Erstes Fazit in Bayern:Vorsicht, G-8-Baustelle!

Mehr Durchfaller, aber auch mehr Top-Noten: Das erste G-8-Abitur in Bayern ist durch. Doch für die Politik gibt es noch viel zu tun.

Tina Baier

Nicht nur der bayerische Kultusminister, auch die Lehrer und sogar die Schüler waren überrascht vom Abiturergebnis des ersten G-8-Jahrgangs im Freistaat. Fast dreimal so viele Schüler wie sonst sind durch die Prüfung gefallen, und hätte Ludwig Spaenle (CSU) nicht im letzten Moment eingegriffen und die Hürde gesenkt, wären es noch viel mehr gewesen. Gleichzeitig gab es 40 Prozent mehr Schüler mit hervorragenden Abiturnoten zwischen 1,0 und 1,5. Die Suche nach den Ursachen läuft im Kultusministerium und an den Schulen auf Hochtouren. Doch eines ist jetzt schon klar: Das G 8 bleibt eine Dauerbaustelle. Die SZ analysiert die Schwachpunkte.

G8-Abiturienten in Bayern starten mit Prüfungen

G8-Abiturienten in Bayern während einer Prüfung im Mai.

(Foto: dpa)

Die Durchfaller

Die Zahl derjenigen Schüler, die durch die Abiturprüfung gefallen sind, hat sich von etwa einem Prozent im G 9 auf 2,8 Prozent im G 8 erhöht. Anders als vermutet, sind schwächere Schüler nicht nur am Angstfach Mathe gescheitert, in dem alle Schüler des G 8 eine schriftliche Prüfung ablegen müssen, sondern wider Erwarten auch an Deutsch.

Fazit: Vor allem schwächere Schüler waren unzureichend auf die Abiturprüfung vorbereitet. Die Gründe:

Die Kernfächer

Vor allem in Mathe und Deutsch reicht die im Stundenplan vorgesehene Zeit kaum aus, um den Stoff durchzunehmen. Zum Üben bleibt oft überhaupt keine Zeit. Die dafür vorgesehenen Intensivierungsstunden werden an vielen Schulen als zusätzliche Unterrichtsstunden verwendet, um irgendwie die Stofffülle zu bewältigen. Ein Problemfall ist die zehnte Klasse, die mit allen möglichen Fächern vollgestopft ist. Für Mathe und Deutsch aber sind nur jeweils drei Stunden pro Woche vorgesehen. Und das, obwohl im G 8 alle Schüler in diesen beiden Fächern verpflichtend eine Abiturprüfung ablegen müssen. Das passt nicht zusammen.

Fazit: Mathe und Deutsch müssen in allen Jahrgangsstufen vier Stunden pro Woche unterrichtet werden, damit die Schüler ausreichend auf die Anforderungen in der Oberstufe vorbereitet werden können. Intensivierungsstunden, in denen geübt wird, muss es zusätzlich geben.

Die zweite Fremdsprache

Übungsstunden in Mathematik und Deutsch wurden auch geopfert, um schon in der sechsten Klasse mit der zweiten Fremdsprache starten zu können. Das war ein Fehler. Viele Kinder sind damit überfordert. Das zeigt die Erfahrung von Eltern und Lehrern. Aber auch die Tatsache, dass die sechste Jahrgangsstufe im G 8 diejenige ist, in der die meisten Schüler durchfallen.

Fazit: Müssen elf- und zwölfjährige Kinder wirklich schon zwei Fremdsprachen lernen? Und das vor dem Hintergrund, dass immer mehr Gymnasiasten Schwierigkeiten mit ihrer Muttersprache Deutsch haben?

Die Ganztagsschule

Die Schüler des G 8 sind den ganzen Tag in der Schule - vor allem wenn wieder zusätzliche Stunden in Mathe und Deutsch eingeführt werden. Da wäre es sinnvoll, den Tagesablauf so zu gestalten, dass Übungs- und Erholungsphasen gleich mit eingeplant werden. Derzeit haben G-8-Schüler an manchen Tagen bis in den Nachmittag hinein ein Hauptfach nach dem anderen und stoßen damit an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit.

Fazit: Das G 8 funktioniert nur als Ganztagsschule.

Lehrer? Einstellen! Methoden? Projektarbeit!

Die Klassengröße

Wer denselben Stoff in weniger Zeit vermitteln will, muss die Zahl der Schüler verringern. Bei Klassenstärken um die 30 Schüler ist individuelle Förderung schlicht nicht möglich.

Fazit: In Abiturfächern darf eine Schülerzahl von 15 bis 20 nicht überschritten werden. In allen anderen Fächern dürfen maximal 25 Schüler in einer Klasse sein. Besonders wichtig sind kleine Klassen in der Oberstufe, damit sich alle intensiv auf das Abitur vorbereiten können.

Der Ausfall von Unterricht

Das Gymnasium ist die Schulart, an der am meisten Unterricht ersatzlos ausfällt. Nach Angaben des Kultusministeriums sind es 3,4 Prozent der Stunden. In Wahrheit dürften es aber viel mehr sein. Der Philologenverband geht davon aus, dass es neun bis zehn Prozent sind. Sogar der Kultusminister hat inzwischen den Verdacht, dass wesentlich mehr Unterricht nicht gehalten wird, als sein eigenes Haus stets angegeben hat. Er hat eine genaue Untersuchung angeordnet, deren Ergebnis allerdings noch auf sich warten lässt. Im kommenden Schuljahr soll es erstmals auch für Gymnasien eine "mobile Reserve" geben: Lehrer also, die für Kollegen einspringen, die längerfristig ausfallen. Doch schon jetzt ist absehbar, dass diese mobile Reserve - wie an den Grundschulen - bereits nach kurzer Zeit aufgebraucht sein wird.

Fazit: Kultusminister Ludwig Spaenle kann nicht von den Schülern Höchstleistungen verlangen und selbst nicht einmal den Unterricht sicherstellen, auf den die Schüler ein Recht haben.

Die Lehrer

Der Einsatz von mehr Lehrern würde viele Probleme des G 8 auf einen Schlag lösen. Das Kultusministerium stellt aber im Herbst nur 405 Bewerber ein. Berücksichtigt man diejenigen Pädagogen, die in Pension oder in Altersteilzeit gehen, reicht das gerade mal aus, um den miserablen Status quo aufrechtzuerhalten.

Fazit: Lehrer, Lehrer und noch mal Lehrer ans G 8.

Die Methoden

Eigentlich sollte mit dem Wechsel vom G 9 zum G 8 auch ein Wechsel der Unterrichtsmethoden stattfinden: weg vom Frontalunterricht und hin zu mehr Praxisbezug. Das hat nicht funktioniert. An den meisten Schulen wird eher mehr als weniger Frontalunterricht gehalten. Vor allem in der Pubertät beginnen viele Schüler, sich dagegen zu wehren, und bleiben auf der Strecke.

Fazit: Um das zu vermeiden, sollte der Lehrplan für die achte und neunte Jahrgangsstufe Rücksicht auf den Ausnahmezustand nehmen, in dem sich Jugendliche während der Pubertät befinden - etwa, indem ein Schwerpunkt auf Projektarbeit gelegt wird.

Das Alter

Die Schüler des achtstufigen Gymnasiums sind ein Jahr jünger als die des neunjährigen Gymnasiums, und das macht im Alter zwischen 16 und 19 Jahren einen großen Unterschied bei der Persönlichkeitsentwicklung. Die Lehrer der Oberstufe bekommen das an allen Ecken und Enden zu spüren, etwa wenn es um die Bearbeitung philosophischer Texte geht.

Fazit: eine flexible Oberstufe einführen. Schüler, die noch nicht so weit sind, dürfen sich drei statt zwei Jahre lang aufs Abitur vorbereiten.

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