Rennfahrerin Jutta Kleinschmidt:"Respekt ist da, sobald man zur Konkurrenz wird"

Frauen und Autos? Da kann sich manch ein Mann einen sexistischen Spruch kaum verkneifen. Diese Erfahrung musste auch die deutsche Rennfahrerin Jutta Kleinschmidt machen, die als erste und bisher einzige Frau die Rallye Dakar gewonnen hat. Ein Gespräch über innere Stärke, zu enge Overalls und Frausein in einer Männerdomäne.

Johanna Bruckner

"Mädchen können das nicht", bekommt die abenteuerlustige Jutta Kleinschmidt bereits als Kind oft zu hören. Weil sie sich für Dinge interessiert, "die eher Jungs gemacht haben": Technik und Sport. Doch sie lässt sich nie beirren, gibt erst Ruhe, wenn sie sich zumindest ausprobieren darf. Ihre beiden größten Leidenschaften begleiten die gebürtige Kölnerin bis ins Erwachsenenalter: Sie studiert Physik und fährt in ihrer Freizeit Motorradrennen. Dann hört sie von der Rallye Dakar, der berühmtesten und zugleich berüchtigsten Wüstenrallye der Welt. Sie ist "sofort fasziniert" und beschließt, eines Tages selbst mitzufahren. 1988 geht sie erstmals als Teilnehmerin an den Start, damals noch auf zwei Rädern. 13 Jahre später gewinnt sie im Rennwagen die Gesamtwertung der Rallye-Dakar. Heute will die 49-Jährige auch anderen Frauen zum Erfolg verhelfen: 2011 hat sie die "Astraia Female Leadership Foundation" mitbegründet, ein Netzwerk von und für Frauen.

RALLYE PARIS - DAKAR SIEGERIN JUTTA KLEINSCHMIDT

Daumen hoch für die beste Dame der Dakar: Als erste und bisher einzige Frau hat die Rennfahrerin Jutta Kleinschmidt 2001 die berühmte Wüstenrallye gewonnen. (Archivbild)

(Foto: DPA/DPAWEB)

Süddeutsche.de: Frau Kleinschmidt, 2001 haben Sie als erste und bisher einzige Frau die Rallye Dakar gewonnen. Gab es jemanden, der Sie in beruflicher Hinsicht inspiriert hat?

Jutta Kleinschmidt: Nein, ich habe einfach immer das gemacht, was ich machen wollte, was ich von innen heraus gefühlt habe.

Süddeutsche.de: Können Sie sich noch an Ihre erste Wüstenrallye erinnern?

Kleinschmidt: Das erste Mal habe ich die Tour als Zuschauerin begleitet - was auch schon verrückt war. Man war ja damals noch überhaupt nicht abgesichert, es gab kein GPS oder Satellitentelefon. Trotzdem war danach für mich klar, dass ich die Rallye unbedingt selbst mitfahren will.

Süddeutsche: Die Vorbereitung auf ein so anspruchsvolles Rennen ist doch sicher sehr zeitaufwendig. Wie haben Sie das mit Ihrem Beruf vereinbart?

Kleinschmidt: Zunächst bin ich parallel in meiner Freizeit Motorradrennen und kleinere Rallyes gefahren. Als ich erfolgreicher wurde, mir ein bisschen einen Namen gemacht hatte, habe ich gemerkt: "Wenn ich besser werden will, muss ich mich auf eine Sache konzentrieren." Da habe ich dann meinen Beruf als Physikingenieurin aufgegeben.

Süddeutsche: Das klingt, als hätten Sie sehr geradlinig auf Ihr großes Ziel hingearbeitet, die Teilnahme an der Rallye Dakar. Ist beruflicher Erfolg planbar?

Kleinschmidt: Wenn man die einschneidende Entscheidung trifft, seinen Job aufzugeben, um ein anderes Ziel zu erreichen, macht es schon Sinn, vorher Vor- und Nachteile abzuwägen. Und vielleicht auch einen Plan B zu entwickeln. Damit man nachher nicht enttäuscht ist, wenn es nicht klappt. Als ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe, habe ich mich hingesetzt und überlegt: Wie kriegst du das jetzt hin?

Süddeutsche.de: Darf man bei der Rallye Dakar gleich selbst hinters Steuer oder muss man sich erst als Beifahrer verdient machen?

Kleinschmidt: Als ich vom Motorradsport kam, bin ich zweimal bei kleineren Rallyes als Beifahrerin mitgefahren. Das habe ich als Lernphase gesehen: Wenn man einen guten Fahrer auf die Finger schauen kann, hilft das natürlich. Aber bei der Dakar saß ich immer selbst hinterm Steuer.

Süddeutsche.de: Haben Sie lieber einen Mann oder eine Frau neben sich?

Kleinschmidt: Ich hatte schon Männer und Frauen als Beifahrer, sehr gemischt. Mit Frauen fahre ich vielleicht ein kleines Bisschen lieber. Die sind verantwortungsvoller, bereiten sich akribischer vor als Männer - was beim Job Beifahrer extrem wichtig ist. Eine Frau verlässt sich ungern auf Zufälle oder Glück; sie versucht, vorab alle Eventualitäten abzudecken. Ein Mann denkt eher: Wird schon irgendwie gehen.

Süddeutsche.de: Gibt es etwas, das Sie an Kolleginnen nervt?

Kleinschmidt: Wenn Frauen ihren Sexappeal ausnutzen, kann das nur böses Blut geben. Bei der Rallye Dakar fahren Hunderte Männer mit und nur wenige Frauen. Natürlich probiert es da der eine oder andere mal - aber da muss man cool und freundlich bleiben. Auf keinen Fall Hoffnungen schüren!

Süddeutsche.de: Was würden Sie Frauen raten, die selbst in den Motorsport gehen wollen?

Kleinschmidt: Es ist wichtig, dass man das, was man anstrebt, auch wirklich will. Es bringt nichts, sich irgendwas einreden zu lassen. Es muss aus einem selbst heraus kommen. Nur dann hat man die Kraft und Energie, sich auch durchzusetzen. Denn man wird öfters mal anecken oder bekommt zu hören: Das kannst du nicht! Das passt nicht zu dir, mach doch lieber was anderes! Da muss man durch und darf sich nicht von seinem Weg abbringen lassen. Auch nicht von Familie oder Freunden.

"Eine Frau gilt schnell als Zicke"

Süddeutsche.de: Männer ziehen ja auch gerne die Fahrkünste von Frauen in Zweifel ...

Kleinschmidt: Klar, man muss sich schon dumme Kommentare gefallen lassen, gerade am Anfang. "Gott sei Dank gibt es in der Wüste keine Parkplätze", und solche Sachen. Da darf man gar nicht darauf hören! Der Respekt ist da, sobald man zur Konkurrenz wird. Wenn man so wie ich als erste Frau in Bereiche vordringt, die vorher von Männern dominiert wurden, ist das natürlich erst mal extrem peinlich für die Männer: Plötzlich ist eine Frau schneller als sie. Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich erkämpfen.

Süddeutsche.de: Achten Sie darauf, was Sie bei der Arbeit anziehen - oder spielt die Klamotten-Frage im Motorsport keine Rolle, weil sowieso jeder im Overall rumläuft?

Kleinschmidt: Es gibt schon Kolleginnen, über die ich mich als Frau wundere und aufrege. Manche Rennfahrerinnen betonen ihren Sexappeal, indem sie knallenge Overalls trage - in denen man sich überhaupt nicht bewegen kann. Fürs Autofahren absolut ungeeignet! Da muss ich mich nicht wundern, dass ich nicht ernst genommen werde! Man soll sich nicht vermännlichen, das wäre auch nicht richtig. Man kann Frau bleiben, nur eben nicht im supersexy Outfit.

Süddeutsche.de: Männern wird nachgesagt, dass sie auch mal die Ellenbogen ausfahren, um beruflich voranzukommen. Denken Sie, dass man sein Verhalten bis zu einem gewissen Grad anpassen muss, wenn man in Männerdomänen vorankommen will?

Kleinschmidt: Nein, das glaube ich nicht. Aber man muss seine Meinung durchsetzen, wenn man sich im Recht glaubt, und man muss seine Wünsche verfolgen. Wer nur ja und amen sagt, kommt nicht voran. Man kann Diskussionen und kleinen Machtkämpfen nicht durch Freundlichkeit aus dem Weg gehen, sondern muss sich ihnen stellen. Sonst wird man überfahren. Das Problem ist: Wenn ein Mann das tut, wird er als toller Typ wahrgenommen. Eine Frau gilt dagegen schnell als Zicke. Das ist mir auch so ergangen, damit muss man leider leben.

Süddeutsche.de: Angela Merkel, ebenfalls studierte Physikerin, wurde lange als "Kohls Mädchen" bezeichnet. Können Sie sich erinnern, wann Sie als Frau angesprochen wurden?

Kleinschmidt: Ich könnte jetzt kein konkretes Jahr benennen. Ich glaube, das hängt mit zwei Dingen zusammen: Alter und Erfolg. Wobei man durchaus noch bis 40 als Mädchen angesprochen wird. Es ist auch nicht so, als hätte sich das schlagartig mit meinem Dakar-Sieg geändert - aber es wird immer weniger. Und die Bundeskanzlerin würde heute wohl niemand mehr als Mädchen betiteln.

Süddeutsche.de: Hatten Sie schon mal das Gefühl, Sie kommen nur deshalb beruflich nicht voran, weil Sie eine Frau sind?

Kleinschmidt: Ja, gerade im Motorsport habe ich das erlebt. Da bekommen die Männer im Team das bessere Material, weil sie vermeintlich schneller sind. Nach dem Motto: Ist zwar schön eine Frau dabeizuhaben, aber es reicht ja, wenn die Vierte oder Fünfte wird. Hauptsache wir haben die PR. Natürlich wird es einfacher, wenn man mal gewonnen hat - auch mit minderwertigem Material, wie in meinem Fall. Aber der Status als Frau muss nicht zwangsläufig ein Nachteil sein: Ich habe mein Geschlecht bei der Sponsorensuche auch ganz gezielt eingesetzt. Als einzige Frau, die vorne mitfährt, konnte ich potentiellen Kunden eine größere Aufmerksamkeit versprechen.

Süddeutsche.de: Und im Privaten: Wird man als Frau in einer Männerdomäne wie dem Motorsport von gemeinsamen Freizeitaktivitäten ausgeschlossen?

Kleinschmidt: Im Gegenteil! Ich war beispielsweise schon zu Abendessen mit Scheichs eingeladen, bei denen normalerweise keine Frauen anwesend sind. Ich war immer eher eingegrenzt als ausgegrenzt: Weil ich mich für Technik begeistert habe, bin ich damals auf eine Knaben-Realschule gegangen. Danach war ich im Physikstudium an der Fachhochschule fast die einzige Frau. Nach einer Weile haben die Jungs beziehungsweise Männer mich gar nicht mehr als Frau, sondern eher als Kumpel gesehen. Insofern war ich bei vielen Sachen dabei, von denen Frauen sonst ausgeschlossen werden.

Süddeutsche.de: Gab es etwas, auf das Sie für Ihre Karriere verzichten mussten?

Kleinschmidt: Natürlich kann man sagen, dass ich heute - im Gegensatz zu vielen anderen Frauen - keine Kinder habe. Aber darauf habe ich nicht verzichtet. Mir war mein eigenes Leben, mein Beruf einfach immer wichtiger. Ich war auch ohne Kinder ausgefüllt.

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