Familienbericht 2011:Hilfe in der Rush-Hour des Lebens

Wissenschaftler fordern im neuen Familienbericht von der Bundesregierung eine Zeitpolitik für Mütter und Väter in Deutschland. Dabei bleiben sie jedoch vage und klammern sogar einige mögliche Lösungen aus.

Felix Berth

Nun soll auch die Zeit noch zum Thema der Politik werden. Nicht so etwas banales wie die Ladenöffnungszeiten oder der Dienstschluss der deutschen Behörden, sondern gleich das große Ganze: Deutschland brauche eine "Zeitpolitik", verlangt eine Kommission von acht Wissenschaftlern. Der Staat müsse "Handlungskonzepte für eine familienfreundliche Zeitpolitik" entwickeln, sagte auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), bevor sie am Freitag den Bericht der Wissenschaftler entgegennahm. Würde Michael Ende noch leben, könnte er grummeln: Hab ich's doch geahnt, dass die Verwalter des Staates eines Tages unseren Kalender regieren wollen. Die Zeit, so mag man mit Michael Endes "Momo" denken, ist niemals sicher vor dem Zugriff der grauen Herren mit den grauen Autos.

Uebergabe des 8. Familienberichts an Bundesfamilienministerin Schroeder

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) und der Vorsitzende der Sachverständigenkommission, Gregor Thuesing, posieren in Berlin auf einer Pressekonferenz mit dem achten Familienbericht.

(Foto: dapd)

"Zeitpolitik" - der Begriff klingt im ersten Moment tatsächlich befremdlich. Jeder Tag hat 24 Stunden, das werden weder Politik noch Wissenschaft ändern. Und jeder Mensch entscheidet doch selbst, was er mit seiner Zeit anfängt. Was also will die Politik denn regeln? Und wenn sie doch etwas zum Regeln entdeckt: Muss sie das Land wirklich damit beglücken?

Die acht Wissenschaftler, die den neuen Familienbericht geschrieben haben, würden dem entgegnen, dass eine Prämisse der Fragen nicht stimmt - nämlich die, wonach Menschen autonom über ihre Zeit entscheiden. Wofür sie tatsächlich recht gute Belege haben. Denn die Deutschen empfinden sich oft nicht als "zeitsouverän", wie das in der Sprache der Soziologen heißt. So wünschen sich Mütter sehr häufig, dass sie ihre Arbeitszeit ausdehnen könnten. Andererseits sind Väter oft deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche im Job, womit sie unzufrieden sind, weil sie ihre Kinder täglich bloß ein paar Minuten sehen. Echte "Zeitsouveränität" sähe anders aus: Könnten Mütter und Väter autonom entscheiden, wären die Männer seltener und die Frauen öfter im Büro oder in der Fabrik.

Ein anderes Phänomen ist in den vergangenen Jahren als "Rush-Hour des Lebens" bekannt geworden: Junge Erwachsene stellen erstaunt (und atemlos) fest, wie viele Aufgaben sie in wenigen Jahren ihres Lebens parallel erledigen sollen und wollen: sich im Job etablieren, den Partner fürs Leben finden, die Karriere starten, Kinder kriegen und diese in den ersten Jahren mit enormem Zeitaufwand großziehen. Per se sind das keine unangenehmen Aufgaben, würde man sagen - aber alles gleichzeitig?

Wenige konkrete Forderungen

Nun kann man überlegen, was die Politik mit diesem Wissen über die reale Zeitnot anfangen kann. Der Auszug aus dem Familienbericht, den Ministerin Schröder am Freitag veröffentlichte, bleibt da vage. Vergleichsweise konkret ist noch die Forderung nach flexibleren Öffnungszeiten der Kindergärten - schließlich hat nur noch etwa die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland klassische Arbeitszeiten vom Morgen bis zum frühen Abend. 40 Prozent dagegen haben "atypische" Jobs: Sie arbeiten am Wochenende, frühmorgens, spätabends oder nachts. Darauf sollten Kitas und Kommunen mit flexibleren Öffnungszeiten reagieren, empfehlen Wissenschaftler und Ministerium. Wobei dieser Ratschlag zum Typus der "Tipps für Dritte" zählt: Guter Rat ist billig, wenn der Ratgeber selbst nichts tun muss.

Umso interessanter ist, welche bundespolitischen Möglichkeiten der am Freitag veröffentlichte Bericht ausklammert. Zum Beispiel das deutsche Steuerrecht, das enorme "zeitpolitische" Effekte hat, wie man kürzlich in einem Aufsatz von Stefan Bach und einigen anderen Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nachlesen konnte. Sie stellten die Frage, wie sich Arbeitszeiten von Männern und Frauen in Deutschland verändern würden, falls das Ehegattensplitting abgeschafft würde.

Auch das scheint auf den ersten Blick eine seltsame Frage zu sein: Was hat das Ehegattensplitting mit den Arbeitszeiten zu tun? Bachs Antwort: ziemlich viel. Kern des Ehegattensplittings ist ja, dass für beide Ehepartner stets derselbe Steuersatz gilt. Für Männer mit Vollzeitjobs ist das günstig, für Frauen mit Teilzeitjobs nicht: Wenn sie mehr arbeiten, wird ihr Einkommen vergleichsweise hoch besteuert. Die Simulationsrechnung des Instituts zeigt: Ohne Ehegattensplitting würden Männer in Westdeutschland ihre Arbeitszeit zurückfahren (um knapp zwei Prozent), Frauen würden die ihre steigern (um gut acht Prozent). Auch das wäre "Zeitpolitik", die aber das Familienministerium nicht empfehlen mag.

Ähnlich ist es mit den 400-Euro-Jobs, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten. Sie sind "zeitpolitisch" wirksam, weil sie für Frauen eine Hürde darstellen: In diesem System wird kaum eine Frau ihre Arbeitszeit deutlich steigern, weil dann hohe Steuern und Sozialabgaben fällig werden. Die aber bleiben der Frau erspart, wenn sie mit wenigen Arbeitsstunden maximal 400 Euro im Monat verdient.

Diese "Falle" hatte vor einiger Zeit ein anderer Report für das Familienministerium, der Gleichstellungsbericht, scharf kritisiert. Doch das gefiel der CDU-Ministerin nicht: Als die Wissenschaftler ihr diesen Bericht übergaben, schickte Kristina Schröder einen Staatssekretär. Den braveren Familienbericht nahm sie am Freitag gerne entgegen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: