Es war eine sehr private Entscheidung, wie sie jedes Jahr zehntausendfach vorkommt - aber einen Chefarzt hätte seine zweite Ehe beinahe den Job gekostet. Denn Scheidung und Wiederheirat, das wollte sein Arbeitgeber, ein katholisches Krankenhaus in Düsseldorf, nicht dulden und schickte ihm die Kündigung. Seit fast zehn Jahren führt der Mann deshalb einen schier endlosen Rechtsstreit. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Machtwort gesprochen, ein Machtwort, das die Arbeitsverhältnisse bei kirchlichen Arbeitgebern umkrempeln wird: Die Kündigung war diskriminierend und verstößt damit gegen EU-Recht.
Das Urteil ist zwar noch nicht der endgültige Schlusspunkt, denn das Verfahren geht noch einmal zurück an das Bundesarbeitsgericht (BAG). Aber die Vorgaben des obersten EU-Gerichts sind eindeutig. Zwar dürfen Kirchen, ganz grundsätzlich, auch aus europäischer Perspektive ihren Mitarbeitern gewisse Loyalitätspflichten abfordern. Aber eben nur, soweit das für die Art der Tätigkeit wirklich notwendig ist. Es müsse sich um eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche" handeln - eine Vorgabe, die vollständig gerichtlich überprüfbar sei.
Letztlich ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen also dort am stärksten, wo es ums religiöse Kerngeschäft geht. Wer mit Glaubensfragen befasst, wer am Verkündigungsauftrag mitwirkt, wer die Kirche nach außen vertritt, der darf strengeren Anforderungen unterworfen werden, auch bei Ehe und Scheidung. Für die Leitung der Abteilung "Innere Medizin" als Chefarzt hingegen, so schreiben die Richter, "erscheint die Akzeptanz dieses Eheverständnisses für die Bekundung des Ethos ... nicht notwendig".
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Soll heißen: Die katholische Kirche kann auch dann glaubwürdig ihre Position zur Ehe aufrechterhalten, wenn sie Chefärzte beschäftigt, die in zweiter Ehe verheiratet sind. Das BAG, das den Fall den Europarichtern vorgelegt hat, wird dem Arzt recht geben und die Kündigung einkassieren müssen. Der Mann arbeitet übrigens bis heute im selben Düsseldorfer Krankenhaus. In praktischer Hinsicht gestalte sich das reibungslos, sagt sein Bochumer Anwalt Norbert Müller, aber der Dauerstreit sei durchaus belastend.
Der EuGH fasst das kirchliche Selbstbestimmungsrecht sehr viel enger als Karlsruhe
Zwar hat auch die katholische Kirche inzwischen ihr Anforderungsprofil zumindest ein wenig den Scheidungsraten angepasst. Die Chefarzt-Kündigung beruhte noch auf den strengen Regeln der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" von 1993. Weil die Ehe nach kanonischem Recht unauflöslich ist, drohte bei einer neuerlichen standesamtlichen Heirat regelmäßig der Rauswurf.
Im Jahr 2015 wurden die Regeln aber reformiert. Die erneute Heirat katholischer Mitarbeiter ohne besonders kirchenrelevante Funktion wird danach nur bei Vorliegen "besonderer Umstände" als schwerwiegender Loyalitätsverstoß eingestuft. "Einen Fall wie diesen wird es nach der neuen Grundordnung nicht mehr geben", vermutet Rechtsanwalt Müller. Dennoch ist die Gefahr, wegen einer höchst privaten Entscheidung den Job zu verlieren, damit nicht gänzlich aus der Welt.
Vor allem aber ist das Urteil in grundsätzlicher Hinsicht wichtig. Denn der EuGH fasst das kirchliche Selbstbestimmungsrecht sehr viel enger als das Bundesverfassungsgericht, das den Kirchen in arbeitsrechtlichen Fragen einen äußerst großzügigen Spielraum einräumt, ihren Mitarbeitern ein hohes Maß an Glaubensnähe abzuverlangen.
Das ist seit 1985 so. Damals schritten die Verfassungsrichter mit einem bemerkenswert kirchenfreundlichen Beschluss gegen die liberale Rechtsprechung der obersten Arbeitsrichter ein. Das BAG wollte nämlich besondere Loyalitätspflichten nur für solche kirchlichen Arbeitnehmer gelten lassen, deren Tätigkeit in unmittelbaren Zusammenhang mit dem kirchlichen Verkündigungsauftrag stand.
Karlsruhe dagegen befand: Was für die Glaubwürdigkeit der Kirchen notwendig sei, das bestimmten die Kirchen selbst. Dabei sind die Verfassungsrichter geblieben, zuletzt in ebendiesem Fall des gekündigten Chefarztes. 2014 entschieden sie zugunsten des Krankenhauses. Maßgeblich sei das "glaubensdefinierte Selbstverständnis" der Kirchen. Den staatlichen Gerichten hingegen bleibe nur eine Plausibilitätskontrolle.
Frage an den SZ-Jobcoach:Verliebt in den Kollegen - und jetzt?
Vanessa M. hat Gefühle für einen Kollegen, der ist aber fest liiert. Sie kann die Situation kaum noch ertragen, möchte sich beruflich aber nichts verbauen.
Bereits im April dieses Jahres kündigte sich beim EuGH ein restriktiver, letztlich gegen die Karlsruher Linie gerichteter Kurs an. Damals ging es um einen befristeten Referentenjob bei dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung; eine konfessionslose Bewerberin war abgewiesen worden, hatte geklagt und bekam am Ende recht. Der EuGH schränkte den komfortablen Spielraum der Kirchen zur Etablierung eines eigenen Arbeitsrechts empfindlich ein. Oder, wenn man es aus der Sicht der Arbeitnehmer betrachtet: Das oberste EU-Gericht schickte sich an, ihren Schutz gegen Diskriminierungen aus Gründen der Religion stark zu machen, auch dort, wo Kirchen das Sagen haben.
Die Bischhofskonferenz ist gar nicht einverstanden
Das ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, der womöglich auch auf andere arbeitsrechtliche Schutzreservate der Kirchen ausstrahlen könnte, vermutet Norbert Müller. Jedenfalls ist die Definitionsmacht der Kirchen für kirchliche Sonderregeln deutlich geschrumpft. Nach dem EU-Urteil können sie nicht mehr in eigener Hoheit festlegen, wie viel Glaubensnähe für das Heilen von Patienten oder das Pflegen alter Menschen in kirchlichen Einrichtungen notwendig ist. Darüber befinden staatliche Gerichte.
Wenig verwunderlich, dass die Deutsche Bischofskonferenz das Urteil kritisch sieht. Die verfassungsrechtliche Position der Kirchen sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, heißt es in einer Mitteilung. Laut Grundgesetz sei es Sache der Kirche, nicht der staatlichen Gerichte, "im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts" Loyalitätserwartungen an Mitarbeiter zu stellen. Die Bischofskonferenz will zunächst die abschließende Entscheidung abwarten - und dann prüfen, "ob die Entscheidungen mit den Vorgaben des Grundgesetzes im Einklang stehen".
Womöglich trägt die Kirche das Thema also ein weiteres Mal nach Karlsruhe. Gewiss, das Europarecht hat Vorrang vor den nationalen Regeln - das hat der EuGH noch einmal deutlich gemacht. Aber dass das selbstbewusste Bundesverfassungsgericht dieses Feld kampflos räumt, ist nicht sonderlich wahrscheinlich.