Ferienjobs:"In der Mittagspause kündigte ich"

Die Schule ist aus, das Semester weit entfernt. Jetzt die Ärmel hochkrempeln und endlich mal im richtigen Leben anpacken. SZ-Autoren erinnern sich an ihre schlimmsten Ferienjobs.

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Vergiftetes Geschenk

Illustration Jessy Asmus

Quelle: SZ

Der Job schien ein Hauptgewinn zu sein. Ich saß gemütlich am Telefon, vor mir ein Karton mit Postkarten. Meine Aufgabe: einen Absender nach dem anderen anrufen und ihm fröhlich gratulieren. "Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!" Am anderen Ende der Leitung: Jubel, Glück, manchmal Freudentränen und private Bekenntnisse: "Endlich! Ich habe noch nie im Leben etwas gewonnen!" Dann seufzend: "Dass mein Mann das nicht mehr erleben darf! Er ist vor drei Wochen gestorben."

Zeit zum Zuhören blieb mir nicht. Die meist betagten Gewinner hatten eine lächerlich simple Preisfrage in einer Illustrierten beantwortet und ihre Telefonnummer auf die Postkarte geschrieben. Was sie nicht wussten: Ich sollte gar nicht erst prüfen, ob sie die Frage richtig beantwortet hatten, sondern einfach alle anrufen und dann nachhaken: "Wann dürfen wir Ihnen den Hauptgewinn vorbeibringen?" Der Gewinn, eine "Original Schwarzwälder Trachtenpuppe", war eine billige Replik und lag kistenweise in der Ecke des schäbigen Büros in einem Hamburger Vorort.

Was mir erst nach und nach dämmerte: Das Ganze hatte nur den Sinn, einen Termin für eine "kleine Weinprobe" zu vereinbaren. Ich sollte fragen: "Darf unser Mitarbeiter Ihnen dann auch ein paar gute badische Weine zur Verköstigung vorstellen?" Die meisten Gewinner sagten spontan: Ja, sicher! Den Überbringer eines Geschenks will man nicht düpieren. Dass sie nach der Weinprobe zur Kasse gebeten würden, ahnten sie nicht. In der Mittagspause kündigte ich.

Jutta Pilgram

Illustration: Jessy Asmus

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Ein Prosit auf die Kasse

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Quelle: Illustration Jessy Asmus

Ich wusste gar nicht, dass Zählen so schwer ist. Vor allem dann, wenn niemand hinschaut. Deshalb sollte ich auch fürs Hinschauen Geld bekommen, und zwar so viel Geld, dass das Studium in München doch wenigstens für einige Monate finanziell abgesichert war. Bierkasse in einem Wiesnzelt, so lautete die Aufgabenbeschreibung.

Die Einweisung war kurz und knapp: Die Bedienungen müssen in der Schenke die Biergutscheine und Bons auf die einer Schatztruhe ziemlich ähnliche Bierkasse legen. Ich sollte auf einer Art Thron sitzen, um zu überwachen, ob die Zahl der Bons mit der Zahl der Maßkrüge, welche die Bedienung vom Schanktisch nahm, übereinstimmte. Wär ja gelacht, ein leichter Job für gutes Geld.

Aber man sollte die Wiesn nicht unterschätzen. Viele Gäste, viele Bedienungen, viel Bier, und neben mir ein Schrank von einem Schankkellner aus dem Bayerischen Wald, der sein Handwerk als Kunst verstand. Die Kunst, schnell und präzise einzuschenken. Vormittags hatte ich alles im Blick - bis Schankkellner und Bedienungen ihr Tempo steigerten. Sechs Bons - halt, sieben Krüge in der Hand! "Mei, das hab' ich übersehen, hab ich nur sechs Bons hingelegt?", fragt die Altmeisterin unter den Bedienungen und zieht noch einen Gutschein aus der Tasche. Sie wusste es. Nach 16 Tagen zu je zwölf Stunden an der Bierkasse wusste ich, warum ich bezahlt wurde. Und das Extra-Bier, das hab ich mir verdient.

Johanna Pfund

Illustration: Jessy Asmus

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Mit der Schere gegen Gewalt

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Quelle: Illustration Jessy Asmus

Dieser schlimme Job war erst einmal so toll, dass ich es kaum glauben konnte: alle Folgen von "Miami Vice" anzuschauen und dafür auch noch bezahlt zu werden. Es ging darum, die Fernsehserie kindgerecht zu schneiden, damit ein Privatsender sie nicht erst um 22 Uhr, sondern schon am Nachmittag ausstrahlen konnte.

In den Achtzigerjahren, als "Miami Vice" zum ersten Mal lief, lag ich immer schon im Bett. Es war das Jahrzehnt, als in Deutschland noch graue Ermittler wie "Derrick" und "Der Alte" den Höhepunkt an Krimi-Spannung darstellten. Und dann plötzlich das: Elektrotrommeln und flüchtende Flamingos, Karibik, Gitarrenriffs und Sportwagen, Bikinifrauen, Surfer und pastellfarbene Sakkos, Goldkettchen, Don Johnson und Philip Michael Thomas!

Also Jalousien dicht, Videogerät ab und Timecodes für die Cutter mitgeschrieben: jeden direkt gezeigten Einschuss und Messerstich, jede verbale Gewaltandrohung, jeden Fausthieb, jeden Fluch, jede übererregende Kamerafahrt und bedrohliche Geräuschkulisse, jeden Drogenspritzeneinstich, jeden Befehl zu töten, jeden Sex, jede Erniedrigung - acht Stunden und sechs Folgen pro Tag im abgedunkelten Büro und danach im finsteren Schnittraum. Fünf Staffeln und 111 Episoden später sah ich sogar im Schlaf Flamingos, das Gehirn wie mit Pastellfarben zugekleistert - und ansonsten nur noch Übelkeit wegen der ganzen Gewalt. "Miami Vice" war dabei ganz schön geschrumpft.

Jochen Temsch

Illustration: Jessy Asmus

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Nachts in der Lackgrube

Illustration Jessy Asmus

Quelle: SZ

In kurzer Zeit viel Geld verdienen - wer will das nicht? Als Student, der die drei Monate Sommerferien zum Reisen dringend brauchte, ließ ich mich deshalb von BMW anwerben. In wenigen Wochen, erzählten Freunde, könne man dort mit Nacht- und Sonntagsarbeit das Geld für mehrere Reisen verdienen.

Leider zogen diese Freunde das bessere Los als ich: Sie waren im Forschungszentrum weitgehend mit Kartenspielen und Bodenwischen beschäftigt, während ich im Werk München Nachtschichten in der Lackstraße schieben durfte.

Und das ging so: Man stieg in wannenartige Produktionsstraßen hinein, durch die an dicken Kettenzügen untertags die 3er-BMWs gezogen wurden, damit sie von allen Seiten mit schönsten Lacken besprüht werden konnten. Meine Aufgabe war es nun, nachts in Gummistiefeln und Overall mit dem Spachtel die vielen Farbschichten von Kettenzug und Wanne abzukratzen. Angeleitet wurden wir von albanischen Vorarbeitern, die uns immer wieder aus dem Halbschlaf weckten: "Du muss arbeite, nix spiele wie kleine Kind." Es roch scharf nach den Lacken und noch schärfer nach harten Putzmitteln. Die Zeit zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh floss langsam wie zäher Lack. Der Aufenthaltsraum war tapeziert mit Postern aus Praline und Penthouse, der Umgangston war rüde. Nach zwölf Tagen eröffnete ich meinem Vorgesetzten, dass es meiner Oma schlecht ging und ich deshalb nicht weiterarbeiten könnte.

Hans Gasser

Illustration: Jessy Asmus

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Schief gewickelt

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Quelle: Illustration Jessy Asmus

Der Zettel mit der Telefonnummer einer Plissierbrennerei, den mir eine Freundin zuschob, kam zur rechten Zeit. Nach der Büffelei fürs Abi wollte ich das Gegenteil von Kopfarbeit. Lieber als Arbeiterin mit beiden Händen zupacken.

Der Einstieg war einfach, ohne Bewerbungs-Brimborium. Ein Anruf, am übernächsten Tag ging es los: Eine Maschine spuckte beharrlich Stoffbahnen aus. In das Synthetik-Material hatte sie zuvor schlichte, lineare Falten gepresst. Mithilfe von Druck, einer Temperatur von circa 180 Grad Celsius und Wasserdampf wurden die Falten fixiert. Meine Aufgabe bestand darin, den Stoff akkurat auf riesige Rollen zu wickeln.

Auf geblümte Stoffe folgten Karos, dann wieder Blümchen. Stundenlang. Da war jede Abwechslung willkommen: Wenn sich der Stoff etwa trotz aller Bemühungen schief aufrollte und ich eine erfahrene Mitarbeiterin zu Hilfe holen musste. Immer wieder dachte ich: "Wer braucht bloß so viele Faltenröcke?" Die meiste Zeit aber schaltete sich das Gehirn im überhitzten Produktionsraum von selbst in den Dämmerschlafmodus.

Jeden Abend waren meine Hände tomatenrot und schmerzten. Zwei Wochen an der Plissiermaschine zu stehen, das ging nur mithilfe von Brandsalbe. Doch ich lernte in dieser Firma Wichtigeres als später, in anspruchsvolleren Semesterferienjobs. Zum Beispiel, was für ein Privileg es ist, Abitur machen zu dürfen, das einem Türen zu vielen kreativen Berufen öffnet.

Stephanie Schmidt

Illustration: Jessy Asmus

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Warmes Knäckebrot

Illustration Jessy Asmus

Quelle: Illustration Jessy Asmus

Auch nach mehr als 45 Jahren würde ich den Geruch unter 1000 anderen Gerüchen sofort erkennen: der von warmem Knäckebrot. In einer Backhalle, in der es noch heißer war als im Hochsommer draußen. Auch damals gab es schon heiße Hochsommer. Der Ferienjob klang verlockend. Vier Wochen in einer nahegelegenen Knäckebrotfabrik.

Was ich zu tun hatte, wurde mir im ohrenbetäubenden Lärm zweier Backstraßen kurz erläutert: Mich um die Stachelradwalze zu kümmern. Die Stachelradwalze war dazu da, in den Teig, den die Maschine als dünne Schicht auf das Förderband presste, die Vertiefungen hineinzudrücken, die Knäckebrot nun mal hat. Der Teig mit den Vertiefungen lief dann in den Ofen weiter. Die Stachelradwalze musste ständig mit einem Besen, der vorher in Mehl getunkt wurde, gefegt werden, damit der feuchte Teig nicht von der Walze aufgerollt wird. Dann hätte die Maschine sofort gestoppt werden müssen.

Das Problem war: Der Besen war ein schweres Metallungetüm. Und es gab zwei Stachelradwalzen. Denn ich stand zwischen zwei Backstraßen und musste fortwährend erst die eine und dann die andere Walze bestäuben. Am dritten Tag passierte es: Der Teig wickelte sich um eine Walze. Ein Alarm ertönte und der Maschinenführer kam laut fluchend aus seinem Glaskabuff und gab mir zu verstehen, dass ich zu blöd zum Sch... sei. Ich bin dann nicht mehr hingegangen. Knäckebrot kann ich bis heute nicht essen. Weil mir sofort der Geruch von damals in die Nase steigt.

Peter Fahrenholz

Illustration: Jessy Asmus

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Winzige Wesen streicheln

Illustration Jessy Asmus

Quelle: SZ

Am Bett kranker Kinder sitzen - was sollte daran schwierig sein? Die Bezahlung war fürstlich, nach jahrelangem Kellnern klang dieser Job geradezu paradiesisch, ich schlug sofort ein. So hockte ich dann als Sitzwache auf der Intensivstation und starrte auf Frühchen, im Tagdienst von acht bis 18 Uhr, im Nachtdienst von 18 bis sieben Uhr. In Brutkästen dämmerten zerbrechliche Wesen, die kleinsten passten auf zwei Hände, die von Pflegekräften und Ärzten vorsichtig versorgt, untersucht, gewickelt wurden. Sie steckten in viel zu großen Windeln, hatten Schläuche in Nase und Hals, Infusionskanülen waren in den Kopfvenen, weil die Armvenen noch viel zu dünn waren für Nadeln.

Eine meiner Aufgaben war es, die Kleinen zu streicheln, damit sie das Atmen nicht vergessen und damit sie Berührung spüren. Eine sehr weiche Bürste an einem langen Stiel ragte aus einer Öffnung des Inkubators. Immer wenn ich das Gefühl hatte, die Bauchdecke des Winzlings habe sich schon länger nicht mehr gehoben, nahm ich vorsichtig die Bürste, stupste ihn behutsam, streichelte über Ärmchen und Beinchen.

Sitzen und streicheln, durch den Tag, durch die Nacht. Manchmal zuckten sie im Schlaf. Zucken war okay, doch rhythmisches Krampfen musste ich sofort melden. Der Anfang des Lebens kann ganz schön schwer sein. Mit dem verdienten Geld fuhr ich im Fiat Panda nach Sizilien. Ich brauchte die drei Wochen, um die eigenen Verkrampfungen zu lösen.

Ingrid Brunner

Illustration: Jessy Asmus

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Vereiste Fingerkuppen

Illustration Jessy Asmus

Quelle: SZ

"Wohin bist Du denn unterwegs?", fragt Tante Inge, als man sie zufällig auf der Straße trifft. Stolz kommt es zurück: "Geld verdienen!" Acht Mark die Stunde verspricht der Job als sogenannte Auffüllkraft im Supermarkt. Damals, Ende der Achtzigerjahre, kein ganz schlechter Verdienst für einen 14-Jährigen.

Im Einzelhandel tobt zu dieser Zeit schon der Wettbewerb zwischen klassischen Ketten auf der einen Seite, den "Vollsortimentern" also, wie man heute weiß. Und Discountern auf der anderen Seite, die ihre Waren damals noch lieblos in Kartons gestapelt in die Läden stellen. Um sich abzugrenzen, benötigen die klassischen Händler viele helfende, billige Hände, die die Produkte in die Regale räumen. Also: Schüler wie mich.

Dienstagnachmittags bestücke ich die Drogerieabteilung mit Deo-Stiften und Rasierschaum, Badeölen und Haarshampoos. Und weil das ganz gut läuft, bietet der Marktleiter kurze Zeit später die Tiefkühlkost an. Donnerstags stehen nun Pizzas und Eis an, dazu Wagenladungen voller tiefgefrorener Torten. "Aber das könnte kalt werden", warnt die Tante vor dem ersten Einsatz. "Hier", sagt sie, "nimm' die Handschuhe mit." Und drückt mir ihre besten Wollhandschuhe in die Hand.

Am Ende der Schicht zeigt sich aber: Wollhandschuhe eignen sich nur bedingt für die harte Arbeit in der Gefriertheke; an den Fingerkuppen klaffen riesige Löcher. Und so geht das hart verdiente Geld für neue Handschuhe drauf. Für Tante Inge.

Marco Völklein

Illustration: Jessy Asmus

© SZ vom 03.08.2019/berk
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