Fatih Akin im Interview:"Meine Eltern wussten, wie wichtig Bildung ist"

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Er ist der Star des deutschen Kinos: Regisseur Fatih Akin hat es nach ganz oben geschafft - als Sohn türkischer Einwanderer, der im sozialen Brennpunkt aufwuchs. Ein Gespräch über Schule, Bildung, Integration - und chancenlose Migranten.

Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: Herr Akin, Sie sind der Sohn türkischer Einwanderer. Bei Ihnen zu Hause wurde nur Türkisch gesprochen, sie wuchsen in einem Hamburger Problemviertel auf und waren eine Zeit lang Mitglied einer Straßengang. In der heutigen Bildungsdebatte wären Sie von manchen als "Problemkind" bezeichnet worden.

Fatih Akin Bildung Schule Migrationshintergrund, © Kerstin Stelter  corazón international

Regisseur Fatih Akin: "Viele Türkenkinder aus meinem Viertel waren Sonder-, Haupt- oder bestenfalls Realschüler."

(Foto: Foto: ©Kerstin Stelter, corazón international)

Fatih Akin: Ja, vielleicht. Aber ich hatte das Glück, dass meine Mutter sehr viel Wert auf unsere Bildung gelegt hat. Sie war ausgebildete Grundschullehrerin. In Deutschland musste sie als Putzfrau und Packerin arbeiten - aber ihr war völlig klar, dass mein Bruder und ich die besseren Chancen haben würden, wenn sie uns aufs Gymnasium schickt.

sueddeutsche.de: Hätten Sie Ihre Karriere auch gemacht, wenn Ihre Mutter Sie nicht auf ein Gymnasium geschickt hätte?

Akin: Ich glaube, mein Werdegang hat tatsächlich viel mit meinem Migrationshintergrund zu tun. Wie so viele türkische Familien damals hatten wir zu Hause einen Videorekorder, damit sich meine Eltern türkische Filme anschauen konnten. Schon mit acht Jahren habe ich mir Sendungen aus dem Spätprogramm aufgenommen. So stand für mich schon in der Grundschule fest, dass ich zum Film gehe. Außerdem hatten meine Eltern Freunde, die eine der ersten Videotheken in Hamburg besessen haben. Wenn niemand auf uns aufpassen konnte, weil mein Vater Akkord arbeiten musste, waren wir oft dort und konnten uns aus dem Sortiment alles aussuchen. Diese Zeit hat mich sehr geprägt. Auf dem Gymnasium hat mich natürlich der Deutsch-Unterricht beeinflusst.

sueddeutsche.de: Waren Sie gut in Deutsch - obwohl Sie zu Hause Türkisch gesprochen haben?

Akin: Ich war gut, weil der Unterricht viel mit Dramaturgie, mit dem Geschichten-Erzählen zu tun hatte. Wir haben viel von Heinrich Böll und Max Frisch gelesen, das war wichtig für mich. Außerdem habe ich in der Theater-AG mitgemacht. Und es gab einige wenige Lehrer, die mich in meinem Berufswunsch immer unterstützt haben.

sueddeutsche.de: In Deutschland leben etwa zwei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, ihr Bildungsstand ist relativ niedrig. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Akin: Ich kann nur von meinen persönlichen Erfahrungen sprechen. Auf meinem Gymnasium in Hamburg-Altona gab es viele Kinder mit Migrationshintergrund. In meiner Klasse waren von 28 Kindern die Hälfte Ausländer, davon fünf oder sechs Türken. Bei meinem Bruder war das anders: Er war der einzige Türke in seiner Klasse. Da gab es höchstens noch zwei andere Türken auf der ganzen Schule. Vielleicht hatte ich einfach nur Glück.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum andere Kinder aus Akins Viertel später kriminell wurden.

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