Finnlands Bildungsministerin:"Die Talentiertesten wollen Lehrer werden"

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Die finnische Bildungsministerin Henna Virkkunen über fleißige Asiaten, ungewöhnliche Besuche und den Erfolg ihres Landes in den Pisa-Studien.

Gunnar Herrmann

Finnlands Bildungsministerin Henna Virkkunen, 38, darf sich freuen: Ihr Land liegt bei neuen Pisa-Studie wieder vorne. Aber selbst in Finnland ist nicht alles perfekt.

Bildungsministerin Henna Virkkunen sieht in den Pädagogen die Basis für die guten Leistungen der finnischen Schüler. (Foto: Lehtikuva)

Süddeutsche Zeitung: Hatten Sie erwartet, wieder zu den Klassenbesten zu gehören?

Henna Virkkunen: Ich habe gedacht, dass die anderen Länder etwas mehr aufholen würden. Ein wenig überrascht war ich also doch, dass wir so weit vorne lagen. Vor allem die asiatischen Länder haben in den vergangenen Jahren sehr viel investiert - das sieht man ja jetzt auch. Die Europäer haben ebenfalls viel gemacht. Das Pisa-Ergebnis zeigt, dass diese Arbeit schwierig ist. Man kann in wenigen Jahren keine großen Veränderungen im Bildungssystem erreichen.

SZ: Wie aussagekräftig ist Pisa?

Virkkunen: Es werden nur einige Bereiche gemessen, aber dies sind die entscheidenden. Lesen, Naturwissenschaften, Mathe - das sind die Grundvoraussetzungen, die wir abdecken müssen. Doch gibt es natürlich viele Sachen, die Pisa nicht untersucht. Wie Glück und Zufriedenheit der Schüler zum Beispiel.

SZ: Mit Ausnahme Finnlands hat es kein europäisches Land an die Spitze geschafft. Dort stehen viele asiatische Staaten. Wo liegt das Problem in Europa?

Virkkunen: In Asien hat man eine andere Einstellung zum Lernen. Koreanische Schüler etwa wenden jeden Tag 50 Prozent mehr Zeit für ihre Ausbildung auf als finnische. Sie haben lange Schultage, lernen nach der Schule, am Wochenende, haben Nachhilfe, und die Eltern geben dafür auch Geld aus.

SZ: Sollte Europa dem nacheifern?

Virkkunen: Bildung ist immer ein sehr nationales Projekt. Wir haben verschiedene Kulturen und Gesellschaften. In Finnland haben wir ein ganz anderes System als die asiatischen Länder gewählt. Unseres ähnelt wohl eher dem, was man in Deutschland kennt.

SZ: Also wäre Finnland das Modell für Europa?

Virkkunen: Es kommen ja oft Gäste aus dem Ausland, um unser Schulsystem anzusehen, aus reichen Ölstaaten zum Beispiel. Ich bin sogar schon gefragt worden, ob man finnische Schulen kaufen könne. Aber man kann eine Schule nicht einfach verpflanzen. Man braucht ein Bildungssystem, das zur jeweiligen Gesellschaft passt. Unser System funktioniert hier, anderswo würde es nicht so gut funktionieren. Doch einige Ideen könnte man sicher übernehmen.

SZ: Was sind die Zutaten des Erfolgs?

Virkkunen: Das Beste an unserem Schulsystem sind die guten Lehrer. Der Beruf ist sehr beliebt, die talentiertesten Schulabgänger wollen Lehrer werden. In anderen Ländern ist das oft nicht so. Unsere Lehrer werden hervorragend ausgebildet und sie haben viele Freiheiten. Sie können zum Beispiel Lehrmethoden und -materialien selbst wählen.

Die andere Stärke unseres Systems ist, dass alle Schulen gleich gut sind. Ein bisschen besorgniserregend an der neuen Pisa-Studie ist deshalb, dass die Unterschiede auch in Finnland etwas zugenommen haben. Aber sie sind immer noch geringer als in anderen OECD-Ländern. In Deutschland sind die Unterschiede wohl besonders groß, habe ich gelesen.

SZ: Wie schafft man gleiche Voraussetzungen in lappländischen Waldsiedlungen und in Großstädten?

Virkkunen: Die Gegebenheiten sind wirklich sehr verschieden. Ein Viertel unserer Schulen haben weniger als 50 Schüler. Unser System muss in Dorfschulen funktionieren, wo nur zwei Lehrer unterrichten, aber auch in Helsinki, wo es mehr und mehr Einwanderer gibt. Doch das geht, und hier muss ich wieder sagen: dank unserer Lehrer, die sehr flexibel sind. Finnische Eltern können sich darauf verlassen, dass die Schule in ihrer Nachbarschaft immer die beste Schule ist. Und wir bieten individuelle Betreuung. Die Lehrer haben oft einen Assistenten, der schwächere Schüler fördern kann. Die Idee ist, dass sich die Schule auf jeden einzelnen Schüler einstellt.

SZ: Wie unterscheidet sich Finnlands Schulpolitik von anderen Ländern?

Virkkunen: Wir haben einen breiten Konsens zwischen den Parteien, wenn es um die Bildung geht. Kleinere Unterschiede gibt es natürlich, aber im Wesentlichen sind wir uns einig. In anderen Ländern kann man manchmal beobachten, dass bei jedem Regierungswechsel versucht wird, das System umzukrempeln. Bei uns ist das nicht so. Darum bleibt den Lehrern ausreichend Zeit für ihre eigentliche Arbeit, weil sie sich nicht ständig mit Reformen befassen müssen.

SZ: Welche Probleme gibt es an finnischen Schulen?

Virkkunen: An der Pisa-Studie ist besorgniserregend, dass wir bei der Lesefähigkeit abgesunken sind. Wir sind immer noch spitze. Aber es sieht so aus, als würden die jungen Leute nicht mehr so viel lesen wie früher. Vor zehn Jahren haben 20 Prozent der Schüler angegeben, dass sie nicht zum Vergnügen lesen - diese Quote ist heute auf 30 Prozent angestiegen. Bei den Jungs ist es sogar fast die Hälfte.

SZ: Was tut man dagegen?

Virkkunen: Wenn jemand Probleme hat, muss er früh Unterstützung bekommen. Im ersten und zweiten Schuljahr müssen alle Kinder gute Fähigkeiten erwerben, damit sie eine solide Grundlage haben. Lehrer und Eltern sollen die Kinder mehr ermutigen, in der Freizeit zu lesen - nicht unbedingt nur Bücher, auch Comics oder im Internet. Ein anderes Problem, dass wir angehen müssen, ist, dass unsere Schüler sich in der Schule nicht immer wohlfühlen. Das wissen wir aus Studien. Heute traf ich den dänischen Botschafter. In Dänemark sind die Lernergebnisse nicht so gut, dafür aber die Schüler sehr glücklich. Etwas mehr von diesem Glück hätten wir auch gerne.

SZ: Wie denken Sie an Ihre eigene Schulzeit zurück - eine glückliche Zeit?

Virkkunen: Ja, schon. Obwohl ich das als Teenager vielleicht anders empfunden habe. Da mochte ich Schule und die ganzen Regeln überhaupt nicht. Probleme hatte ich zwar keine. Aber ich hatte ein Hobby: Reiten. Da war ich oft lieber im Stall. Gelesen habe ich trotzdem viel.

© SZ vom 27. Dezember 2010/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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