Über das Ziel besteht Einigkeit: Mehr Frauen als bisher sollen in der Wirtschaft mitbestimmen. Doch wie kommt man dorthin? Ein Jahr lang warb Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, für eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft - vergebens. Die Auswertung einer Anhörung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen - in EU-Deutsch "Konsultation" - soll nun Aufschluss darüber geben, welche der denkbaren Handlungsoptionen den größten Beifall findet: eine unverbindliche Empfehlung, ein nach Branche, Firmengröße oder Frauenanteil innerhalb der Belegschaft flexibler Soll-Prozentsatz oder eine feste Quote? An der Anhörung haben Privatpersonen, Behörden, Verbände, Unternehmen, Gewerkschaften und Hochschulen teilgenommen. Ihre Standpunkte sollen in die für den Herbst angekündigte Entscheidung der EU-Kommission einfließen. Ob diese der Empfehlung von Reding folgt, ist offen. Am 13. Juni sprach sich die EU-Kommissarin für einen gesetzlich festgelegten Sollanteil von 40 Prozent Frauen in Aufsichtsgremien aus.
SZ: Warum machen Sie sich für eine generelle Frauenquote in den Führungsgremien der Unternehmen stark?
Reding: 60 Prozent der Uniabsolventen in Europa sind weiblich. Gleichzeitig werden nur knapp 14 Prozent der Aufsichtsratsposten von Frauen besetzt. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten können wir es uns nicht leisten, ein solches Potenzial brachliegen zu lassen. Leider hat es in den vergangenen Jahren kaum Fortschritte in diesem Bereich gegeben. In den letzten sieben Jahren gab es EU-weit einen Anstieg des Frauenanteils in Aufsichtsräten in den großen börsennotierten Unternehmen Europas von gerade mal 0,5 Prozent. Nur in den Ländern, in denen gesetzliche Quoten eingeführt wurden, ist der Frauenanteil deutlich gestiegen. In Frankreich, das seit 2011 eine Frauenquote hat, gab es sogar einen Anstieg von zwölf auf 22 Prozent.
SZ: Welchen Fragen sind Sie in Ihrer Konsultation nachgegangen?
Reding: Wir wollen wissen: Welche Maßnahmen sollen wir ergreifen, um die Glasdecke für Frauen in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen zu durchbrechen? Muss ein Gesetz her oder nur eine Empfehlung? Wie hoch soll der angestrebte Anteil der Frauen sein? 30, 40, 50 Prozent? Wann soll dieses Ziel erreicht werden? Und soll es nur für Staatsunternehmen gelten oder auch für börsennotierte Unternehmen in der Privatwirtschaft? Und wie können mögliche Sanktionen aussehen: Berichtspflichten, Geldbußen, Streichung der Aufsichtsratsbezüge, Annullierung der Aufsichtsratswahlen? Wir werden dies alles sorgsam prüfen und im Herbst einen Vorschlag vorlegen. Dabei wird es für uns sehr interessant sein, wie sich die Diskussion und die Rechtslage in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten weiterentwickeln.
SZ: In Deutschland sagen die Unternehmen, sie seien auch ohne Druck der Politik auf einem guten Weg. In Aufsichtsratsneuwahlen 2011 wurden frei gewordene Positionen in Dax-30-Unternehmen zu 40 Prozent mit Frauen besetzt, im MDax, den mittelständischen börsennotierten Unternehmen, zu mehr als 30 Prozent. Was soll da die Quote?
Reding: Der Wirtschaft wurde in den vergangenen 20 Jahren mehr als einmal die Gelegenheit gegeben, eigene Initiativen zu ergreifen, um die Situation zu verändern und mehr Frauen in die obersten Ränge der Unternehmen zu bringen - gerade auch in Deutschland. Ich möchte hier an die Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2001 erinnern. Als Ende 2010 Bilanz gezogen wurde, war der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten gerade mal um zwei Prozent gestiegen. Im Oktober 2011 gab es dann die nächste freiwillige Selbstverpflichtung der Dax 30. Darin sind Zielwerte für die Steigerung des Frauenanteils in den Führungspositionen definiert, die von zwölf bis 35 Prozent reichen. Jedoch findet sich dabei keine einzige Selbstverpflichtung, was die Besetzung der Aufsichtsräte angeht. Heute sind nach Erhebungen des Berliner Vereins Frauen in die Aufsichtsräte (Fidar) bei den insgesamt 160 Dax-Unternehmen gerade mal 14,03 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder weiblich. Ich verliere angesichts solcher Zahlen zunehmend die Hoffnung, dass es ohne eine gesetzliche Lösung Fortschritte geben wird.