Endstation Staatsprüfung:Ungelöste Fälle

Langes Studium und kein Abschluss: Wie Jurastudenten, die durchs Examen fallen, nach einem Neubeginn suchen.

Von Steffi Zenke

Sie würden nun "keine Freunde" mehr, sagt Marion Kutscher (Name geändert), das Recht und sie. Eine vornehme Umschreibung ist das für das Verhängnis, mit dem die junge Frau nun klarkommen muss: Bereits zum zweiten Mal ist sie durch die erste Juristische Staatsprüfung durchgefallen. 0,23 Punkte sind es, die ihr "zu ihrem Glück", zum Bestehen, gefehlt haben. Nochmals wiederholen kann sie nicht mehr; so schreibt es das Gesetz vor.

Eiskalt erwischt

Sieben Jahre hat die 27-Jährige Jura studiert, Scheine gemacht - und steht nun ohne Abschluss da. Über Nacht ist für sie eine Welt eingestürzt. Dabei sei das Studium am Anfang für sie wie am Schnürchen gelaufen. "Ich habe meine Scheine im Öffentlichen Recht, im Zivil- und Strafrecht bestanden, alle ohne große Schwierigkeiten." Nur eben am Schluss, so erzählt sie, "hat es mich jetzt eiskalt erwischt".

Fälle wie der Marion Kutschers gehören zum Alltag an Deutschlands Juristischen Fakultäten. Denn durchzufallen ist leicht: 2440 Studenten traten allein in Bayern im letzten Jahr zur Prüfung an, stattliche 31,1 Prozent von ihnen scheiterten, in München waren es 32,6 Prozent. Im Jahr zuvor lag die Durchfallquote sogar noch etwas höher. Für viele angehende Juristen ist die berufliche Karriere so zuende, bevor sie begonnen hat.

Zu viel ist zu wenig

Gründe für die persönliche Niederlage erfahren die wenigsten Studenten, die Frage nach dem Warum quält die gescheiterten Prüfungskandidaten. Auch Marion Kutscher kann sich ihr schlechtes Ergebnis kaum erklären. "Schließlich bin ich ja nicht blöd, ich konnte wohl das viele Wissen, das in meinem Kopf herumschwirrt, nicht umsetzen."

Eine Umfrage unter Universitätsprofessoren und Rechtspraktikern - den Korrektoren der ersten Juristischen Staatsprüfung - hat genau das ergeben: Deutsche Jurastudenten lernen viel zu viel auswendig, ihr Detailwissen ist immens, aber das juristische Verständnis, die Fähigkeit, das Erlernte auf einen Fall anzuwenden, oft nicht ausreichend, so die Experten. Ein Problem, das die Universitätsausbildung mit sich bringt.

Ein in Bayern vor drei Jahren eingeführtes bundesweites Modell, eine Zwischenprüfung nach dem dritten oder vierten Semester, soll jetzt in Zukunft schon frühzeitig die Spreu vom Weizen trennen und die Durchfallquote am Schluss senken. "Bisher konnten die Studenten während des Studiums alle Prüfungen so oft wiederholen, wie sie wollten, die Leute ohne Talent wurden aber nicht nach ein paar Semestern ausgesiebt", erklärt Ulrike Müller vom Bayerischen Landesjustizprüfungsamt in München, das die Juristische Staatsprüfung abnimmt. Andere sehen das Problem eher darin, dass die Universität ausbildet und eine staatliche Behörde prüft.

Das neue Zwischenprüfungsmodell kommt für Marion Kutscher und viele andere jedoch zu spät. Sie müssen sich jetzt nach 14 oder mehr Semestern umorientieren und nach beruflichen Alternativen Ausschau halten. Es wäre wichtig, im Studium neben der Vermittlung von Fachwissen viel mehr Wert auch auf Zusatzqualifikationen wie Sprachen oder EDV-Kenntnisse zu legen, sagt Harro Honolka von der Beratungsstelle "Student und Arbeitsmarkt" an der Universität München (LMU). Dann stünden die Studenten nach erfolglosem Studium nicht ohne Alternativen auf der Straße.

Welche Nöte und Sorgen die gescheiterten Jurastudenten plagen, weiß Berufsberaterin Sibylle Schwartzkopff ganz genau. Was kann ich? Was will ich? Welcher Beruf passt zu mir? Die diplomierte Volkswirtin hilft ihnen, diese Fragen zu beantworten. Zwei Mal im Jahr - jeweils nach der Bekanntgabe der Examensnoten - leitet sie den Workshop "Staatsexamen, ein Flop?", den das Hochschulteam des Münchner Arbeitsamts veranstaltet. Durch Tipps und Ratschläge versucht Schwartzkopff den jungen Leuten über den ersten Schock hinwegzuhelfen, ihnen neue Impulse mit auf den Weg zu geben und Perspektiven aufzuzeigen. Sie weiß, "in welcher blöden Situation die stecken: Sie haben den Kopf voller Wissen, sind Anfang 30; und dann sagt man ihnen, es war alles umsonst".

Auch Marion Kutscher hat den Weg in die Kapuzinerstraße gefunden und ist froh, mit anderen "über die ganze Sache" sprechen zu können und zu merken, "dass man nicht alleine mit seinem Problem da steht". Gemeinsam mit 14 anderen macht sie sich jetzt Gedanken über die Zukunft. "Am meisten Sorge bereitet mir, dass ich nicht einmal eine Berufsausbildung vorweisen kann", erzählt Marion.

Ein Abschluss muss also her: am besten schnell und mit wenig Kosten verbunden. Darüber sind sich die Teilnehmer des Workshops einig, die oft bei null wieder anfangen müssen. Lehre, berufsbegleitendes Studium oder Volontariat: Wege in die berufliche Zukunft gibt es theoretisch viele. Wer die Nase von Paragraphen und Gesetzen noch nicht voll hat, dem rät Schwartzkopff, das erlernte juristische Wissen zu komprimieren und den Wirtschaftsjuristen per Fernstudium oder auch vor Ort an der Fachhochschule zu absolvieren. "Doch Achtung", warnt die Berufsexpertin, "ein neues Studium bedeutet Stress und Kosten".

Wer den Traum vom so genannten Volljuristen noch nicht begraben und keine Geldsorgen hat, kann auch ins europäische Ausland gehen, dort studieren und sich nach dem Abschluss in Deutschland als Volljurist niederlassen. Eine europäische Richtlinie macht dies möglich. Beliebte Studienländer scheinen die Niederlande und Belgien zu sein. Es gibt jedoch Staaten wie Österreich, die die Aufnahme durchgefallener Jurastudenten von vornherein ausschließen.

Marion Kutscher hat mit dem Kapitel Jura abgeschlossen. "Ich kann die Bücher nicht mehr sehen." Mit der Entscheidung, wie es weitergehen soll, will sie sich aber Zeit lassen. "Mein Entschluss ist ja dann endgültig. Und ich habe jetzt noch etwas Angst, mich wieder auf etwas Falsches zu versteifen", sagt sie.

Bald Abteilungsleiter

Während sie noch grübelt, hat ein anderer Abstand gewonnen und "seine Entscheidung getroffen". Thilo Kunzer (Name geändert) ist glücklich über seinen Job als Junior-Controller bei einem Pharmabetrieb in München. Vor fünf Jahren ist er "das letzte Mal in Jura durchgerasselt". Auch er hat sich nach fünfzehn Semestern Studium mal "minderwertig" gefühlt, mal "erleichtert, dass alles vorbei ist".

Mit einer kaufmännischen Ausbildung im Gepäck kam er erst als Praktikant und später als kaufmännischer Angestellter bei einer privaten Vermögensverwaltung unter. Nebenher absolvierte der heute 35-Jährige die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie München und sattelte so den Betriebswirt noch obendrauf. Nach einigen Zwischenstationen landete er bei seinem heutigen Arbeitgeber. "Und wenn alles gut läuft, werde ich bald Abteilungsleiter", so hofft er.

Thilo Kunzer hat seinen Platz in der Arbeitswelt gefunden. "Einfach war es nicht", gesteht er. "Die langen Gespräche mit den Eltern, mit Freunden und Berufsberatern, und das Gefühl, versagt zu haben, das immer wieder in mir aufkam - das geht schon an die Substanz." Marion Kutscher und den anderen will Kunzer Mut machen: Die Chancen stünden nicht schlecht, dass sich etwas finde, auch wenn sie jetzt nach einer "harten Prüfung" aussehe, die nicht bestandene Juristen-Prüfung.

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