf-Fleischkonsum in Deutschland tendenziell gesunken (siehe Infokasten), die Zahl der Beschäftigten ist aber in den vergangenen zehn Jahren gestiegen. Mitarbeiter sind in dieser Branche also gefragt, doch sie sind auch ein rares Gut. Denn auch hier gibt es ein Problem: den Arbeitskräftemangel.

Verbraucher greifen vermehrt zu Biofleisch

"Reingekommen bin ich durch meinen Vater, der war Schlachter", sagt Alois Zimmerer, der mit seinem echten Namen nicht genannt werden möchte. Nach der Schule hat er eine Ausbildung zum Metzger gemacht, danach in unterschiedlichen Betrieben gearbeitet. Wirklich zufrieden sei er allerdings nirgendwo gewesen. Der Umgangston sei rau, die Bezahlung schlecht, der Arbeitsdruck sehr hoch. "Das hat sich bis heute nicht geändert", sagt er. Immer noch sei das Personal zu knapp. Wenn ein Kollege mal krank wird oder, wie jetzt, Feiertage bevorstehen, dann heißt das für Zimmerer: noch mehr arbeiten. "Da wird gar nicht gefragt, die Überstunden werden einfach vorausgesetzt", sagt er. Neue Mitarbeiter kämen kaum nach - kaum jemand wolle solch einen Job machen.

Inzwischen arbeitet Alois Zimmerer für eine Firma in Dänemark, die 21 000 Menschen beschäftigt. In Deutschland seien die Arbeitsbedingungen noch schlechter. "Wenn ein Chef hört, dass man in der Gewerkschaft ist, stellen die einen gar nicht mehr ein", sagt er. Bei seinem aktuellen Arbeitgeber ist er hingegen "ganz zufrieden": Das Unternehmen setze sich für eine bessere Umweltverträglichkeit ein, achte auf den Wasserverbrauch und streng darauf, dass nicht zu viel Fleisch auf dem Boden landet. Und außerdem habe die Firma Solarplatten auf dem Dach installiert. Zu Hause achte Zimmerer beim Fleischkonsum auf Bio-Qualität. Er kenne mittlerweile zu viele Betriebe, die ihre Ware panschen und nach wie vor Gammelfleisch anbieten. Deshalb will er sichergehen, dass das Fleisch, das er selbst isst, hygienisch einwandfrei und qualitativ hochwertig ist.

SZ PlusClemens Tönnies
:Sag jetzt nichts

Der Fleischbetrieb Tönnies profitiert von Rheda-Wiedenbrück und andersherum. Das hat Folgen: Über eine Stadt, ihren Gönner und die Abhängigkeit von ihm.

Von Kristiana Ludwig

Darauf legen mittlerweile auch viele Verbraucher Wert. Die Kunden und Kundinnen greifen vermehrt zu Bio-Qualität, geben lieber mehr Geld aus und konsumieren dafür weniger. Dieses kleine, aber wachsende Segment von Biohöfen und -metzgereien braucht immer mehr Mitarbeiter. Tomas Erhart ist einer davon. Ursprünglich war er Kameramann, mehr als 80 Spielfilme hat er gedreht. "Ich war immer in der Kreativbranche tätig", sagt Erhart. 2017 hat er die Fleischrebellen mitgegründet, einen Onlineshop, der Fleisch und Fisch deutschlandweit liefert. "Ich habe in Berlin nirgendwo gutes Fleisch gefunden, nur Discounter", sagt Erhart. So sei er auf die Idee gekommen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Es sei ein kompliziertes Unterfangen, bei solch sensiblen Produkten gute bäuerliche Kleinbetriebe als Lieferanten zu gewinnen und Verfahren zu entwickeln, um Kühlketten einzuhalten und eine schnelle Lieferung zu garantieren. "Aber es lohnt sich", sagt er.

"Man muss auch mal jemanden einstellen, wenn gerade eigentlich kein Bedarf ist."

Auch Manuel Pundt arbeitet weit entfernt von den Fließbändern, an denen Alois Zimmerer steht. Der 42-Jährige hat BWL studiert, danach im Einkauf der Supermarktkette Bio Company gearbeitet. Seit zweieinhalb Jahren ist er Geschäftsführer im Gut Kerkow, einem biologischen Landwirtschaftsbetrieb in der Uckermark. Hier werden Angusrinder auf Weiden und in offenen Ställen gehalten, schließlich an Ort und Stelle geschlachtet und verarbeitet. Das Fleisch wird im Hofladen verkauft und von Gastronomiebetrieben in Berlin und Brandenburg abgenommen. Pundts Standpunkt ist klar: "Der Massenkonsum von Fleisch muss sich reduzieren." Anstatt täglich Fleisch zu essen, sagt er, sei der Sonntagsbraten, der aus kleineren Betrieben kommt, doch deutlich besser.

1 / 3
(Foto: Gut Gerkow)

Manuel Pundt, 42, ist Geschäftsführer im Gut Kerkow, einem biologischen Landwirtschaftsbetrieb. Er plädiert für eine Reduzierung des Fleischkonsums.

2 / 3
(Foto: privat)

Phil Müller, 26, wusste schon immer, dass er Schlachter werden wollte. "Ich möchte einen schmerzlosen und ruhigen Tod ermöglichen", sagt er.

3 / 3
(Foto: Fleischrebellen)

Tomas Erhart, Gründer der Fleischrebellen, versorgt Menschen mit hochwertigem Fleisch. Sein Credo: "Bitte esst weniger Fleisch."

Auf dem Gut Kerkow arbeiten etwa 45 Menschen, von Landwirten über Fleischer bis hin zu Verkäufern. Gutes Personal zu finden, sei in dieser Branche nicht einfach. "Wir sind froh, dass wir genügend motivierte Leute haben", sagt er. Doch wenn jemand bei ihm vorstellig würde, der oder die die richtigen Qualitäten mitbrächte, würde er diese Person nicht wegschicken. "Die Fleischindustrie ist für kaum jemanden ein Traumberuf. Wenn man da wachsen will, muss man die guten Leute halten und auch mal jemanden einstellen, wenn gerade eigentlich kein Bedarf ist", sagt Pundt.

Und welche Qualitäten sind es, die jemand mitbringen sollte? Belastbarkeit sei wichtig, gerade in der Produktion wird körperliche Arbeit verlangt. Genauso wichtig sei aber Verantwortungsgefühl. "Man muss als Mitarbeiter das Individuelle in jedem Tier sehen. Jedes verhält sich anders und muss dementsprechend behandelt werden", sagt Pundt. Und man müsse eben damit umgehen können, dass die Tiere schließlich geschlachtet werden. Da geht kein Weg dran vorbei. "Aber man muss immer wissen: Hier ist ein Tier gestorben, wenn wir jetzt nicht ordentlich arbeiten, dann war es umsonst."

"Wir leben in einer Welt, die immer weniger bereit ist, in einen offenen Diskurs zu gehen."

Für Phil Müller war es immer klar, was der Job bedeutet. Der 26-Jährige ist mit Tieren aufgewachsen. Seine Familie hält Puten und Hasen, und schon als Kind wusste er, dass sie irgendwann geschlachtet werden. Das habe ihn jedoch nicht abgeschreckt, im Gegenteil. "Seit ich vier war, wusste ich, dass ich Schlachter werden möchte", sagt er. Zunächst hat er Praktika absolviert und beim Schweineschlachten geholfen. Wegen einer Lernschwäche besuchte er eine Sonderschule und hatte damit keinen Hauptschulabschluss, die Voraussetzung für eine Ausbildung. Doch sein damaliger Chef habe gesehen, wie gut er arbeitet, und so konnte er seinen Traum wahr machen. Heute ist er in einem kleinen Familienbetrieb. "Ich schlachte, zerlege, fertige Wurst an", sagt er. In seiner Freizeit stellt er eigene Produkte her. "Da kann ich dann richtig kreativ sein und mit Gewürzen experimentieren."

Mit seiner Tätigkeit sei Müller sehr glücklich. Klar, es sei körperlich harte Arbeit. Auch die Bezahlung sei nicht die beste - etwa 1400 Euro netto kommen am Ende raus. Aber besonders das Schlachten gefalle ihm. Denn da könne er dafür sorgen, dass es dem Tier bis zuletzt möglichst gut geht. "Ich gehe ruhig an die Sache ran, möchte einen schmerzlosen und ruhigen Tod ermöglichen", sagt er. Immer wieder, erzählt Müller, spricht er mit Freunden und Bekannten, die ihn fragen, wieso er ausgerechnet diesen Beruf ausübt. "Eine Freundin von mir ist Veganerin, da gibt es viel Gesprächsstoff", sagt er. "Aber wir akzeptieren uns und können uns auch gegenseitig aufziehen." Müller sagt, er sei Gegner von Massentierhaltung, und will, dass die Tiere möglichst glücklich leben.

Auch Tomas Erhart, Gründer der Fleischrebellen, will das. Er sagt, er liest oft Kommentare in den sozialen Medien von Menschen, die verwundert seien, wie anders Fleisch schmecke, wenn es nicht aus Massentierhaltung kommt. Die Fleischrebellen versorgen Menschen mit hochwertigem Fleisch, "aber unser Credo ist ausdrücklich: Bitte esst weniger Fleisch". Aber auch negative Reaktionen erlebe er immer wieder. "Wenn ich erzähle, dass ich einen Onlineshop für gutes Fleisch betreibe, werde ich oft mit Anschuldigungen konfrontiert." Viele Argumente gegen Fleischkonsum könne er auch nachvollziehen, aber eben nicht alle. "Wir leben in einer Welt, die immer weniger bereit ist, in einen offenen Diskurs zu gehen", sagt er. Er habe Freude an dem Geschäft, das Motto "Gutes Fleisch darf nicht billig sein" treibe ihn an. Schließlich sei er auch selbst Genussesser. Sein Lieblingsgericht? Käsespätzle.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ JetztFleischindustrie
:"Der Mensch zählt in dieser Branche nicht"

Wir haben mit einem Insider aus der Fleischindustrie über Arbeitsbedingungen und die Corona-Ausbrüche gesprochen.

Interview von Sophie Aschenbrenner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: