Erfahrungen sammeln:Der Feind in meinem Büro

Lesezeit: 3 min

In einem Reality-Training sollen Führungskräfte unter Stress möglichst authentische Konflikte meistern.

Chris Löwer

Um die Kronau Druckmaschinen AG ist es nicht sonderlich gut bestellt. Das Auftragsbuch der Kölner Traditionsfirma wird immer dünner. Externe Berater sollen nun die Wende bringen. Sie wollen ein "Customer Relationship Management-System" einführen, damit künftig professionell um die Gunst neuer Kunden gebuhlt wird.

Doch Vertriebsleiter Torsten Kronau, Enkel der 75-jährigen Firmenchefin und designierter Nachfolger, hält den Projektleiter schon nach dem ersten Tag für "eine glatte Fehlbesetzung".

Und während der hoch motivierte IT-Leiter für die neue Software kämpft, tritt der Controller auf die Bremse. So versanden die Besprechungen in gleichbleibender Uneinigkeit, dabei soll in drei Tagen eine Lösung präsentiert werden.

So realitätsnah das alles klingt - eine Firma namens Kronau Druckmaschinen AG gibt es gar nicht. Die vermeintliche Firma residiert zwar in einer Büro-Etage in der Kölner City, und die Chefin und ihre Mitarbeiter kennen sich auch mit Projektmanagement aus, doch sie alle sind Angestellte der Unternehmensberatung CPC.

Die hat das so genannte "Reality- Training" erfunden, eine neue Spielart der Führungskräfteentwicklung.

Das Credo des Reality-Trainings: Erfahrung kann man nicht lehren, man muss sie sammeln. "Unser Konzept leistet das, was Workshops, Seminare und Rollenspiele nicht schaffen - unter realistischen Bedingungen zu handeln", sagt CPC-Berater Clemens Heisinger.

Eine Realität, in der dauernd das Telefon klingelt, ein Kunde nervt und Kollegen blockieren, könne auch das beste Rollenspiel nicht simulieren. Doch genau dieser alltägliche Wahnsinn liefert das Grundrauschen für das Training.

Dabei sorgt kein einziger Schauspieler für Stimmung, sondern gestandene Projektmanager und Mitarbeiter von CPC, die sich selbst spielen. "Die Akteure geben den Teilnehmern ein direktes Feedback und sagen ungeschminkt, wie sie sie erlebt haben", sagt Heisinger.

"Es können gefahrlos Situationen ausprobiert werden, bei denen in der Realität schon mal der Kunde abspringen würde", sagt CPC-Partner Gerald Kimmel.

Wenn nämlich der Vertrieb mit der Entwicklung zusammenrasselt, weil dem Kunden mal wieder mehr versprochen wurde als realisierbar ist, oder wenn der Controller seinen Sparauftrag als gefährliche Abmagerungskur begreift und der Chef in der Besprechung unwirsche Reden schwingt. "Die Leute werden sauer gefahren", sagt Heisinger. So sollen sie lernen, später im echten Berufsalltag sich anbahnende Konflikte zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern.

Das gilt auch für das Miteinander der Kollegen und den geschmeidigen Umgang mit schwierigen Charakteren. Während des Trainings kommt es unweigerlich zu kleinen Feindseligkeiten, wenn die Teilnehmer mit arroganten Vorgesetzten, Ehrgeizlingen, Streithähnen oder Schluderern konfrontiert werden. "Das Training schafft eine eigene Wirklichkeit", sagt Kimmel. "Die Teilnehmer haben richtig Ärger. Der Effekt ist, dass sie sich das Gelernte besser einprägen als es bei einer Berieselung im gemütlichen Seminarraum der Fall wäre."

Ein solches Training braucht eine möglichst authentische Umgebung. Die Veranstalter statten daher die eigens angemieteten Büros mit Bildern, Sinnsprüchen an der Wand, leeren Flaschen, Blumen, Ordnern und allerlei Krimskrams aus, ganz so, wie man es von seiner eigenen Arbeitsstätte gewohnt ist. "Wir schaffen eine Atmosphäre, wie sie niemals in einem Vortragsraum entstehen kann, in dem zwei Teilnehmer ein Rollenspiel vorführen und der Rest zuschaut", sagt Heisinger.

Ein Trainingslager besteht in der Regel aus sechs Teams mit jeweils sechs Teilnehmern. Zusammen mit Akteuren, Trainern und der so genannten Reality-Camp-Leitung kommen leicht 60 Mitwirkende zusammen. Sogar einen Hausmeister gibt es.

Damit wird klar, dass der Spaß nicht für ein paar Tausender zu haben ist. Zwischen 80.000 und 120.000 Euro müssen für so viel Realitätsnähe schon hingeblättert werden. Vermutlich hat daher auch noch kein anderer Anbieter das Konzept abgekupfert. Denn der Kreis der Personen, die in einer nachgestellten Wirklichkeit ihren Berufsalltag simulieren dürfen, ist überschaubar.

"Das Training kommt im Grunde nur für erfahrene Führungskräfte in Großunternehmen in Frage, die schon alle Standard-Trainings hinter sich haben", sagt CPC-Berater Heisinger. Bisher kamen seine Kunden aus der Automobil-, Flugzeug-, Finanz- und Druckmaschinenbranche.

Der hohe Aufwand scheint sich zu lohnen. "Traditionelle Trainings sind entweder Vorträge oder im besten Falle Workshops, in denen meist nur einzelne Themen behandelt werden. Komplexe realistische Aufgaben lassen sich so nicht trainieren", sagt Michael Burbach von T-Systems International.

Er hat im vergangenen Sommer ein Reality-Training absolviert und ist davon begeistert: "Ich habe meinem Chef vorgeschlagen, für alle Top-Projektleiter dieses Training zu verordnen." Die ungewöhnliche Wirklichkeitsnähe lobt auch Rudi Ludwig von Siemens: "Ich selbst habe Situationen wie im Training schon erlebt, aber natürlich nicht in drei Tagen." Ludwig würde daraus gar ein Pflichtprogramm machen: "Wenn Siemens meine Firma wäre, müsste jeder Projektleiter diesen Kurs periodisch immer wieder durchlaufen."

© SZ vom 4. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: