Finanzkrise:Die Psycho-Baisse

Sie leiden an Depressionen, flüchten sich in Drogen und Alkohol: Wenn die Börsen Achterbahn fahren, sind viele Banker mit den Nerven am Ende. Therapeuten haben Hochkonjunktur.

Andreas Oldag

Mike Roja umklammert einen Pappbecher mit heißem Kaffee. Der junge Mann mit der locker gebundenen Krawatte hat es eilig. Er wirkt nervös. Seine Worte überschlagen sich. "Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Der Stress macht mich fertig", stammelt er. Sein Blick schweift aus dem Starbucks-Cafe. Draußen braust der Autoverkehr. Menschen hasten vorbei. Männer in dunklen Anzügen mit feinen Streifen. Frauen bevorzugen Kostüme in gedeckten Farben. Es sind die Uniformen der Banker und Broker im Londoner Finanzviertel.

Börsianer, afp

Gestresste Börsianer: Während sich an den Aktienmärkten die Schockwellen der internationalen Finanzkrise ausbreiten, rutschen Banker in die Psycho-Baisse.

(Foto: Foto: afp)

Rojas linkes Auge zuckt nervös. Hastig stürzt er den Kaffee hinunter. Der 35-Jährige arbeitet im Aktienhandel einer großen Londoner Bank. Ein Job, den sich viele seiner Altersgenossen in Europas größtem Finanzzentrum erträumen. Roja war bis vor kurzem noch stolz auf das Erreichte. Er stammt nicht aus einer jener internatserzogenen Oxford-Eliten. Sein Vater, ein Postbeamter, konnte ihm kein teures Studium zahlen.

Sechsstelliges Jahresgehalt

Trotzdem schaffte es Mike Roja. "Ich war immer ehrgeiziger als die anderen", erzählt er. Er startete mit einer Bankausbildung und belegte Abendkurse für die Fortbildung als Aktienhändler. Seine Vorgesetzten entdeckten sein Talent. Er wurde immer weiter befördert. Jetzt bekommt Roja ein sechsstelliges Jahresgehalt. Er kaufte ein schickes Loft, düste im Sommer mit Kollegen zur Strandparty auf die Bahamas, im Winter zum Heli-Skilaufen nach Kanada.

Doch nun ist für den jungen Aufsteiger das schnelle Leben zur Qual geworden. Die "Hockerei vor dem Computerschirm mit den blinkenden Zahlenkolonnen" öde ihn an, klagt Roja. Und noch schlimmer: In diesem Jahr werde er seine Umsatzziele nicht erreichen, fürchtet er. Das bedeutet: keine üppige Bonuszahlung. Jeder weiß in der adrenalingeschwängerten Luft des Londoner Finanzviertels, dass dies fast einer Kündigung gleichkommt. Er solle sich demnächst einen neuen Job suchen, habe man ihm schon angedeutet, erzählt Roja.

Die Börsenpartyist beendet

Nun will er sich einem Therapeuten anvertrauen. "Ich halte es nicht mehr aus", sagt er. "Ich habe die Nase voll." Roja ist nicht der einzige, dem der Stress über den Kopf zu wachsen droht. Während sich an den Aktienmärkten die Schockwellen der internationalen Finanzkrise ausbreiten, rutschen Banker und Broker in die Psycho-Baisse. Sie können nicht damit umgehen, dass die Börsenparty erst einmal beendet ist. Der Anstieg der Kurse schien für sie eine Art Naturgesetz geworden zu sein. Doch in den vergangenen Monaten haben sich die Koordinaten der einst schönen, funkelnden Börsenwelt verschoben.

In Großbritannien wurde der Beinahe-Zusammenbruch der viertgrößten Hypothekenbank Northern Rock vor einem Jahr zum Menetekel. Dann folgten die Hiobsbotschaften aus den Finanzkonzernen Barclays, HSBC und Royal Bank of Scotland. Sie reißen bis heute nicht ab. Noch immer ist unklar, wie viele Milliarden-Risiken die Banken noch in ihren Büchern haben. Das Ende der Krise sei noch nicht erreicht, warnen Londoner Finanzanalysten.

Während die Börsen Achterbahn fahren, spielen sich hinter den glitzernden Glasfassaden der Bankpaläste Dramen ab. Die Akteure sind die vermeintlichen "Meister des Universums", wie der Schriftsteller Tom Wolfe die Geldmanager in seinem Bestsellerroman "Fegefeuer der Eitelkeiten" beschrieb. Doch jene tollen Kerle, die per Mausklick Millionen verschieben, zweifeln plötzlich an ihrer Allmächtigkeit. Ihr Mythos ist zerbrochen. "In volatilen Märkten erleiden Händler und Investoren tägliche Gefühlssprünge zwischen Hoch und Tief", sagt der amerikanische Psychologe Alden Cass.

New Yorks Wall Street, Londons City, Frankfurts Bankenviertel - dieses sind die Spieltische im weltweiten Börsencasino. Es sind aber zugleich auch Haifischbecken, in denen ein gnadenloser Konkurrenzkampf herrscht. Die Stärksten überleben. Sie durften sich zumindest bislang am Jahresende über millionenschwere Bonuszahlungen freuen. Und für die, die noch nicht ganz mithalten konnten, blieb zumindest das Prinzip Hoffnung, irgendwann den großen Deal zu landen.

Auf der nächsten Seite: Es ist wie bei Süchtigen, die an der Nadel hängen und nun auf Entzug gesetzt werden sollen. Schon die Aussicht auf eine Kürzung von Bonuszahlungen kommt für die Spekulanten einem Fall ins Bodenlose gleich.

Die Psycho-Baisse

"Blutiger Tag in der City"

Doch nun zerstört die harte Börsenrealität alle Illusionen. Die Finanzindustrie dreht nicht nur ihren Kreditkunden den Geldhahn zu. Auch die Mitarbeiter müssen sich auf eine neue Knauserigkeit einstellen. Tausenden droht sogar die Entlassung. "Blutiger Tag in der City", titelte vor kurzem der Evening Standard. Das Boulevardblatt rechnete vor, dass London in diesem Jahr bis zu 40.000 Arbeitsplätze infolge der Finanz- und Kreditkrise verlieren könnte. Dies wäre der größte personelle Aderlass seit dem "Big Bang", dem Urknall zur Liberalisierung des Finanzmarktes Mitte der 80er Jahre in der Themsemetropole.

Auch bei den erfolgsabhängigen Bonuszahlungen setzen die Geldhäuser neuerdings den Rotstift an. Die Rekordsumme von insgesamt umgerechnet 17 Milliarden Euro schütteten sie noch im vergangenen Jahr an ihre Mitarbeiter aus. In diesem Jahr erwarten Experten deutlich weniger. Für den bedächtigen britischen Notenbankchef Mervyn King ist dies ohnehin eine überfällige Korrektur. Seiner Meinung nach hat die "Bonus-Kultur" die Finanzkrise sogar mitverursacht. Der Lockruf des großes Geldes habe das Risikobewusstsein in den Wertpapierabteilungen geschwächt, so King. Viele Händler hätten immer waghalsigere Deals abgeschlossen - bis die Spekulationsblase platzte. "Den Kreditinstituten wird nun bewusst, dass sie den Preis für diese Art von Mitarbeiterförderung zahlen müssen", erklärt der oberste Währungshüter.

Der schnöde Mammon als Maß aller Dinge

Doch Kings kühle Diagnose kommt bei den Betroffenen nicht gut an. Es ist wie bei Süchtigen, die an der Nadel hängen und nun auf Entzug gesetzt werden sollen. Schon die Aussicht auf eine Kürzung von Bonuszahlungen kommt für die Spekulanten einem Fall ins Bodenlose gleich. "Wer hoch geflogen ist, stürzt umso tiefer", weiß Sarah Tucker. Die zierliche, blonde Frau gehörte jahrelang mit zum "Raumschiff Londoner City", wie sie es nennt. Jene abgehobene Welt, in welcher der schnöde Mammon zum Maß aller Dinge wird.

Tucker hatte nach der Schule eine Banklehre beendet, um dann bei dem renommierten Geldinstitut Warburg anzufangen. Dort lernte sie auch ihren späteren Ehemann kennen. "Wir waren ein Traumpaar. Mein Mann verdiente seine ersten Millionen", erzählt die 43-Jährige. Das Geld wurde umgehend in die obligatorischen Statussymbole investiert: ein schnittiger Sportwagen, eine Villenetage in London und ein Landhaus in Frankreich. Dazu kam das gesellschaftliche Schaulaufen zwischen Dinner-Party und Charity-Basar. .

Auf der nächsten Seite: Warum viele nicht wahrhaben wollen, dass es ein Leben nach dem Börsenhype gibt.

Die Psycho-Baisse

Macho-Gehabe vom Börsenparkett

Für Tucker war es aber noch nicht einmal die Börsenkrise, die ihr Fünf-Sterne-Luxusleben zu Ende brachte. Es sei vielmehr die Öde in ihrem Alltag gewesen, erzählt Tucker. Ihr Mann habe sie nur noch als schmückendes Beiwerk gesehen. Zwischen zwölfstündigen Arbeitstagen sei kein Platz mehr für eine Beziehung gewesen. "Die Männer setzen ihr Macho-Gehabe vom Börsenparkett zu Hause fort", sagt Tucker. Ihr neureiches Luxusleben implodierte. Es kam zur Scheidung. Heute hält sich die alleinerziehende Mutter eines achtjährigen Sohnes von Bankern fern. Sie hat umgesattelt, schreibt nun Bücher und Reisereportagen.

Der Druck in der Finanzwelt macht krank. Nun landen viele gestresste Banker und Broker auf der Couch von Therapeuten. Diese Branche hat angesichts der Börsen-Baisse derzeit Hochkonjunktur. "Ich bin ein Krisengewinnler", sagt Geoff Shaw. Das mag zynisch klingen. Doch für den Personalcoach bedeutet jeder Klient, der um professionelle Hilfe bittet, Umsatz. Bis zu 500 Pfund nimmt er pro Gespräch. Man könnte ihn als ambulanten Doktor bezeichnen, dessen Einsatzgebiet das Londoner Finanzviertel ist. Sein Handwerkszeug sind aber nicht Pillen und Stethoskop, sondern seine psychologischen Kenntnisse. Seine Klienten trifft der 39-Jährige häufig frühmorgens, vor Arbeitsbeginn - wenn es in den Büros der City noch still ist.

"Das größte Problem ist das angeknackste Selbstbewusstsein. Viele meinen, wenn sie nicht mehr so viel verdienen, ist das ihr persönliches Versagen", sagt Shaw

Flucht in Drogen und Alkohol

Der schmächtige Mann mit den strubbeligen Haaren hat selbst seine Karriere bei den Großbanken Citibank, Morgan Stanley und UBS begonnen. Eine tägliche Tretmühle, die ihm zwar ein üppiges Gehalt eingebracht, aber persönlich in die "Leere" geführt habe, meint er. Vor ein paar Jahren hat sich der Vater zweier Kinder als Berater selbständig gemacht. Nun gibt er seine Erfahrungen an seine Ex-Kollegen weiter. Shaw redet leise und konzentriert. "Ich rate durchaus auch dazu, jetzt die Chance zu nutzen, auszusteigen. Jeder kann etwas Neues beginnen", sagt er. Viele seiner Klienten sind noch jung, zwischen 30 und 40 Jahre alt.

Doch dass es ein Leben nach dem Börsenhype gibt, wollen viele nicht wahrhaben. Sie machen weiter, flüchten sich aber auch in Drogen und Alkohol. Schwere Depressionen sind häufig eine Begleiterscheinung. Für manche endet dies tragisch. So erschlug der 36-jährige Manager des Versicherungskonzerns Swiss Re, Alberto Izaga, brutal seine zweijährige Tochter. Izaga galt als eine der begabtesten Nachwuchskräfte in der Londoner Niederlassung. Es kam zu einer Anklage wegen Mordes. Der Richter wies Izaga schließlich als psychisch krank in die geschlossene Abteilung einer Klinik ein. Er habe den Stress im Job nicht ausgehalten, erklären sich einige seiner Freunde das Drama.

Der Fall Izaga mag eine Ausnahme sein. Doch für Banker Mike Roja ist klar, dass er möglicherweise an ähnliche psychische Grenzen stoßen könnte, wenn er so weitermacht wie bisher. Für Geoff Shaw ist er einer, der es schaffen könnte, aus der persönlichen Krise herauszukommen. "Wichtig ist, dass ein Klient überhaupt erkennt, dass er Hilfe braucht", sagt er. Viele der jungen Banker, die kurz vor dem Burn-out stehen, flüchten in den Vollrausch oder ziehen sich ganz von ihrer Umgebung zurück. An sie kommen professionelle Helfer schwer heran. Für einige immerhin, die ihre Schwächen vor Kollegen, Familie und Freunden nicht zugeben wollen, ist die Anonymität des Internet ein erster Schritt zur Therapie. Unter falschem Namen tauschen sich mittlerweile Tausende in Gesprächsforen über ihre Probleme aus.

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