Süddeutsche Zeitung

Erzieher in Kitas:"Das sind doch keine richtigen Männer"

Lesezeit: 3 min

Wenig Geld, kaum Ansehen: Der Beruf des Erziehers ist noch immer Frauendomäne - das soll sich ändern. Die Bundesregierung fördert männliche Fachkräfte. Doch die Bewerber fehlen.

Maria Holzmüller

Stefan Krausen sitzt auf einem Stuhl, der ihm gerade mal bis zum Knie reicht, hat ein Bilderbuch vor sich und sieht einem vierjährigen Mädchen beim Malen zu. Drei weitere Kinder scharen sich um ihn und plappern auf ihn ein, während seine Kollegin Sandra Pienta auf der anderen Seite des Raumes Spielzeug in eine Kiste räumt.

Stefan Krausen arbeitet als pädagogische Hilfskraft im Kindergarten der Elterninitiative "Kinderinsel e.V." in München. In den Achtzigern begann er voll Idealismus eine Ausbildung zum Erzieher. Nach vielen Berufsjahren als Musiker und Fotograf kehrte er vor drei Jahren in den Kindergarten zurück - und hat es seitdem nicht bereut.

Er soll bald männliche Verstärkung bekommen, wenn es nach der Koordinationsstelle "Männer in Kitas" der katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin und dem Bundesfamilienministerium geht. Im Rahmen ausgesuchter Pilotprojekte wollen sie den Beruf des Erziehers - bislang eine weibliche Domäne - für Männer attraktiver machen. Aus gutem Grund: "Eltern wünschen sich für ihre Kinder eine männliche Bezugsperson und Erzieherinnen hoffen auf mehr männliche Kollegen", sagt Michael Cremers, der im Rahmen der Koordinationsstelle die Studie "Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten" mit erstellte.

Doch trotz starker Nachfrage: Männliche Bewerber für die Jobs im Kindergarten gibt es kaum. Sandra Pienta, pädagogische Leiterin der Kinderinsel, sucht seit Jahren immer wieder männliche Erzieher oder Praktikanten - Rückmeldung bekommt sie selten. "Ich habe das Gefühl, unter Männern herrscht immer noch das Klischee 'Wenn du Erzieher bist, bist du kein richtiger Mann'", sagt sie.

Stefan Krausen kennt diese Vorurteile: "Als Erzieher hast du kein Geld, kein Ansehen und kaum Karrieremöglichkeiten. Die Leute denken, Männer, die in Kindergärten arbeiten sind entweder schwul oder pädophil", sagt er. Belasten lässt sich der schmächtige Mann mit den kurz geschorenen dunklen Haaren von diesen Klischees nicht. Seit jeher bringt er eine große Portion Idealismus mit an seinen Arbeitsplatz. Er will Hilfestellung geben, wenn junge Menschen zu Persönlichkeiten werden - bei seinem eigenen 10-jährigen Sohn ebenso wie bei den 20 Kindern, die er jeden Tag betreut.

Auf soziales Engagement allein kann die Branche jedoch nicht vertrauen. "Die finanzielle Entlohnung muss attraktiver werden", sagt Michael Cremers. "Das gilt vor allem für die unbezahlte Ausbildung - natürlich für Frauen wie für Männer."

Ein Missstand, den auch Kindergartenleiterin Sandra Pienta anprangert. "Was Erzieher leisten, wird überhaupt nicht honoriert. Wir spielen nicht nur mit den Kindern, wir haben einen Bildungsauftrag. Wir unterscheiden uns in dieser Hinsicht nicht sehr stark von Grundschullehrern. Aber vom Gehalt eines Erziehers kann man kaum eine Familie ernähren", empört sie sich.

Michael Cremers sieht das ähnlich: "Es besteht eine große Diskrepanz zwischen den Ansprüchen an die frühkindliche Bildung in den Kitas und der Anerkennung für den Erzieher", sagt er. Hätte der Erzieherberuf ein höheres Ansehen in der Gesellschaft, würden sich auch mehr Männer dafür interessieren, vermutet er. Ein Schritt in die richtige Richtung könnte die zunehmende Akademisierung der Ausbildung sein.

Dass Erzieher noch immer als Frauenberuf gilt und viele junge Männer Angst haben, etwas komisch angesehen zu werden, wenn sie sich für diese Laufbahn entscheiden, kann Kindergärtner Stefan Krausen verstehen. In der Praxis begegnen ihm die Eltern jedoch weitgehend wohlwollend - lediglich die Väter zeigen sich manchmal skeptisch. "Ich habe das Gefühl, die sind manchmal neidisch, dass ich den ganzen Tag mit ihren Kindern verbringen kann, und sie nicht. Oder sie sehen mich als Hahn im Korb zwischen lauter weiblichen Kolleginnen. Im Gegenzug würden sie aber nie meinen Job machen wollen", sagt er.

Die Kinder jedenfalls genießen es sichtlich, einen Mann um sich zu haben. Viele sehen in Stefan Krausen sogar eine Art Vaterersatz, nennen ihn manchmal "Papa". "Kinder brauchen männliche Bezugspersonen, vor allem dann, wenn der Vater zu Hause nicht sehr präsent ist", sagt Pädagogin Sandra Pienta. Im Alltag teilen sich Stefan und sie zusammen mit einer Erzieherin in Teilzeit und einer Praktikantin ihre Aufgaben - geschlechtertypische Trennung gibt es nicht. Stefan muss ebenso kochen wie Sandra, und sie übernimmt gleichsam handwerkliche Arbeiten. "Wir wollen Vorbilder sein und keine Stereotypen vermitteln", sagt sie.

Trotzdem reagieren die Kinder mitunter unterschiedlich auf die beiden Erzieher. "Ich bin der Strenge. Schon allein durch meine tiefere Stimme komme ich so rüber", sagt Stefan Krausen. Aber damit alleine ist es nicht getan. Wer Erzieher ist, wird im Alltag ständig gefordert. "Man muss emotional und gedanklich sehr flexibel sein und die Aufmerksamkeit hoch halten", sagt Stefan Krausen. "Um Erzieher zu sein, braucht man eine fundierte Ausbildung und eine starke Persönlichkeit", pflichtet Sandra Pienta bei.

Ein-Tages-Praktika für Jungs

Dass künftig mehr männliche Fachkräfte in deutschen Kindertagesstätten zu finden sind, dafür will das Bundesfamilienministerium seit einiger Zeit mit der Förderung bundesweiter Projekte sorgen. So sind im Rahmen des geförderten Projekts " Neue Wege für Jungs" Ein-Tages-Praktika im Kindergarten möglich oder im Rahmen des Programms "Soziale Jungs" nebenschulisches Engagament in ausgewählten Einrichtungen. Auch einen Ideenwettbewerb hat das Ministerium ausgeschrieben, um mehr Männer anzulocken. Als beratende Instanz will die Koordinationsstelle "Männer in Kitas" maßgebliche Akteure aus dem Berufsfeld im ganzen Land beraten und unterstützen.

Bei all der Jungen-Förderung, soll jedoch eines nicht passieren: "Die Förderung von männlichen Erziehern darf nicht mit einer Abwertung des weiblichen Personals einher gehen", sagt Michael Cremers. Das Ziel ist dennoch klar: In Zukunft soll der Erzieherberuf keine Frauendomäne mehr sein.

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