Süddeutsche Zeitung

Expatriates:Aus der Fremde in die Fremde

Expatriates mit Re-Entry-Schock: Wer lange im Ausland arbeitet, muss bei der Rückkehr mit einem zweiten Kulturschock rechnen - denn die Zeiten ändern sich. Und auch im Unternehmen wartet niemand auf den Rückkehrer.

Katja Schnitzler

Nach der Landung des Flugzeugs fühlte sich Familie Baier etwas verloren: Der Ton am Flughafen war ungewöhnlich, der Zollbeamte lächelte nicht, der Taxifahrer schien über die vielen Koffer wenig erfreut zu sein. Familie Baier war zurück in der Heimat, die ihr fremd geworden war. Fast zehn Jahre lang hatte Markus Baier, der eigentlich anders heißt, in asiatischen Metropolen gearbeitet; nur kurz waren die Aufenthalte in Deutschland, die nächste Abreise stand stets in Aussicht. Das sollte sich nun ändern.

Er hatte einen Posten in der Konzernzentrale in Frankfurt angenommen. Ihm, seiner Frau und den beiden Kindern waren nicht nur die Stadt fremd, sondern inzwischen auch das ganze Land, das einst seine Heimat war - ein Kulturschock nicht nur wegen des Umzugs von der Großstadt Shanghai in einen beschaulichen Frankfurter Vorort. Auch bei der Rückkehr in das Unternehmen musste sich Baier völlig neu orientieren.

Mit dieser Erfahrung ist Markus Baier nicht allein. Viele Expatriates - dieser Begriff setzt sich zusammen aus dem Lateinischen "ex" (aus) und "patria" (Vaterland) - machen nach dem Auslandsaufenthalt einen sogenannten "Re-Entry-Schock" durch, besonders wenn der Aufenthalt länger als sechs Jahre dauerte: Mehr als 400 Expatriates und 125 Angehörige wurden für die Studie "Global Expatriates Observatory" befragt.

Ein Großteil der Teilnehmer empfand die Zeit im Ausland als Bereicherung, ganz im Gegensatz zur Rückkehr: Diese sei "hart" und "unerfreulich" gewesen, für manche sogar "schmerzhaft". 62 Prozent fanden ihre Wiedereingliederung in der Heimat schwierig, was wohl auch daran lag, dass ein Drittel gerne länger im Gastland gewohnt hätte. Ein weiteres Drittel der Befragten wäre lieber in ein anderes Land weitergezogen.

Eine andere Ursache für die missglückte Heimkehr liegt im Unternehmen selbst. Von diesem fühlten sich nur 19 Prozent der Entsandten wirklich unterstützt. Die anderen mussten feststellen, dass ihre Erfahrungen nicht sehr geschätzt werden - und mit der Erkenntnis klarkommen, dass sie mit ihrer Abwesenheit aus dem sozialen Karrierenetzwerk herausgefallen sind.

So erging es auch Markus Baier, der zwar seine Auslandsjahre realistischer als andere eingeschätzt und nicht mit einem automatischen Karrieresprung nach der Rückkehr gerechnet hatte. Auch hatte er Kontakt zum Betrieb gehalten und sich schon Monate vor der Abreise nach Deutschland über attraktive Stellen im Unternehmen informiert. Doch als er sich auf einen frei werdenden Posten bewarb, gab man ihm zu verstehen: Er hätte den Job vielleicht bekommen, wenn er in den vergangenen Jahren in Frankfurt gewesen wäre. Nun kannte er die internen Strukturen und aktuellen Projekte nicht. Die Stelle bekam ein anderer.

Noch mehr Pech hatte sein Chef im Ausland: Bei dessen Rückkehr war keine adäquate Stelle frei. Zwar muss die entsendende Abteilung den Rückkehrer auf jeden Fall wieder aufnehmen. "Dann hat man da einen Schreibtisch, aber vielleicht keine Aufgabe", sagt Baier. Das wollte sein ehemaliger Chef auf keinen Fall, sodass er zugriff, als ein Posten frei wurde. Nun steht er in der Firmenhierarchie unter Baier: "Er hätte erst zurückkehren sollen und sich ein halbes Jahr orientieren, wieder im Unternehmen bekannt werden - und sich dann entsprechend bewerben."

Diese Unsicherheit halten aber nur wenige aus, und wegen der Folgen für die meist mitreisende Familie rät Andreas Bittner davon ab: Nichts sei schlimmer, als monatelang sein Zwischenlager im Hotel aufzuschlagen. Bittner ist Geschäftsführer des Instituts für Interkulturelles Management (IFIM), das Unternehmen bei der Entsendung von Mitarbeitern und der Wiedereingliederung unterstützt. Das betrifft die ganze Familie: Heimkehr bedeutet nicht zwangsläufig, dass man zum Ausgangsort zurückkommt - es könnte auch eine gleichwertige oder eine interessantere Stelle in einer anderen deutschen Stadt frei sein.

Die Kinder müssen sich nicht nur in der neuen Klasse, sondern in einem anderen Schulsystem zurechtfinden. Die Partnerin hat oft ihren Job gekündigt, um mit ins Ausland zu reisen - und lässt nun schon wieder Freundschaften zurück, die in der Heimat mühsam wiederbelebt oder neu gewonnen werden müssen.

In der Firma stellen Expatriates ebenfalls fest, dass die früheren Kollegen nicht sehnsüchtig auf ihre Heimkehr gewartet haben. Erst recht wollen diese nicht darüber belehrt werden, wie dieses und jenes - etwa in den USA - gemacht wird. "Während viele Expatriates im Gastland versuchen, sich sensibel den anderen Verhältnissen anzupassen, entwickeln sie nach ihrer Rückkehr eine Art missionarischen Eifer", hat Bittner beobachtet. Das kommt bei Kollegen nicht gut an.

Auch auf sachlicher Ebene jenseits jeglicher Besserwisserei gibt es in vielen Betrieben kein Konzept, wie Erfahrung im Ausland für die Firma systematisch genutzt werden könnte. "Dafür bräuchte man eine Art Firmen-Wiki, das verzeichnet, welcher Angestellte Kontakte und Wissen in welchen Bereichen hat. Das scheitert nicht nur am Betriebsrat", sagt Bittner.

Er hat aber Verständnis dafür, dass die Rückkehrer ihr Fachwissen nicht immer einsetzen können: "Nun war jemand vier Jahre Bereichschef in Portugal und möchte nach seiner Rückkehr eine leitende Funktion in Deutschland, in der er gezielt seine Portugal-Kenntnisse nutzt - so eine Stelle gibt es aber meistens nicht." Diese Diskrepanz mache vielen zu schaffen, die im Ausland verantwortlich für eine ganze Region waren, in Deutschland jedoch zurück in die Reihe müssen, "schließlich haben Leitungsfunktionen im Stammhaus ein ganz anderes Gewicht. Dort sind sie in der Hierarchie wieder viel weiter unten."

Wer etwa als oberster Firmenvertreter in einer rumänischen Stadt bei jedem Fest vom Bürgermeister hofiert wurde, ist hier wieder einer unter vielen. Hinzu komme, dass die Expatriates in vielen Teilen der Welt zur Oberschicht gehören, sagt Bittner: "Dort übernimmt alles die Haushälterin, hier stehen die Leute plötzlich selbst wieder im Supermarkt in der Kassenschlange."

Rückkehrer Baier meint: "Da muss man erst mal wieder entwöhnt werden - und das wollen viele nicht. Ich kenne einige, die sich von Auslandsaufenthalt zu Auslandsaufenthalt hangeln." Dies berge die Gefahr, sagt Bittner, dass man plötzlich zu den Auswanderern zähle, die Deutschland für immer den Rücken gekehrt haben - ohne sich jemals bewusst für diesen Schritt entschieden zu haben. Sollte man also besser generell auf einen Auslandsaufenthalt verzichten?

Nicht, wenn man Karriere machen will, erklärt Bittner. Zwar könne man nicht gleich bei seiner Rückkehr mit einer Beförderung in höhere Hierarchien rechnen, "aber Personaler sagen durchaus, dass diejenigen weiterkommen, die im Ausland erfolgreich gearbeitet haben und sich ein halbes oder ein Jahr lang auch wieder in der Heimat bewähren". Zwar wird der Schritt ins Ausland nicht mehr automatisch mit Beförderung belohnt. "Aber er wird umgekehrt bei der Karriere vorausgesetzt. Wer nicht im Ausland war, wird bei manchen Posten nicht mehr berücksichtigt."

Diese Entwicklung berge die Gefahr, dass Frauen im Beruf benachteiligt würden, die für mehrere Jahre in der Fremde auf eine eigene Karriere verzichten. Im Gegensatz zu weiblichen seien viele männliche Partner nicht bereit, Job und soziales Umfeld für die Karriere der Frau für längere Zeit aufzugeben. "Drei Jahre lang Hausmann in den USA zu machen, können sich die wenigsten vorstellen." Sei der Expatriate hingegen männlich, nutze das Paar die Zeit im Ausland oft für eine Babypause der Partnerin.

Familie Baier kann sich vorstellen, noch mal an ein anderes Ende der Welt zu ziehen - wieder heimisch fühlt sie sich trotz netter Nachbarn auch nach einem Jahr nicht. Noch wäre Zeit, der Abstand zur Pension groß genug. "Sonst bekommt man bei der Rückkehr im Vorrentenalter keine interessante Aufgabe mehr", fürchtet Baier. Weitaus jüngere Chefs würden dem unbekannten Mitarbeiter aus der Fremde nicht mehr viel zutrauen.

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SZ vom 01.12.2012/wolf
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