Fachkräftemangel im Handwerk:Das ist der Hammer

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Ein Mädchen probiert sich in der Werkstatt des Münchner Amtes für Abfallwirtschaft am Werkeln. (Foto: Catherina Hess)
  • Dem Handwerk in Deutschland fehlt der Nachwuchs - bis 2020 werden einer Studie zufolge 1,8 Millionen Fachkräfte fehlen.
  • Mit speziellen Programmen und Werbekampagnen versuchen die Wirtschaftsverbände gegenzusteuern.

Von Sabine Grüneberg

Mittelschule Fürth-Poppenreuth: Niklas versucht, den Nagel senkrecht in ein Brett zu schlagen. Siebter Versuch, auch der geht schief. Niklas will unbedingt die Vorgabe erfüllen, es mit höchstens zwei Schlägen zu schaffen. Sebastian nebenan kurbelt seit fünf Minuten an einem Kupferrohr. "Mit dem Schneidegerät mache ich einen Ring für meine Freundin", sagt er. "Mein Arm ist schon ganz lahm." Nathalie nietet konzentriert ein Lederarmband aus fünf Lagen: "Man muss erst mal reinkommen, aber dann ist es eigentlich ganz leicht."

Die Schüler der fünften und sechsten Klassen nehmen heute an einer Technik-Rallye teil, einem Parcours, bei dem sie ihre technisch-handwerklichen Fähigkeiten testen. Sie biegen Drähte, sägen Bretter, montieren Elektrokabel. "So ausdauernd und fokussiert sehe ich sie nicht jeden Tag", sagt Lehrerin Nicole Pieper. "Es gibt hier Kinder, die hatten noch nie einen Hammer oder Schraubenzieher in der Hand. Aber alle sind mit Feuereifer dabei."

Schon heute bleibt in Kleinstbetrieben jeder zweite Ausbildungsplatz frei

Ausgerichtet und finanziert wird die Technik-Rallye vom Bildungswerk der bayerischen Wirtschaft. Dahinter stecken vor allem die Metall- und Elektro-Arbeitgeber im Freistaat. Weil ihnen der Nachwuchs ausgeht, Handarbeit und Werken im Unterricht kaum eine Rolle spielen und daheim in Zeiten der Wegwerfgesellschaft nicht mehr selbstverständlich gewerkelt wird, gehen die Arbeitgeber neue Wege, um bei Schülern die Lust auf Technik zu wecken.

Allein in Bayern werden in fünf Jahren mehr als 230 000 Fachkräfte fehlen, rechnet die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft in ihrer neuesten Studie vor, bis 2040 sollen es mehr als eine halbe Million sein. Deutschlandweit sind die Zahlen nicht weniger alarmierend: Die Studie geht von 1,8 Millionen fehlenden Fachkräften bis 2020 aus. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (Bibb) und dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) werden bis zum Jahr 2030 allein in Elektro- und Versorgungsberufen 760 000 Erwerbspersonen fehlen.

Einer der Gründe: Die Energie- und Kraftwerkstechniker, die Luftverkehrs-, Schifffahrts- und Fahrzeugbauer, Sanitär- und Heizungsinstallateure sind schlichtweg nicht geboren worden. 1,3 Millionen Personen aus diesen Berufsfeldern werden in den nächsten Jahren in Rente gehen, aber nur 620 000 werden voraussichtlich nachkommen. Schon heute bleibt in Kleinstbetrieben jeder zweite Ausbildungsplatz frei.

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Auch Meister werden gesucht

Nach den Fachkräften und Auszubildenden fehlt es im Handwerk nun auch an Meistern, die einen Betrieb übernehmen wollen. Mehr als 180 000 Inhaber suchen in den nächsten fünf Jahren einen Nachfolger, ergab eine Umfrage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZdH). Mehr als ein Viertel der befragten Betriebe klagt über einen Mangel an Kandidaten.

Bei diesen Zahlen versteht man die Initiative der Arbeitgeber und ihre Programme für Schüler. Das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft hat mit seiner Projektreihe "Technik - Zukunft in Bayern?!" in den letzten Jahren weit über 50 000 Kinder und Jugendliche erreicht und 150 Unternehmen für Kooperationen mit ins Boot geholt.

Selbst für die Kleinsten gibt es ein Projekt: eine Auszeichnung für Kindergärten und Grundschulen für bemerkenswerte Arbeit im Bereich Naturwissenschaft. "Die Schüler von heute sind die Azubis von morgen", sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. "Deshalb engagieren wir uns von Anfang an."

"Die Branche sucht händeringend", bestätigt Professor Elisabeth Krekel vom Bibb in Bonn. Sie sieht einen weiteren Grund für den kommenden Fachkräftemangel: die fehlende Anerkennung der dualen Berufsausbildung. "Die Lücke entsteht vor allem auf der mittleren Qualifikationsebene." Seit dem Pisa-Schock habe man sich einseitig auf die Zahl der Studienanfänger konzentriert. Mittlerweile sieht sogar die OECD, die Initiatorin der Pisa-Studien, Deutschland als "bildungspolitisches Vorbild" für andere Länder. In keinem anderen Land gelinge der Übergang zwischen Schule, Ausbildung und Beruf so reibungslos. OECD-Generalsekretär Ángel Gurría lobt ausdrücklich die duale Berufsausbildung in Deutschland.

Mit einer breit angelegten Imagekampagne feilt der Zentralverband des Deutschen Handwerks am Image seiner Ausbildungsgänge. Die Slogans lauten: "Ich bin nicht nur ein Handwerker. Ich bin der, der Deutschland antreibt." Oder: "Ich repariere nicht nur Motoren. Ich lasse Herzen wieder höher schlagen." Oder: "Am Anfang waren Himmel und Erde. Den Rest haben wir gemacht. Das Handwerk."

Neben knalligen TV-Spots und Plakaten geht die Kampagne neuerdings auch über Social-Media-Kanäle auf ihre Klientel zu. Seitdem haben sich die Besucherzahlen auf der aufgehübschten Homepage im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, die Suchanfragen im dort angebotenen Tool "Lehrstellen-Radar" haben sich gar verfünffacht.

"Schock deine Eltern! Mach erst mal 'ne Lehre"

Elisabeth Krekel findet Kampagnen wie diese richtig, die Berufsausbildung müsse wieder mehr Wertschätzung erfahren. "Oft steht aber das soziale Umfeld im Weg", sagt die Forscherin. Eltern, die von ihren Kindern erwarten, dass sie studieren, machen eine Entscheidung für eine Ausbildung nicht leichter. "Schock deine Eltern! Mach erst mal 'ne Lehre", bewirbt die Industrie- und Handelskammer (IHK) Nord Westfalen ihre Initiative für Ausbildungsberufe.

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"In zehn Minuten zur Lehrstelle!" lautet der Slogan für Azubi-Speed-Dating. "Die Entwicklungschancen sind hervorragend. Wie unentbehrlich Handwerker sind, weiß jeder, der schon mal einen gebraucht hat", sagt Krekel. Mit einem Soziologiestudium lasse sich nun mal keine Heizung reparieren.

Nathalie ist fertig. Stolz zeigt sie jedem ihr selbst entworfenes Werk. "Das Wunderbare an diesen Tätigkeiten ist das unmittelbare Erfolgserlebnis", sagt Lehrerin Nicole Pieper. Sie wird die Technik-Rallye auch im nächsten Jahr wieder an ihre Schule holen. "Es hat die Kinder nicht nur in Geschick und Handhabung weitergebracht. Viele haben ihre Berührungsängste verloren, sie trauen sich jetzt mehr zu." Nathalie will sich auf jeden Fall zu Weihnachten etwas zum Basteln wünschen.

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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