München - Die Bundesregierung setzt vor allem auf Mütter und ältere Arbeitnehmer, um fehlende Fachkräfte zu gewinnen. Dies ergibt sich aus dem Entwurf für das "Konzept Fachkräftesicherung", der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. In dem 27-seitigen Papier stellen acht beteiligte Ministerien sowie das Bundeskanzleramt dar, wie viele qualifizierte Arbeitnehmer voraussichtlich bis zum Jahr 2025 fehlen und wie dieser Mangel behoben werden soll. Das Konzept wird kommenden Mittwoch dem Bundeskabinett vorgelegt.
Demnach sinkt das Potential an Erwerbspersonen in Deutschland, also der Menschen, die arbeiten können, bis zum Jahr 2025 um 6,5 Millionen - und damit auch das Angebot an Fachkräften. Diese seien jedoch "für die Versorgung der Bevölkerung und ihre Lebensqualität unverzichtbar", heißt es in dem Papier. Gerade in Berufen, in denen schon heute die Leute knapp seien, wie etwa Ingenieure und Altenpfleger, werde der Bedarf steigen. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hatte den Gewinn zusätzlicher Fachkräfte im Herbst als "Schlüsselaufgabe" bezeichnet. In der anschließenden Debatte hatte die schwarz-gelbe Koalition dann vereinbart, ein Gesamtkonzept hierzu vorzulegen.
Am stärksten baut die Regierung auf Mütter und Frauen, die bisher nicht oder nicht in Vollzeit arbeiten. Hier lägen "erhebliche, auch kurzfristig zu mobilisierende Potentiale". Durch bessere Angebote für die Kinderbetreuung sowie durch Modelle, um Familie und Beruf zu vereinbaren, ließen sich 1,2 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte gewinnen. Fast eine halbe Million Mütter mit einem jüngsten Kind zwischen sechs und 16 Jahren seien sogar rasch für den Arbeitsmarkt ansprechbar, da sie Untersuchungen zufolge ohnehin arbeiten wollten und eine gute Ausbildung mitbrächten.
Ähnlich hohe Zahlen ergeben die Berechnungen bei den Älteren und Arbeitslosen. Die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze für den Rentenbeginn auf 67Jahre werde bis 2025 eine Million Arbeitskräfte bringen, heißt es. Darüber hinaus sollen generell mehr Bürger über 55 Jahre arbeiten. Gelänge es, die Quote der Erwerbstätigen in dieser Altersgruppe von aktuell 56 Prozent auf 70 Prozent wie etwa in Schweden anzuheben, so sei eine weitere Million Menschen zu mobilisieren. Dieses Szenario ist in dem Papier allerdings vorsichtig formuliert, weil hierfür zahlreiche Arbeitslose einen Job erhalten müssten, die wegen ihres Alters als schwer vermittelbar gelten.
Weitere Möglichkeiten sieht die Regierung bei Jugendlichen, die seltener die Schule abbrechen sollen. Die aktuelle Abbrecherquote von etwa sieben Prozent müsse halbiert werden, damit würden 300000 junge Menschen zusätzlich als Fachkräfte zur Verfügung stehen. 300000 Qualifizierte könnte es obendrein auch geben, wenn weniger Auszubildende ihre Lehre abbrechen - auch hier müsste die Quote halbiert werden. Ähnlich wie bei Kinderbetreuung und Rente mit 67 enthält das Konzept kaum neue Maßnahmen, um Fachkräfte zu gewinnen, sondern gibt Ziele vor und beziffert die Wirkung bestehender Programme. Insgesamt ließen sich so 3,8 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte auftun.
Neu eingeführt werden soll ein "Jobmonitor". Mit dem Instrument will die Bundesregierung von Juli an einschätzen, wie hoch der Bedarf an Fachkräften in Zukunft ist. Hierzu sollen unter anderem Unternehmen zweimal im Jahr befragt werden.
Sehr vage bleibt in dem Konzeptentwurf dagegen das Kapitel zur Zuwanderung, die von vielen Experten als gute Möglichkeit angesehen wird, den Fachkräftemangel zu lindern. Grundsätzlich wird zwar eingestanden, dass Deutschland qualifizierte Zuwanderer benötigt. Auch dürften die Bemühungen um Frauen, Ältere und Arbeitslose nicht ausreichen, um das Verlangen der Unternehmen nach weiteren Fachleuten zu stillen. Eine Reform der Zuwanderungsregeln ist jedoch nicht geplant. Das Konzept verweist lediglich darauf, dass die Regierung die Entwicklung beobachten und die Vorschriften "prüfen" werde. Mit der auf EU-Ebene beschlossenen Blue Card für Akademiker werde es ohnehin eine weitere Zugangsmöglichkeit für Akademiker aus Nicht-EU-Ländern geben. Die Blue Card sieht ein europaweites Aufenthaltsrecht für Hochqualifizierte vor und soll noch in diesem Jahr in Deutschland eingeführt werden. Bislang ist jedoch nicht absehbar, dass damit die Zuwanderungsregeln deutlich gelockert werden.
Die Regeln zur Zuwanderung sind zwischen den Koalitionspartnern CDU, CSU und FDP seit Monaten umstritten. Während die FDP für niedrigere Einkommensgrenzen für Hochqualifizierte und ein Punktesystem eintritt, mit dem zusätzliche Zuwanderer gelockt werden sollen, lehnen dies die CSU und maßgebliche Teile der CDU ab. Dort will man zunächst abwarten, wie sich die Öffnung des Arbeitsmarktes für Osteuropäer seit dem 1. Mai auswirkt. Fachleute erwarten dadurch mindestens 100000 zusätzliche Zuwanderer pro Jahr. (Seite 4)