Süddeutsche Zeitung

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:Azubi darf auf Verdacht gekündigt werden

  • Eine Genossenschaftsbank verdächtigt einen Auszubildenden, 500 Euro aus einer Tresorkassette gestohlen zu haben.
  • Es folgt die fristlose Kündigung des Lehrlings - eine sogenannte Verdachtskündigung -, gegen die der junge Mann jedoch juristisch vorgeht.
  • Nun hat das Bundesarbeitsgericht seine Klage in letzter Instanz abgewiesen und die Kündigung damit als wirksam eingestuft.

Der Fall

Ein 25-Jähriger aus Rheinland-Pfalz machte bei einer Genossenschaftsbank eine Lehre zum Bankkaufmann. Am 20. Juni 2011 öffnete der Mann alleine Nacht-Tresorkassetten und zählte das darin befindliche Geld mit einer Zählmaschine. Die Zentralbank stellte für diesen Tag einen Kassenfehlbestand von 500 Euro fest. Sein Ausbilder vereinbarte mit dem Lehrling zwei Gesprächstermine zu dem Thema, die der Azubi jedoch beide Male absagte.

Nach einem zweiwöchigen Urlaub fand am 21. Juli 2011 ein Personalgespräch statt, an dem der Azubi, ein Vorstandsmitglied, sowie der Ausbildungsleiter teilnahmen. Dem jungen Mann wurde vorher weder das Thema des Gesprächs mitgeteilt, noch wurde er auf die Möglichkeit hingewiesen, eine Vertrauensperson zu dem Gespräch hinzuzuziehen. Einen Tag später wurde dem jungen Mann fristlos gekündigt, hilfsweise ordentlich zum 30. September 2011, unter anderem wegen des Verdachts des Diebstahls des fehlenden Betrags von 500 Euro. Nun wird der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht verhandelt, in den beiden Vorinstanzen hatte der junge Mann erfolglos gegen seinen Rauswurf geklagt.

Die Streitfrage

Das Gesetz hat für die Kündigung von Auszubildenden hohe Hürden gesetzt, um den Jugendlichen nicht ihre beruflichen Chancen zu verbauen. So können Lehrverträge nach der Probezeit nur fristlos und aus wichtigem Grund aufgelöst werden. Bislang gibt es noch keine höchstrichterliche Entscheidung dazu, ob eine Verdachtskündigung im Ausbildungsverhältnis zulässig ist.

So argumentiert der Kläger

Der Kläger hält die Kündigungen für unwirksam. Eine Verdachtskündigung in einem Ausbildungsverhältnis sei generell unzulässig. Außerdem sei seine Anhörung unzureichend gewesen. Sein Arbeitgeber hätte ihm zuvor das Thema des Gesprächs mitteilen und ihn auf die Möglichkeit hinweisen müssen, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen. Außerdem sei die Genossenschaftsbank ihrer Dokumentationspflicht nicht nachgekommen, was zur Unwirksamkeit der Anhörung führe, sowie zu einem Beweisverwertungsverbot.

Das Urteil

Auszubildende müssen bereits beim Verdacht einer Straftat mit ihrer Entlassung rechnen. Wie das Bundesarbeitsgericht entschieden hat, müssen Lehrlinge trotz des besonderen Schutzes auch im Ausbildungsverhältnis bei einem dringenden Straftatverdacht mit einer fristlosen Kündigung rechnen (6 AZR 845/13). Das Erfurter Gericht mahnt jedoch eine besondere Sensibilität von Arbeitegeberseite an. Bei einer potenziellen Verdachtskündigung eines Azubis seien die Besonderheiten des Lehrverhältnisses wie das jugendliche Alter der Lehrlinge, ihre charakterliche Entwicklungsstufe und ein gewisser Erziehungseffekt der befristeten Lehre zu berücksichtigen.

Damit ist der junge Mann mit der Klage gegen seine Kündigung in letzter Instanz gescheitert.

  • Was ist eine Verdachtskündigung?

Verdachtskündigungen kommen in der Praxis häufig vor, sagt Nathalie Oberthür von der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein. Oft lässt sich zum Beispiel nicht mit letzter Sicherheit beweisen, dass ein Arbeitnehmer gestohlen hat. Dann kommt die Verdachtskündigung zum Einsatz. Sie kann der Arbeitgeber aussprechen, wenn ein Mitarbeiter dringend verdächtigt wird, seine Pflichten als Arbeitnehmer schwerwiegend verletzt zu haben. Dadurch muss das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer zerstört sein. Das kommt etwa in Betracht, wenn ein Mitarbeiter eine Straftat oder Geheimnisverrat begangen hat. Typisch ist auch, dass jemand vorgegeben hat, arbeitsunfähig zu sein, und nun der Verdacht besteht, dass er blaugemacht hat.

  • Was sind die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung?

Es muss der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung bestehen, erläutert Oberthür. Außerdem muss der Arbeitnehmer vor der Kündigung angehört werden. So hat er die Chance, den dringenden Verdacht auszuräumen. Unterbleibt die Anhörung, ist die Kündigung nicht wirksam.

  • Was kann man gegen eine Verdachtskündigung machen?

Der Mitarbeiter kann gegen die Kündigung Klage erheben. Stellt sich die Entlassung als unzulässig heraus, darf er in den Betrieb zurückkehren. In dem Fall hat sich der Arbeitgeber theoretisch außerdem schadenersatzpflichtig gemacht. Das gilt, wenn er von vornherein nicht von der Berechtigung der Kündigung ausgehen durfte, erläutert Oberthür. Da aber der Arbeitnehmer die entgangene Vergütung rückwirkend verlangen kann, wird sich eher schwer darstellen lassen, welcher zusätzliche finanzielle Schaden sich aus der Kündigung ergeben hat. Praktisch dürfte es deshalb kaum gelingen.

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