"Bevor ich hierher gekommen bin, war ich eine ganze Weile lang arbeitslos", sagt Anna-Lisa Imkeller. Die 26-Jährige steht an einem Stehtisch im Arbeitsraum der Dr. Farassat-Stiftung in Veitshöchheim bei Würzburg. Der Tisch ist übersät mit Klebezetteln, Stiften und Unterlagen. Auf einem Regal dreht sich das Modell eines Windrads, an der Wand breitet sich über mehrere große Blätter der Verlaufsplan ihres Projekts aus.
Imkeller ist hochbegabt, ausgebildete Fachinformatikerin - und fand dennoch lange Zeit keinen Job. "Weil ich den Mund nie aufgekriegt habe", sagt sie. Wenn sie eine Frage hatte, habe sie erst eine halbe Stunde im Internet nach einer Lösung gesucht, bevor sie sich getraut habe, einen Kollegen zu fragen, erzählt sie.
Rückzug ist ein typisches Symptom bei nicht geförderter Hochbegabung, gerade bei Frauen. "Mädchen horchen viel mehr in sich herein und versuchen, sich mit der Situation zu arrangieren", sagt Wolfgang Schneider, Begabungspsychologe an der Universität Würzburg. Grundsätzlich durchschauten Hochbegabte Sachverhalte schneller als normal begabte Menschen. Wenn diese Begabung aber nicht gefördert werde, komme es häufig zum Konflikt mit Lehrern oder Kollegen.
Beeindruckt von den Leistungen der Underachiever: Horst Peter Wölfel, Inhaber von Wölfel Engineering.
(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)Das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden, kann Hochbegabte zu "Underachievern" machen. So bezeichnen Wissenschaftler Menschen, deren hohe Intelligenz im Gegensatz zu ihren unterdurchschnittlichen Leistungen steht. Etwa jeder zehnte Hochbegabte wird zu einem solchen Underachiever, schätzt Schneider. Um das zu verhindern, wollen Bund und Länder in den nächsten zehn Jahre 125 Millionen Euro investieren. Damit sollen hochbegabte Kinder in der Schule besser gefördert werden.
Bildungsforscher Schneider hat in einer vergleichenden Untersuchung bei mehreren Hundert Schülern in Bayern und Baden-Württemberg die Wirkung von speziellen Klassen für Hochbegabte untersucht. "Gerade für Underachiever können Begabtenklassen eine wertvolle Maßnahme sein", sagt er. Denn dafür, dass jemand nach der Schule seine Potenziale nicht ausschöpfen kann, "können ungute Erfahrungen in der Schule schon eine wichtige Rolle gespielt haben".
Besprechung in einer Technologiefirma: Die Hochbegabten arbeiteten sechs Wochen an einem Projekt über Schallwellen von Windkraftanlagen.
(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)Erwachsene Underachiever, die teilweise ihr Studium abgebrochen haben, nicht ins Berufsleben finden oder wieder herausgefallen sind - dieses Thema steht nicht auf der politischen Agenda. Die Dr. Farassat-Stiftung ist das einzige Institut in Deutschland, das sich um diese Gruppe kümmert. Ihre Arbeit habe mit der viel beschworenen Elitenförderung nichts zu tun, sagt Geschäftsführer Reinhard Foegelle: "Unsere Leute sind keine Aushängeschilder."
Anna-Lisa Imkeller und zwei Projektkollegen sind die ersten, die einen Lehrgang der Stiftung durchlaufen haben. Begleitet von einer Persönlichkeitstrainerin arbeiteten sie sechs Wochen lang für das mittelständische Technologieunternehmen Wölfel Engineering. "Wir waren sehr positiv erstaunt über das Ergebnis", sagt Inhaber Horst Peter Wölfel.
Als interdisziplinäres Team aus einem Physiker, einem Ingenieur und der Informatikerin Imkeller untersuchten sie Schallemissionen von Windrädern. Sie entwickelten ein System, in dem Sensoren von Wänden zurückgeworfene Schwingungen messen, wodurch Schallwellen sichtbar werden. "Das hat auch unsere Experten beeindruckt", sagt Wölfel.
Mit den gemachten Erfahrungen hat Imkeller inzwischen wieder eine Stelle gefunden. In einer Agentur arbeitet sie als Programmiererin. Den Grund kann die 26-Jährige in wenigen Worten zusammenfassen: "Ich bekomme jetzt den Mund auf."