Familienbericht 2011:Eltern wollen lieber mehr Zeit für ihre Kinder als mehr Geld

Mehr als 40 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern leiden "oft oder immer" unter Zeitdruck. Jede zweite Alleinerziehende ist im Dauerstress: Familien brauchen dringend mehr Zeit. Das besagt der aktuelle Bericht, den eine Expertenkommission an diesem Freitag der Bundesfamilienministerin übergeben hat. Darin macht sie auch Vorschläge, wie die Politik die Situation verbessern kann.

Eines brauchen Familien in Deutschland besonders dringend: mehr Zeit. Das geht aus dem achten Familienbericht der Bundesregierung hervor, den eine unabhängige Expertenkomission am Freitag Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) in Berlin übergab.

8. Familienbericht vorgestellt

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) und der Vorsitzende der Sachverständigenkommission, Georg Thüsing, stellen im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den achtenFamilienbericht vor.

(Foto: dpa)

Demnach können sich 63 Prozent der Väter und 37 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern nach eigenen Angaben aus Zeitgründen nicht genug um ihren Nachwuchs kümmern. Mehr als 40 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern leiden "oft oder immer" unter Zeitdruck. Dies betrifft Mütter aus Dopperlverdiener-Haushalten weit häufiger als aus Einzelverdiener-Haushalten. Bei alleinerziehenden Müttern steht sogar jede zweite unter Dauerstress. Und auch bei den Kindern im Alter zwischen sechs und elf Jahren sagen zwei Drittel, ihre Väter hätten zu wenig Zeit für sie, und ein Drittel, ihre Mütter.

Dem Bericht zufolge übernehmen immer noch Frauen den Großteil der Familien- und Erziehungsarbeit. Über zwei Drittel der Frauen (67 Prozent) geben an, sie seien für den überwiegenden Teil dieser Aufgaben verantwortlich. 28 Prozent der Frauen mit einer Teilzeitstelle würde gern mehr arbeiten, wenn dies besser mit der eigenen Familie vereinbar wäre. Dagegen arbeiten Väter oft mehr, als ihren Wünschen entspricht. So machen 67 Prozent der Männer mit minderjährigen Kindern zumindest gelegentlich Überstunden.

"Der Wunsch nach mehr Zeit für Familien eint alle Familien und ist noch stärker ausgeprägt als der Wunsch nach mehr Geld", sagte Schröder. Mit dieser Entwicklung habe vor allem die Arbeitswelt nicht ausreichend Schritt gehalten. Zeit sei daher die "Leitwährung" der Familienpolitik. Der vorgelegte Bericht "markiert den Einstieg in eine Zeitpolitik für Familien".

In ihrer Studie fordern die acht Experten unter der Leitung des Arbeitsrechtlers Gregor Thüsing von der Politik stärkere Anstrengungen, um den Zeitbedürfnissen von Familien gerecht zu werden. Dazu schlagen sie unter anderem vor, Arbeitszeiten und Öffnungszeiten von Betreuungseinrichtungen besser zu koordinieren und mehr Ganztagsschulen zu schaffen. Hier seien besonders die Kommunen gefordert. Denkbar seien auch Änderungen im Arbeitsrecht, um etwa bei betriebsbedingten Kündigungen Väter oder Mütter besserzustellen als Beschäftigte ohne Kinder. Sie hoben hervor, dass es unter den Arbeitnehmern einen großen Wunsch nach mehr Teilzeitbeschäftigung mit Arbeitszeiten zwischen 30 und 35 Stunden pro Woche gebe.

Schröder hob hervor, dass die zunehmende Verbreitung von Telearbeit zwar auf der einen Seite einen Gewinn für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bedeute. Die ständige Erreichbarkeit führe jedoch auch zu dem "sehr bedenklichen Trend", dass Arbeit und Familie immer schwerer zu trennen seien und es keinen Raum für Privatheit gebe. Hier sei eine neue "Zeithygiene" erforderlich. Deshalb werde sie zwar politisch alles unterstützen, was die stärkere Arbeit von zu Hause und auch die Teilung von Führungspositionen ermögliche. Jedoch warnte sie davor, dass Arbeit und Familie "nicht unkontrolliert ineinanderfließen" dürften.

Thüsing verwies darauf, dass häufig nicht der Umfang der Arbeit den beschäftigten Eltern Probleme mache, sondern Ort und zeitliche Lage der Arbeit. Man könne ein guter Arbeitnehmer sein und von zu Hause aus arbeiten, aber vom Büro aus kein guter Vater vom Büro aus. Wichtig sei auch eine verlässliche Arbeitszeitplanung, um die Zeit für die Familie sicher koordinieren zu können.

Die Familienberichte werden seit 1968 in der regel alle fünf bis sechs Jahre vorgelegt, denn die Bundesregierung muss mindestens in jeder zweiten Wahlperiode den Bundestag über die Lage der Familien in Deutschland informieren. Während der erste, dritte, fünfte und siebte Familienbericht die Situation der Familien umfassend darstellte, widmeten sich die anderen Berichte Schwerpunktthemen.

Der jetzt von den Wissenschaftlern übergebene achte Familienbericht umfasst 226 Seiten und steht unter dem Titel "Zeit für Familie. Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik". Er soll Anfang 2012 zusammen mit der Stellungnahme der Bundesregierung veröffentlicht werden.

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