Fahrdienstleiter:Ohne sie rollt nichts

Lotsen für die Schiene - Fahrdienstleiter bringen Züge ans Ziel

In mechanischen Stellwerken wie diesen bewegen die Fahrdienstleiter die Weichen und Signale noch mittels Handhebeln und Drahtseilen.

(Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Sie stellen die Weichen und Signale - und tragen große Verantwortung. Trotz guter Verdienstmöglichkeiten tut sich die Bahn schwer bei der Suche nach neuen Fahrdienstleitern.

Von Marco Völklein

Eigentlich hätte Alexander Ebner einen erstklassigen Blick auf die Züge, die er lenkt. Hoch oben sitzt der 21-Jährige im Stellwerk des Augsburger Hauptbahnhofs. Durch große Fenster überblickt man das ganze Areal: die Bahnsteige und Gleise, zudem weiter südlich davon die Anlagen des Rangierbahnhofs.

Doch Ebner schaut so gut wie nie aus dem Fenster. Er sitzt mit dem Rücken zur Glasfront. Seine Augen sind gerichtet auf die große Stellwerkswand vor ihm; dort blinken unzählige Lämpchen. Mit einem kleinen Pult vor sich schaltet er zusammen mit drei Kollegen die Signale und Weichen im Hauptbahnhof. Die einzige, die tatsächlich den Blick auf die Bahnsteige nutzt, ist die Ansagerin auf dem Platz hinter Ebner. Sie muss sehen, wann ein Zug die Türen öffnet und seine Reisenden entlässt - damit sie erst dann ihre Durchsagen zu den Anschlusszügen macht.

Alexander Ebner ist einer von bundesweit etwa 13 000 Fahrdienstleitern. Sie sind diejenigen, ohne die bei der Eisenbahn nichts läuft. Sie stellen die Weichen und Signale; ohne dass ein Fahrdienstleiter in einem Stellwerk ein Signal auf Grün stellt, fährt so gut wie kein Zug durch die Republik. Die Fahrdienstleiter machen bei der Bahn in etwa das, was im Luftverkehr die Fluglotsen bewerkstelligen. Sie steuern den Verkehr, entscheiden, welcher Zug wann wo fahren darf. Und müssen bei Problemen oder Störungen entscheiden, wie der Zugbetrieb dennoch zumindest irgendwie am Laufen gehalten wird.

Etwa 1000 angehende Fahrdienstleiter sucht die Deutsche Bahn (DB) jedes Jahr. Weil über viele Jahre nicht genügend Personal aufgebaut wurde, sind die Fachleute nun gefragt. Zudem werden in den nächsten Jahren viele Beschäftigte in den Ruhestand wechseln. "Die DB braucht dringend mehr Fahrdienstleiter", sagt Uwe Reitz von der Eisenbahnergewerkschaft EVG.

Das Problem ist nur: Den Beruf kennt kaum jemand. Wer da in den bundesweit etwa 2800 Stellwerken sitzt und was er da genau zu tun hat, sei vielen auf den ersten Blick nicht klar, sagt Kerstin Wagner, die bei der DB für die Personalgewinnung verantwortlich ist. "Auf den zweiten Blick aber ist das Berufsbild durchaus sehr griffig." Über Tage der offenen Tür oder Live-Chats bei Facebook mit aktiven Fahrdienstleitern versucht der Konzern, junge Leute für den Beruf zu begeistern.

Steuern am Bildschirm: Die Gleise sind oft kilometerweit entfernt

Auch Nadine Mühlegger wusste bis vor ein paar Jahren nicht, was so ein Fahrdienstleiter macht. Nach ihrem Realschulabschluss musste sich die heute 21-Jährige entscheiden, in welche Richtung sie sich beruflich entwickeln wollte. Weil der Vater schon bei der DB tätig ist, hatte sie zumindest einen Bezug zum Konzern. In einem "Lotsencamp" machte sie sich mit der Tätigkeit vertraut. Zu diesen Camps lädt die DB immer wieder Interessenten in ganz Deutschland ein, zeigt dabei die verschiedensten Berufe im Konzern. Und überzeugt so junge Leute wie Nadine Mühlegger, in einem Stellwerk anzufangen.

Wobei auch die 21-Jährige kaum reale Züge sieht. Sie arbeitet in der Betriebszentrale München, abgekürzt: BZ. Sieben solcher Betriebszentralen gibt es bundesweit. Von dort aus werden zahlreiche Bahnhöfe zentral vom Computer aus gesteuert. Stellwerke direkt am Bahnhof, so wie das von Alexander Ebner in Augsburg, gibt es dort gar nicht mehr. Nadine Mühlegger zum Beispiel stellt von ihrem mit sechs Computerbildschirmen bestückten Arbeitsplatz in der abgedunkelten Münchner Betriebszentrale die Weichen und Signale im Bahnhof Dachau, etwa 20 Kilometer entfernt. Außerdem besitzt sie die Lizenz, um den Zugbetrieb weiter nördlich davon auf der Strecke bis nach Ingolstadt von der BZ aus zu lenken. Einmal im Jahr kommt sie raus zu "ihren" Bahnhöfen, um dort die Örtlichkeiten zu inspizieren und ihre "Streckenkunde" aufzufrischen, wie das bei Bahnern heißt.

"Hellwach in jeder Sekunde" muss ein Bewerber sein

Sie mag es, eng mit anderen Fahrdienstleitern in der BZ und in den Stellwerken draußen an der Strecke zusammenzuarbeiten. "Und der Verdienst ist auch nicht schlecht", sagt sie. Zwischen 33 000 und 50 000 Euro brutto bekommt ein Fahrdienstleiter laut DB im Jahr. Je nachdem, auf welchem Stellwerk er eingesetzt wird (und wie viel Berufserfahrung er hat). "Abwechslungsreich" sei der Beruf, ergänzt ihr Kollege Ebner. Man wisse morgens nie, was der Tag bringe. Störungen und Probleme gebe es ja fast täglich. Zudem gleicht kein Stellwerk dem anderen. Neben Relaisstellwerken wie in Augsburg und den elektronischen Stellwerken, die aus der BZ gesteuert werden, gibt es bundesweit noch etwa 750 mechanische Stellwerke, wo die Fahrdienstleiter mit Drahtseilen und Handhebeln die Signale und Weichen stellen, dazu 320 elektro-mechanische Stellwerke, die ähnlich funktionieren. Nur wer eine entsprechende Lizenz hat, darf auf dem jeweiligen Stellwerk arbeiten.

Das führt laut EVG dazu, dass es mitunter eng wird auf einigen Stellwerken. So wie vor fünf Jahren in Mainz: Wegen Urlaub und Krankheitsausfällen waren nicht genügend Fahrdienstleiter vorhanden, über Wochen konnte der Bahnhof nur begrenzt angefahren werden. Züge fielen aus, Fahrgäste waren verärgert. "Das war der Super-GAU", sagt Reitz. Und auch wenn ähnliche Fälle seither ausblieben, Vakanzen gebe es nach wie vor. An Schichtdienste und das Arbeiten an Feiertagen hätten sich die Kollegen ja gewöhnt, sagt Reitz. Belastend sei aber, dass sie immer wieder außer der Reihe einspringen müssten, um Löcher im Dienstplan zu stopfen.

Deshalb sucht die DB nicht nur junge Leute, die wie Mühlegger und Ebner eine mehrjährige Ausbildung zum "Eisenbahner im Betriebsdienst/Fachrichtung Fahrweg" absolvieren, die weitere Aufstiegsmöglichkeiten im Konzern bietet. Vielmehr versucht die DB auch, Berufserfahrene aus anderen Branchen als Quereinsteiger auf die Stellwerke zu holen. Die durchlaufen eine zehnmonatige Ausbildung.

Die Anforderungen an die Bewerber sind für beide Wege gleich: "Hellwach in jeder Sekunde" müsse ein Bewerber sein, sagt DB-Personalerin Wagner. Ein hohes Verantwortungsbewusstsein haben, belastbar sein und zuverlässig. Und auch ein "gewisses Interesse für Technik" schade nicht, ergänzt Ebner. Gewerkschafter Reitz indes kritisiert die "Schnellbesohlung" der Quereinsteiger, wie er sagt. Dadurch werde "das Berufsbild kaputtgemacht"; zugleich betont er, dass die Sicherheit dadurch auf keinen Fall gefährdet sei.

Dennoch gab es zuletzt schwere Unfälle. 2016 verurteilte ein Gericht den Fahrdienstleiter von Bad Aibling zu dreieinhalb Jahren Haft, nachdem zwei Züge auf einer eingleisigen Strecke zusammengestoßen waren. Vor Gericht hatte der Mann eingeräumt, durch ein Handyspiel abgelenkt gewesen zu sein. Vor Kurzem prallte in Aichach ein Personenzug auf einen Güterzug, zwei Menschen starben. Die Ermittler vermuten, dass der Fahrdienstleiter im mechanischen Stellwerk dem Personenzug die Einfahrt freigegeben hatte, obwohl er sich per Augenschein hätte rückversichern müssen, dass das Gleis frei ist.

Noch aber laufen die Ermittlungen.

Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) fordert, solche Stellwerk technisch aufzurüsten - etwa mit "Gleisfreimeldeanlagen". Die EVG indes sieht keinen Handlungsbedarf: Es könne keine Rede davon sein, dass die DB ihre Mitarbeiter alleine lasse, sagt Reitz. "Jeder Fahrdienstleiter muss in der Lage sein, diese komplexe Technik zu bedienen."

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