Entspannung am Arbeitsplatz:Jetzt wird auch noch die Mittagspause "optimiert"

Lesezeit: 5 Min.

Pausenangebote wie Yoga, Wellness und Meditation sollen Körper, Geist und Seele der Mitarbeiter guttun - und dem Unternehmen. (Foto: imago/Westend61)

Wellness, Yoga, Mittagsdisco: Immer mehr Firmen wollen ihre Mitarbeiter maximal entspannen. Wem nützt das?

Von Sophie Burfeind

Stellen Sie sich mal vor, in einem Text würde kein Punkt mehr vorkommen. Es wäre eine endlose Aneinanderreihung von Wörtern, es wären Sätze, die sich anfühlten, als dürfe man nicht mehr ausatmen, es wäre ein pausenloser Text. Eigentlich ein Wunder, dass wir den Punkt noch nicht abgeschafft haben.

Denn wir sind ja dabei, das Pausemachen zu verlernen. Wer pausenlos arbeitet, steigt schneller auf, gilt als fleißig und ehrgeizig, überarbeitet sein ist gut fürs Renommee. Als Müßiggänger kann man lange auf Anerkennung warten. Allein das Wort! "Müßiggang". Es könnte auch ein Fremdwort sein. In unserer pausenlosen Welt wird Pausenlosigkeit belohnt.

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Zumindest mit Anerkennung und manchmal auch mit Geld. Der Körper bestraft diejenigen, die zu wenig Pause machen - und das sind nicht gerade wenige. Einer Studie der Krankenversicherung Pronova-BKK von 2016 zufolge macht nur jeder vierte Angestellte eine Mittags- oder Erholungspause, 86 Prozent der Befragten sind gestresst. Die Folgen: 34 Millionen Deutsche haben Schlafprobleme, Burnout ist zur Volkskrankheit geworden, die Anzahl von Fehltagen wegen psychischer Erkrankungen so hoch wie noch nie. Laut der Versicherung DAK sind es mehr als dreimal so viele wie noch vor 20 Jahren. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schätzt, dass Unternehmen diese Ausfälle jährlich 9,5 Milliarden Euro kosten.

Die Pause ist zum Problem geworden.

Drei Milliarden Euro für Wellness am Arbeitsplatz

Weil viele Firmenchefs das erkannt haben, investieren sie zunehmend in ausgefallene Pausenangebote. Das können firmeneigene Wellnesscenter, Fitnessstudios, Meditationskurse, Lunchkonzerte, Power-Nap-Kabinen mit Lichttherapie, Mittagsdiscos oder innerbetriebliche Singstunden sein. Meist fällt das in den Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, mancherorts gibt es auch Feelgoodmanager oder CHOs (Chief of Happiness Officers).

Unternehmen, die sich keine eigenen Entschleunigungstrainer leisten können, haben die Möglichkeit, auf eine Vielzahl von Dienstleistern zurückzugreifen, die die Mitarbeiter massieren, Yoga-Kurse anbieten, oder per Bluttest ihren Stresswert bestimmen. Wenn Sie glauben, Sie seien entspannt - nach so einem Test werden Sie sich umgucken! Es gibt Start-ups, die Apps entwickelt haben, mit denen man das Mittagessen im Restaurant vorbestellen kann, es gibt erste Schlafcafés und neben Slow Food nun auch Slow Watches, die nur noch einen Zeiger haben.

Je pausenloser unsere Gesellschaft wird, desto stärker wächst die Anti-Stress-Industrie. Dem diesjährigen Global Wellness Report zufolge werden weltweit 43 Milliarden Dollar mit Wellness am Arbeitsplatz verdient, Deutschland ist mit drei Milliarden das Land mit den dritthöchsten Ausgaben. Für 2020 wird ein globaler Umsatz von 55 Milliarden Dollar erwartet.

Die Pause ist also auch zum Geschäft geworden.

Nun geht es bei diesen neuen Pausen aber nicht um irgendwelche Pausen. Es sind Angebote, die Körper, Geist und Seele des Mitarbeiters maximal guttun sollen. (Und ein wenig sollen sie auch den Firmen guttun, gesundes "Humankapital" ist ja lukratives "Humankapital"). Natürlich ist es gut, dass es solche Angebote gibt. Es beschleicht einen aber auch der Verdacht, dass in unserer Selbstoptimierer-Gesellschaft jetzt auch noch die Pause optimiert werden soll.

Da fragt man sich: Ist eine optimierte Pause denn so optimal? Und: Wieso fällt es uns überhaupt so schwer, Pause zu machen?

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"Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die sich über Arbeit in getaner Zeit definiert. Eine Output-Gesellschaft, die zu wenig über den Input nachdenkt", sagt Louis Lewitan, Psychologe und Management-Berater aus München. Dabei sei Leistung ohne Pause nicht möglich, man könne ja auch nicht Auto fahren, ohne zu tanken. "Wir begreifen nicht, wie der Mensch tickt, aber wir glauben zu wissen, wie er funktioniert." Acht Stunden Arbeit, 30 Minuten Pause, dazwischen ein paar Kniebeugen, maximaler Output. Der Mensch sei aber keine Funktionseinheit.

In Augsburg, sagt Lewitan, gebe es eine Sonnenuhr der Fugger mit der Aufschrift: "Nutze deine Zeit". Die Menschen verstehen das heute so: Zeit ist Geld und Pause Zeitverschwendung.

Wer im Büro keine Pausen macht, wird krank. Unterbrechungen müssen sein - etwa am Kickertisch. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Überhaupt, die Zeit: Es ist auch unser Umgang mit ihr, der unsere Pausenprobleme verursacht. Es gab auch Zeiten ohne sie, sagt Karlheinz Geißler. Er ist Zeitforscher, leitet ein Institut für Zeitberatung in München und lebt seit 30 Jahren ohne Uhr. Geißler sagt: "Alles in der Natur ist rhythmisch organisiert, ein Wechsel von Aktivität und Passivität, alles braucht Pausen, auch der Mensch."

Smartphones haben die Pause anstrengend gemacht

Bis zur Industrialisierung, schreibt er in seinem Buch "Time is honey", lebte der Mensch nach den Rhythmen der Natur, war wach, wenn es hell war, schlief, wenn es dunkel wurde. Dann kam die Uhr, die Zeit wurde vertaktet, sollte effizient genutzt werden, die Glühbirne machte auch die Nacht zum Tag. Mit Internet und Smartphone entwickelten sich die Menschen zu Zeit-Multitaskern: immer erreichbar, flexibel, jede Minute wird genutzt. Ziehen Sie auch immer gleich das Handy aus der Tasche, wenn Sie irgendwo warten müssen?

"Computer, Internet und Smartphones kennen keine Pause", sagt Geißler. "Sie müssen die Pause selbst machen, also aktiv gegen die Aufforderung der Geräte arbeiten. Das ist anstrengend." Die Gesellschaft habe nicht nur den Sendeschluss abgeschafft, sondern Anfang und Ende an sich. Und der Mensch hat vergessen, dass er eigentlich ein Pausenwesen ist.

Seit 1994 steht der Anspruch auf Pause für alle im Arbeitszeitgesetz: 30 Minuten bei einer Arbeitszeit bis neun Stunden pro Tag, 45 Minuten für alles darüber. Jahrzehntelang mussten Arbeiter und Gewerkschaften dafür kämpfen, dass sie Pause machen dürfen. Und nun, 23 Jahre später, müssen Unternehmen ihnen die erkämpfte Pause wie Medizin verordnen.

Nur: Besteht bei diesen optimierten Pausen nicht die Gefahr, gleich in die nächste Optimierungsfalle zu geraten? So nach dem Motto: Ich muss meine Pause so sinnvoll wie möglich nutzen, muss danach maximal entspannt oder maximal trainiert sein. Bauen solche Pausen nicht vielleicht mehr Druck auf als ab?

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Nicht unbedingt, sagt Carola Kleinschmidt, Autorin und Burnout-Expertin aus Hamburg. Wie sehr die Angestellten von solchen Angeboten profitierten, hänge von der Pausenkultur des Unternehmens ab. "Mitarbeiter spüren sehr gut, ob das Sportangebot eine freundliche Geste ist oder ob sie es annehmen sollen, damit sie nie wieder wegen Rückenschmerzen ausfallen." Das Entscheidende an einer Pause sei, sich im Kopf von der Arbeit zu distanzieren, also nicht nur mit dem Körper vom Schreibtisch wegzugehen. Wie einem das gelinge, sei weniger wichtig.

Klar ist: Wenn man beim Mittagessen Dienstgespräche führt, nebenher E-Mails schreibt und mit den Kollegen neue Projekte bespricht, klappt das eher nicht. "Pause machen, das klingt so banal, ist es aber überhaupt nicht", sagt Kleinschmidt.

Die ideale Pause? Machen Sie auf der Toilette

Wie also sieht die ideale Pause aus? Experten haben dazu unterschiedliche Meinungen, einig sind sie sich nur in einem: Die Leistungsfähigkeit schwankt in einem etwa 90-minütigen Rhythmus, spätestens dann schaltet der Körper von Konzentration auf Erholung um, die Aufmerksamkeit lässt nach. Dann sollte eine kurze Pause gemacht werden - zusätzlich zu einer Mittagspause. Im Grunde sind das also Raucherpausen, nur dass man nicht rauchen sollte. Ein weiterer Experten-Tipp: Setzen Sie sich mit geschlossenen Augen ein paar Minuten auf die Toilette, da haben Sie Ruhe und sind für sich.

Wer mag, kann sich auch eine Postkarte aus dem Urlaub schreiben, die er dann für ein paar Minuten ansieht, oder am Nachmittag ein Nickerchen machen. Das macht leistungsfähiger. In anderen Ländern gehört das zur Kultur. In Japan etwa ist es ganz normal, auch in Konferenzen zu schlummern. "Inemuri" heißt das, "Anwesenheitsschlaf". In China steht das Grundrecht auf den Mittagsschlaf in der Verfassung.

Sich bei Stress plötzlich zu entspannen, ist aber gar nicht so einfach, weil der Körper im Arbeitsmodus ist. Pausemachen ist also harte Arbeit. Und eines, sagt Carola Kleinschmidt, werde bei der ganzen Diskussion immer vergessen: "Die Pausenkultur hängt stark von den Führungskräften ab. Wenn die vorleben, dass sie keine Pause brauchen, dann machen ehrgeizige Mitarbeiter auch keine Pause." Und dann bringen auch Pausenprogramme nichts.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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