Entwicklung von Geräten:Denken wie ein Mensch

Entwicklung von Geräten: Was mach ich nur mit den Schraubenschlüsseln? Charlie Chaplin zeigt schon 1936 in seinem Film "Moderne Zeiten" zum Entsetzen aller, dass Technik nicht für alle selbsterklärend ist.

Was mach ich nur mit den Schraubenschlüsseln? Charlie Chaplin zeigt schon 1936 in seinem Film "Moderne Zeiten" zum Entsetzen aller, dass Technik nicht für alle selbsterklärend ist.

(Foto: imago)

Ingenieurpsychologen versuchen, die Bedienung von Maschinen möglichst logisch zu gestalten - ganz gleich ob es sich um Küchenherde, Autos oder Bagger handelt

Von Christine Demmer

Wenn ein Flugzeugpilot die Landeklappen zu spät ausfährt und die Maschine deshalb ungebremst auf dem Rollfeld aufsetzt und womöglich gegen einen Hangar knallt, spricht man schnell von menschlichem Versagen. Stellt sich aber hinterher heraus, dass die Höhenanzeige aufgrund des Lichteinfalls schlecht lesbar war oder dass die Piloten übermüdet waren, dann fühlen sich Ingenieurpsychologen bestätigt.

Wobei der Begriff nicht missverstanden werden darf. "Wir sind nicht dazu da, um Ingenieure zu therapieren", klärt Professor Sebastian Pannasch von der TU Dresden auf. "Technisch können Ingenieure so ziemlich alles umsetzen. Sie gestalten nach dem, was die Technik hergibt. Aber der Bediener kommt an seine Grenzen." Deshalb sei das Querschnittsfach Ingenieurpsychologie sinnvoll: "Weil ein Psychologe weiß, auf welche Weise Menschen Technik wahrnehmen."

Der "dümmste anzunehmende User" wird gerne verspottet. Zu Unrecht

Dass der Mensch die Technik beherrscht und nicht umgekehrt, steht längst nicht mehr fest. Davon zeugen zahlreiche Unglücke und Beinahe-Katastrophen aus den vergangenen Jahren. Ingenieure spötteln zwar gern über den DAU, den "dümmsten anzunehmenden User". Doch angesichts des Tempos und des Umfangs, mit dem sich die Technik in unser aller Leben breitmacht, kann ein Anwender nur so schlau sein, wie es die Programmierung und die "Usability" von Maschinen und Anlagen zulassen. "Auch wenn es heißt, das war menschliches Versagen, so ist es doch immer ein Zusammenspiel von Mensch und Maschine", sagt Michael Sengpiel. Bis vor Kurzem war er Gastprofessor an der Humboldt-Universität in Berlin, demnächst lehrt er in Lübeck Ingenieurpsychologie. "Beim Umgang mit Technik spielen auch arbeitsorganisatorische und psychologische Aspekte eine Rolle", sagt er, "zum Beispiel Zeitdruck, Stress, hektisch flackernde Lampen. Dann kommt es dazu, dass ein Operateur die falsche Taste bedient." Ist das menschliches Versagen oder hätten die Ingenieure vorher an Murphys Gesetz denken müssen: Alles was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen?

An der Schnittstelle zwischen Technik und Menschen arbeiten Ingenieurpsychologen im Dienst der Hersteller, um Risiken durch den falschen Umgang mit der Technik frühzeitig zu entdecken und auszuschalten. Das selbstfahrende Auto ist ein vielversprechendes Anwendungsgebiet. Kann man sich tatsächlich darauf verlassen, dass ein Fahrzeug in jeder Situation alles richtig macht? Und was heißt "richtig"? So zu entscheiden, wie ein Mensch entscheiden würde? Auch ein unaufmerksamer oder übermüdeter Mensch?

In Immendingen baut Daimler soeben ein Testzentrum für Assistenzsysteme und autonomes Fahren. Gleich um die Ecke in Tuttlingen hat die Hochschule Furtwangen einen Campus. Ab Herbst bilden dort auch Psychologen angehende Ingenieure aus. Weil Stephan Messner nämlich beobachtet hat, dass Daimler das Verhalten von Testfahrern in und nach der fremdbestimmten Fahrt genau analysiert. "Da kam uns die Idee, das Thema Human Factors in das Curriculum aufzunehmen", sagt der Professor. Er ist überzeugt: "Da wird es zukünftig mehr Bedarf geben."

Mit der "Human Factors Psychology" begann das Nachdenken über die Risiken an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals nahmen amerikanische und russische Wissenschaftler, natürlich jede Nation für sich, die Forschung als Teilgebiet der Arbeits- und Organisationspsychologie auf. In der früheren DDR gelangte es rascher an die Hochschulen als in Westdeutschland, weshalb die TU Dresden darin eine lange Tradition besitzt. Aber, was denken denn Ingenieure über die "Ingenieurpsychologie"? "Als ich 2001 damit angefangen habe", erzählt Sebastian Pannasch, "kamen Baggerentwickler auf mich zu. Ich befürchtete, dass die mich nicht ernst nehmen. Aber nein: Die sagten, wir wissen nicht, wie wir den Bagger einrichten sollen, damit die Leute damit umgehen können." Der Psychologe setzte sich in den Bagger und gab Tipps aus verhaltenspsychologischer Sicht. Die Konstrukteure waren erstaunt. Dass man auch anders als sie denken und handeln könnte, war ihnen nicht eingefallen.

An der TU Dresden ist die Lehre von den Human Factors seit 2013 als Pflichtfach im Bachelor- und im Masterstudium der Psychologie eingebunden. An der Humboldt-Universität ist es ein Schwerpunkt des Psychologiestudiums. "Alle unsere Studierenden haben dazu Lehrveranstaltungen", sagt Michael Sengpiel. Die Hochschule Furtwangen am Standort Tuttlingen kommt zwar von der ingenieurwissenschaftlichen Seite, trotzdem werden die Studierenden mit dem Bachelor of Science in Ingenieurpsychologie abschließen. Ingenieurpsychologen dürfen sie sich aber nicht nennen, weil die Berufsbezeichnung "Psychologe" geschützt ist. Das Fach wird auch anderswo unterrichtet. An der Hochschule Ruhr West in Mülheim heißt es "Mensch-Technik-Interaktion", an der TU Ingolstadt "User Experience Design", an der TU München gibt es das Masterstudium "Human Factors Engineering".

Wo sind Ingenieurpsychologen tätig? "In größeren Firmen im Bereich Human Factors", sagt Sebastian Pannasch, "so etwas haben mittlerweile alle Hersteller eingerichtet." Für Flugzeug- und Automobilproduzenten sowie die Erbauer von Kraftwerksanlagen ist die fehlerlose Bedienung erfolgsentscheidend. Aber auch die Hersteller von langlebigen Konsumgütern wie Küchenherden ziehen Psychologen zu Rate. "Früher wurde von Ingenieuren eine Maschine oder ein System entwickelt, und am Ende hat dann ein Psychologe draufgeschaut", erinnert sich Sebastian Pannasch. Das sei aber am verkehrten Ende gespart: "Man muss den Psychologen von Anfang an einbinden, damit man wirklich alle Ursachen und Anlässe möglicher Bedienfehler ausschalten kann." Mit dem Vordringen von Industrie 4.0 kommt voraussichtlich ein weiteres Arbeitsfeld auf Ingenieurpsychologen zu. "Auch mit der künstlichen Intelligenz", ergänzt Ingenieurprofessor Stephan Messner. "Die Maschinen werden immer intelligenter und künftig in der Lage sein, Entscheidungen selbst zu treffen. Damit brechen sie in eine Domäne ein, die bisher dem Menschen vorbehalten war."

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