Süddeutsche Zeitung

Erzieherinnen im Ausstand:Der falsche Streik zur falschen Zeit

Die Gewerkschaften tricksen, um höhere Gehälter für Erzieherinnen durchzusetzen - und stellen völlig unsinnige Forderungen.

D. Esslinger

Der Tarifkonflikt der Erzieherinnen ist nicht nur kompliziert, ihre Forderung ist auch ein bisschen verwegen. Wenn man die Leute fragen würde: Worum geht es eigentlich in diesem Konflikt? Dann würden die meisten antworten: Es geht darum, dass die Erzieherinnen mehr Geld bekommen sowie einen besseren Schutz ihrer Gesundheit. So steht es auf allen Flugblättern, so erklären es die Gewerkschafter. Nur: Die erste Forderung ist illegitim, die zweite nicht ernstgemeint.

Natürlich haben Erzieherinnen das Recht, regelmäßig mehr Geld für eine Arbeit zu verlangen, die schwierig und voller Belastungen ist. Sie haben dazu dasselbe Recht wie Lokführer, Metallarbeiter oder Dachdecker. Nur haben sie dafür den falschen Weg gewählt. Um Einkommenssteigerungen geht es in Einkommensrunden; im Jahr 2008 haben sie und all ihre Kollegen, die bei den Kommunen arbeiten, rund sechs Prozent erkämpft. Die nächste Einkommensrunde steht zum Jahreswechsel an. Das wird die Zeit sein, um weitere Steigerungen durchzusetzen. Aber jetzt?

Ein Wortungetüm folgt aufs andere

Jetzt ist der Verhandlungsgegenstand eigentlich ein anderer. Nötig wurde diese Runde, weil die Gewerkschaften und die Kommunen als Arbeitgeber noch eine liegengebliebene Arbeit zu erledigen hatten. Vor vier Jahren hat der "Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst" den traditionellen "Bundesangestelltentarifvertrag" (BAT) abgelöst. Damals folgte nicht bloß ein Wortungetüm auf das andere. Grob gesprochen, ging es darum, Berufsanfängern mehr als bisher zu zahlen - um zum Beispiel den Erzieherberuf attraktiver zu machen. Zudem sollten die Beschäftigten der Kommunen auch nach Leistung bezahlt werden, nicht bloß nach Alter und Familienstand. Die Folge: In dem neuen Tarifvertrag gibt es so etwas wie Zuschläge für Verheiratete nicht mehr. Wie aber konnten die Anfangsgehälter erhöht werden? Indem die Gehälter am Ende der Laufbahn etwas gesenkt werden.

Verdi-Chef Frank Bsirske sagt, dieser Konflikt entscheide auf Jahre hinaus über die Zukunft der Kinder, und damit über die Zukunft der Gesellschaft. Das hört sich so an, als werde Deutschland eines Tages eine finnische oder chinesische Kolonie, wenn die Republik jetzt nicht auf Verdi hört. In Wahrheit geht es darum, eine Entgelttabelle für Erzieherinnen festzulegen. Es muss bestimmt werden, wie viel genau zum Beispiel eine Erzieherin im zweiten und im 13. Berufsjahr verdienen soll, wie man die Beträge des alten BAT mit den früheren Zuschlägen so in den neuen Tarifvertrag überführt, dass keine Erzieherin plötzlich weniger verdient als bisher.

Unsinnige Forderung

Nur das ist eigentlich der Verhandlungsgegenstand - Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aber nutzen die Tarifrunde, um zum Beispiel normale Erzieherinnen in Entgeltgruppen zu hieven, die für Erzieherinnen in Führungsfunktionen vorgesehen sind. Das kann man ja gerne mal versuchen. Aber das Problem für Bsirske und Kolleginnen ist: Dafür dürfen sie nicht streiken. Der "Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst" gilt noch das restliche Jahr, so lange ist Friedenspflicht. Daher die Idee, einen eigenen Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz zu fordern. Den gab es bisher nicht, deshalb ist Streiken zu diesem Zweck erlaubt.

Aber ernst ist es Verdi damit nicht. Zu der Forderung gehört das Verlangen, in jeder Kita eine Kommission einzurichten, die dort den Gesundheitsschutz regelt. Mit anderen Worten: Nicht mehr der Gemeinderat soll bestimmen, ob eine Kommune Geld für schallschluckende Wände ausgeben muss, sondern eine Kommission, der Verdi-Mitglieder angehören. Dass dies mit keiner Kommunalverfassung zu vereinbaren ist, dürfte auch der Letzte bei der Gewerkschaft wissen. Warum fordert sie dann so einen Unsinn? Sie braucht halt einen Hebel, um höhere Gehälter durchzusetzen.

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SZ vom 25.6.2009/bön
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