Firmengründer mit Migrationshintergrund:"Ich war eine Ausnahme unter meinen türkischstämmigen Freunden"

Firmengründer mit Migrationshintergrund: Der Anti-Zykliker: 2009, mitten in der Finanzkrise, gründete Yalcin Akgün seinen Produktionsbetrieb in Schorndorf.

Der Anti-Zykliker: 2009, mitten in der Finanzkrise, gründete Yalcin Akgün seinen Produktionsbetrieb in Schorndorf.

(Foto: Akgün - Kunststoffspritzguss e.K.)

Abendkurse, Weiterbildung, Meisterprüfung - Yalcin Akgün hat seine Chancen genutzt. Heute führt der Gastarbeitersohn ein Unternehmen und lässt Jugendliche von seinen Erfahrungen profitieren.

Von Dagmar Deckstein

Yalcin Akgün hatte eigentlich keine Chance. Aber er ergriff sie. Es war ausgerechnet das Krisenjahr 2009, das Jahr eins nach der Lehman-Pleite und dem weltweiten Crash der Finanzmärkte, in dem Akgün beschloss, sich selbständig zu machen. Landauf, landab häuften sich die Insolvenzen kleinerer und auch größerer Firmen, weil die Geschäfte in der Wirtschaftskrise extrem eingebrochen waren.

Yalcin Akgün lächelte still vor sich hin, als er vom damaligen Gespräch mit seinem Bankberater erzählte. 150 000 Euro Kredit wollte er aufnehmen, um sich ein paar Kunststoffspritzmaschinen anzuschaffen und eine leer stehende Halle im schwäbischen Schorndorf zum Produktionsbetrieb "Akgün Kunststoffspritzguss" auszubauen.

"Warum soll ausgerechnet Ihr Betrieb laufen?, hat mich der Bankberater damals gefragt. Ich sagte nur, weil bisher noch jede Krise wieder vorbeigegangen ist." Wie recht Akgün hatte, erwies sich schon wenige Monate später, als sich die deutsche Wirtschaft wieder zu erholen begann: "Ich konnte mich anfangs vor Aufträgen fast nicht mehr retten. Waren doch wegen der vielen Firmenpleiten die Produktionskapazitäten im Markt stark geschrumpft."

Geboren in Trabzon, aufgewachsen in Wendlingen

Yalcin Akgün war schon immer ein Antizykliker. Geboren wurde er am 27. Juli 1966 in der Hafenstadt Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste. Die Eltern waren schon in den frühen Sechzigerjahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen, "aber meine Mutter traute dem deutschen Krankenhauswesen nicht so recht", schmunzelt Akgün. "Sie wollte ihre Kinder lieber in der alten Heimat im Kreise der weiblichen Verwandtschaft zur Welt bringen."

Nach wenigen Monaten waren Mutter und Sohn wieder nach Wendlingen zurückgekehrt, wo Yalcin nicht nur perfekt Schwäbisch lernte, sondern später nach dem Hauptschulabschluss auch bei der damaligen Trafo-Union das Maschinenbaumechaniker-Handwerk erlernte. Zudem bildete er sich in Abendkursen zum CNC-Programmierer weiter, absolvierte eine Refa-Ausbildung für Arbeitsgestaltung und Betriebsorganisation und legte 1992 auch noch bei der Handwerkskammer Stuttgart die Meisterprüfung als Maschinenbauer ab.

Abendkurse, Weiterbildung, Meisterprüfung - "ich war damals wirklich eine Ausnahme unter meinen türkischstämmigen Freunden", erinnert sich der nun fast 50-jährige Akgün. Da hätten es die meisten eben so gehalten, wie es deren Vätern als beste Wahl für ihre Söhne vorgeschwebt hatte. "Vater hat immer gesagt, warum treibst du so viel Aufwand mit Lernen! Lass uns lieber noch ein Jahr zusammen viel Geld verdienen, dann gehen wir wieder in die Türkei zurück und ich eröffne dir dort eine Werkstatt." So dachten viele Väter der Gastarbeiter-Generation, aber aus deren Plänen wurde meist nichts.

Akgüns Vater arbeitete bei einer Möbelfirma. "Aus seiner Perspektive war ihm eine Karriere über Bildung stets fremd geblieben", sagt Akgün junior. "Und aus den Plänen vieler Gastarbeiter, nach einigen Jahren wieder in die Heimat zurückzukehren, wurde schon deswegen nichts, weil sich ihre in Deutschland aufgewachsenen Kinder hier heimisch fühlten, hier leben und arbeiten wollten. Aber ohne die Kinder allein in die Türkei zurückzukehren machte auch für meine Eltern überhaupt keinen Sinn."

Also lebt die Familie bis heute in Deutschland. Und Yalcin Akgün schaffte es sogar bis zum Unternehmer. Ob er der geborene Entrepreneur sei, merkt Akgün an, das bezweifele er eher. "Immerhin war ich die meiste Zeit meines Berufslebens fest angestellt." Gegen seine Zweifel sprechen aber die Erfolge, die der Neu-Unternehmer in den vergangenen sieben Jahren erzielte.

Not macht unternehmerisch

Akgün war bei verschiedenen Firmen tätig, zuletzt beim Kunststofftechnik-Hersteller Fried im benachbarten Urbach. Da ereilte ihn 2008 das Angebot einer kleineren Firma für Kunststoffspritzguss mit 40 Mitarbeitern, in der er Betriebsleiter werden sollte. "Das war schon eine Verlockung", so Akgün heute, "der ich gerne gefolgt bin." Aber das ging gerade für ein halbes Jahr gut, dann war die Firma wegen der Wirtschaftskrise pleite. Und Yalcin Akgün arbeitslos - zum ersten Mal im Leben.

Not macht unternehmerisch. 2009 fing der Maschinenbautechniker Akgün mit einem einzigen Mitarbeiter in jener leer stehenden Halle in Schorndorf an, 2014 bereits bezog er mit inzwischen zehn Mitarbeitern und immerhin fünf Auszubildenden das neu erbaute Produktionsgebäude im Schorndorfer Industriegebiet. Von einst 100 000 Euro ist der Umsatz des kleinen Kunststoffteileherstellers auf inzwischen 600 000 Euro jährlich gestiegen. Nach wie vor ist Akgün eine Art Subunternehmer für Hersteller wie seinen früheren Arbeitgeber Fried, der größere Teile produziert und Kleinteile an Firmen wie Akgüns Betrieb auslagert. Das Einsatzgebiet ist groß: Es reicht von Verkleidungen von Präzisionswaagen über Bildschirmrahmen und Lamellen für Autobelüftungsanlagen bis hin zu Einsätzen für Spuckbecken beim Zahnarzt.

Ehemalige Azubis bedanken sich für den Schubs

Yalcin Akgün legte schon immer großen Wert auf die Ausbildung, erst recht als jetzt selbständiger Unternehmer. Er bildet Verfahrensmechaniker für Kunststoff und Kaufleute für Büromanagement aus. Schon allerlei Meriten für sein Engagement hat Akgün erworben, unter anderen das "Ausbildungs-Ass" der IHK Region Stuttgart. Zumal er sich bevorzugt auch jener Jugendlichen - nicht nur, aber auch - mit Migrationshintergrund annimmt, die ohne Schulabschluss und ohne besondere Motivation eher in eine Hartz-IV-Karriere hineinzuschlittern drohen. Heute freut sich Akgün, wenn ihm auf der Straße ehemalige Azubis - "alle inzwischen gut verdienende Fachkräfte und Familienväter" - begegneten und ihm dankten für den Schubs, den er ihnen gegeben habe.

Akgün hat schon weitergehende Pläne. Derzeit erzielt er noch 80 Prozent seines Umsatzes als Sublieferant für größere Firmen. Aber er will mit den eigentlichen Kunden - von Audi, Bentley bis Sartorius, Carl Zeiss oder Mettler Toledo - direkt ins Geschäft kommen. "Ich möchte eine eigene Entwicklungsabteilung gründen, neue Technologien anbieten und neue Maschinen anschaffen. Und damit das nächste Kapitel in meiner Unternehmerlaufbahn aufschlagen."

"Kompetenz, Qualität, Kundenzufriedenheit - das zählt im Business"

Bestehen für Unternehmer mit Migrationshintergrund besondere Herausforderungen? Nein, sagt Akgün, eher stehe da die familiäre, traditionelle, patriarchale Schranke im Weg. "Aber nicht im Geschäftsleben. Das funktioniert nicht nationalistisch oder ideologisch. Kompetenz, Qualität, Liefertreue, Kundenzufriedenheit - das zählt im Business. Ob einer Alkohol trinkt oder nicht, fünfmal am Tag betet oder nicht, das ist dabei überhaupt nicht relevant."

Ach so, ja: der Bankberater. So zugeklemmt er und seine Bank damals waren, so offensiv sei dieser heute. "Um nicht zu sagen: Er drängt mir die Kredite jetzt förmlich auf."

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