Fallstricke im Anti-Diskriminierungs-Gesetz:Weniger Fragen, mehr Lügen

Bewerber und Unternehmen müssen umdenken. Das neue Gleichbehandlungsgesetz ändert vieles - von der Stellenanzeige bis zum Schutz vor Mobbing.

Roland Preuß

Sandra Meister schwant Schlimmes. "Wenn wir eine Fahrerin einstellen, dann ist die Hölle los - und schuld sind die Männer", sagt sie. Meister arbeitet seit vielen Jahren als Personalchefin eines mittelständischen Speditionsunternehmens. Frauen dürfen bei der bayerischen Firma nicht ans Steuer eines Lkws, so will es ausdrücklich die Geschäftsführung. Meister, die ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung sehen will, erklärt die Praxis mit ihrer Erfahrung: Vor einigen Jahren stellte sie eine Kraftfahrerin ein, die tadellos arbeitete. Die Fernfahrer der Firma aber stiegen der gutaussehenden Kollegin hinterher, sogar die Angestellten der Firma starrten aus dem Fenster, wenn die Kollegin aus der Zugmaschine stieg, erzählt Meister. Die Folge: Wütende Ehefrauen standen bei ihr im Büro und beschwerten sich über die neu Eingestellte.

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(Foto: Foto: Vera Thiessat)

Nun sitzt Meister zusammen mit sechs Kollegen aus anderen Unternehmen in einem Münchner Hotel und lässt sich einen Tag lang über den Umgang mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) informieren. Besser gesagt: Sie und ihre Kollegen wollen vor allem Ärger vermeiden. Das Vorgehen in Meisters Firma etwa ist nach dem AGG eindeutig verboten. Dieses untersagt seit vier Monaten eine Benachteiligung vieler Gruppen im Berufs- und Geschäftsleben. Der Schutz erstreckt sich von der Bewerbung über das gesamte Arbeitsleben bis hin zur Altersversorgung. Reichlich Stoff also, Fehler zu machen, die ein Unternehmen leicht mehrere Monatslöhne Schadensersatz kosten können.

Rechtlich ist das Beispiel Meisters für Frank Walk klar. "Dann müssen Sie Ihre Fahrer disziplinieren", sagt der Referent und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der internationalen Kanzlei Taylor Wessing. Eine Forderung, die Meister wegen der Regeln in der raubeinigen Fernfahrer-Szene für "illusorisch" hält.

Die Unsicherheit ist groß bei den Personalern aus den mittelständischen Unternehmen. Zahlreiche Paragraphen des AGG sind schwammig formuliert, klagt Referent Walk. "Wir müssen erst Urteile zu dem Gesetz abwarten", sagt auch der Arbeitsrechtler Martin Nebeling von der Anwaltskanzlei Bird & Bird, der in Düsseldorf Kurse zum AGG gibt. Und so muss Walk an einigen Stellen spekulieren, wie sich die Führungskräfte wohl zu verhalten haben.

Beim Thema Bewerbungen ist immerhin klar: Alle Stellenausschreibungen müssen geschlechtsneutral gehalten sein, etwa durch ein "männlich/weiblich" hinter der Berufsbezeichnung. Auch Mitarbeiter für ein "junges Team" oder Bewerberinnen "bis 40 Jahre" dürfen nicht mehr offen gesucht werden. Ältere Kandidaten könnten sonst wegen Altersdiskriminierung klagen.

Selbst von der Forderung nach "Bewerbungsunterlagen mit Lichtbild" rät Walk ab: Das Foto kann Auskunft geben über Rasse oder Herkunft, das Unternehmen müsste sich möglicherweise vor Gericht rechtfertigen, warum es ein Bild verlangt habe.

Weniger Fragen, mehr Lügen

Auch bei der Vorauswahl der Bewerber und beim Vorstellungsgespräch werden sich viele Firmen umstellen müssen. So dürfen Kindergärten etwa einer Scientology-Anhängerin nicht eine Stelle verwehren mit dem Hinweis, die Eltern wünschten so jemand nicht. "Man kann sich nicht auf die Benachteiligung durch andere berufen", sagt Walk. Eine solche Absage sei nur erlaubt, wenn die fragliche Eigenschaft entscheidend für die Arbeit ist. Etwa, wenn ein Theater zum Romeo eine passende Julia sucht, die doch bitte eine Frau sein soll.

Absagen an Bewerber dürften künftig deutlich knapper ausfallen als bisher. "Sie sind nicht verpflichtet, ein Nein zu begründen", sagt Walk. Also sollte das Unternehmen keine Angriffsfläche durch zu viele Worte bieten. "Ein Tipp von Personalern an abgelehnte Bewerber dürfte mit dem Gesetz Geschichte sein."

Bewerbungsgespräche werden stellenweise ebenfalls wortkarger ausfallen. Nach sämtlichen AGG-Kriterien darf nicht mehr gefragt werden. Denn warum will der Arbeitgeber das wissen, wenn er nicht danach auswählen will? Das betrifft etwa Fragen nach der Staatsangehörigkeit (Rasse, Herkunft) oder einer Behinderung. Der Empfehlung "weniger Fragen" für Arbeitgeber entspricht auf Seiten der Bewerber ein "mehr Lügen". Kandidaten dürften auf verbotene Fragen falsche Antworten geben, sagt Walk - so wie bisher schon bei der Frage: "Sind Sie schwanger?" Bewerber sollten mögliche Diskriminierungsmerkmale am besten verbergen.

Fragen wirft das AGG auch beim Thema Tarifverträge auf. Diese schreiben häufig einen höheren Lohn und mehr Urlaubstage für Ältere vor. Die Unternehmen sollten sich deshalb bei ihrem Branchenverband erkundigen, ob der Vertrag mit dem AGG vereinbar sei, sagt Walk. "Dann sind sie aus dem Schneider." Sein Kollege Nebeling hingegen rät, sich lieber auf die Auskunft eines Arbeitsrechtlers zu verlassen.

Die Vorschriften greifen auch im Berufsalltag. So muss der Arbeitgeber seine Mitarbeiter vor sexueller Belästigung oder Mobbing wegen Herkunft, Alter oder ähnlichem schützen. In Meisters Firma waren dies kaum bekleidete Damen als Bildschirmschoner. "Das habe ich schon verboten", sagt die Peronalchefin mit einem Anflug von Resignation. Auch Walk empfiehlt solche internen Regeln.

Die neuen Vorgaben lösen bei den Seminarteilnehmern ein geteiltes Echo aus. Einerseits ist durchaus Unmut zu spüren über die Fallstricke des AGG, die Mehrarbeit, um diese zu umgehen, und Regelungen, die es unmöglich machen könnten, etwa ein Scientology-Mitglied abzulehnen, weil dies eine Benachteiligung wegen seiner Weltanschauung wäre. Andererseits sind auch Personaler Angestellte, die teilweise bereits Willkür erlebt haben. "Man diskriminiert automatisch, wenn man nach seinem Bauchgefühl geht", sagt Joachim Lorenz vom Bezirkskrankenhaus Haar bei München. Er werde nun mehr Menschen einladen müssen, die er früher aussortiert habe, und das sei "gar nicht unvernünftig".

Walk rät, das Profil eines Bewerbers vor der Ausschreibung genau festzulegen und nur anhand erlaubter Kriterien wie Berufserfahrung oder Gehaltsvorstellung auszuwählen. Keinesfalls, sagt sein Kollege Nebeling, sollten mögliche geschützte Gruppen von vorneherein aussortiert werden, um so die Fallstricke eines Bewerbungsgesprächs zu umgehen: "Das kommt raus." Demnach werden es künftig mehr Bewerbermappen so genannter Randgruppen auf Deutschlands Chef-Schreibtische schaffen.

In der Speditionsfirma von Sandra Meister wird das für Fahrerinnen wohl nicht gelten, auch wenn Meister die Benachteiligung von Frauen eigentlich verwerflich findet. "Zu Bewerberinnen sage ich deshalb immer: Wir suchen keine Fahrer." Doch so leicht lässt sich das AGG nicht umgehen, wie eine andere Personalerin sofort einwirft: "Was machen Sie, wenn die Frau jemand kennt, der kurz darauf eingestellt wurde?"

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