Europäisches Kruzifix-Urteil:Viel Aufregung, geringe Wirkung

Lesezeit: 2 Min.

Europa muss der Vielfalt seiner Bewohner gerecht werden - Klassenzimmer ohne Kruzifixe sind da nur konsequent.

Maria Holzmüller

Das Kruzifix im Klassenzimmer verletzt die Menschenrechte - so knallhart das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) im ersten Moment klingt, so groß ist die Welle der Empörung, die es ausgelöst hat. Christen fürchten eine schleichende Demontage ihrer Grundwerte, CSU-Politiker sehen das kulturelle Fundament Europas in Gefahr und in Italien ist die Rede von der Tilgung "der Wurzeln unserer Herkunft".

Christen werden nicht vom Glauben abkommen, nur weil sie in einem Klassenzimmer ohne Kruzifix unterrichtet werden. (Foto: Foto: AP)

Das Kreuz verletzt die Menschenrechte - das Urteil klingt drastisch, ist jedoch nur die logische Folge einer seit Jahren andauernden Diskussion. Schon 1995 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Kruzifix in Klassenzimmern für verfassungswidrig. 2002 gab der Verwaltungsgerichtshof München in letzter Entscheidung einem Lehrer recht, der nicht mehr unter dem Kruzfix unterrichten wollte.

Es wird sich nicht viel ändern

Schon damals brach in Bayern ein Sturm der Empörung los. Viel geändert hat sich seitdem nicht. In bayerischen Klassenzimmer hängen die christlichen Symbole noch immer an den Wänden. Sobald sich jedoch ein Schüler, Lehrer oder Elternteil daran stört, müssen sie abgenommen werden. Das wird wohl auch nach dem EGMR-Urteil so bleiben.

Denn so allgemeingültig es klingt: Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied über einen Einzelfall. Geklagt hatte eine Mutter, die ihre Kinder in Italien ohne den Einfluss christlicher Religion erziehen lassen wollte und das nun auch durchgesetzt hat.

Nur konsequent

Zu Recht. Denn so sehr die christlichen Wurzeln der europäischen Kultur beschworen werden, so muss Europa all seinen Bewohnern ein Zuhause sein. Einheit in der Vielfalt - dabei darf keine Religion den anderen vorgezogen werden. Schon gar nicht an staatlichen Schulen, die von religiösen Einflüssen jeder Art frei bleiben müssen. Dass ein Kruzifix im Klassenzimmer dabei die Religionsfreiheit der Schüler verletzen könnte, ist deshalb nur konsequent.

Hier wird ein religiöses Symbol über alle anderen gestellt. Nichtchristen könnten sich dadurch diskriminiert fühlen. Ein geschlossenes Zimmer, in dem sich die Kinder aufhalten müssen, ist etwas anderes als der öffentliche Raum eines Museums, einer Kirche oder einer Moschee, deren Besuch jedem freigestellt ist. Christen wiederum werden wohl nicht deshalb vom Glauben abkommen, nur weil sie in einem Klassenzimmer ohne Kreuz unterrichtet werden.

Historische Bedeutung

Die Proteste der Urteilsgegner sind dennoch nicht ganz unberechtigt. Das Christentum ist und bleibt ein Pfeiler des gewachsenen Europas, seine Symbole werden im öffentlichen Leben präsent bleiben und müssen das auch, allein um ihrer historischen Bedeutung Rechnung zu tragen. Der Geschichte kann sich niemand entziehen.

© sueddeutsche.de/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: