#endlichfreitag zu Perfektionismus im Job:Alles schläft, einer werkelt

Kolumne #endlichfreitag

Feierabend? Kennt der Perfektionist - zumindest gedanklich - nicht.

(Foto: SZ.de/Katharina Bitzl)

Bloße Vollständigkeit hinterlässt bei ihm ein schales Gefühl. Der Perfektionist strebt nach nicht weniger als Vollendung. Leider ist die im Job überhaupt nicht gefragt.

Von Johanna Bruckner

Job-Kolumne #endlichfreitag

Endlich Freitag. Hochgefühl! Ein letzter Gedanke an die verpatzte Präsentation am Montag, ein Erschauern im Rückblick auf das Get-together am Mittwochabend, schnell noch ein Papierkügelchen in Richtung des Kollegen im Polohemd geschnippt: Was Arbeitnehmer im Büro erleben und warum es immer wieder schön ist, wenn die Arbeitswoche rum ist - darum geht es in der Kolumne #endlichfreitag.

Der erste Satz zählt. Wenn der nicht stimmt, kann der ganze Text verloren sein. Okay, das ist vielleicht ein bisschen fatalistisch. Auf den ersten Absatz kommt es an. Der muss die richtigen Reizwörter enthalten, das Kommende andeuten, ohne zu viel zu verraten, und im besten Fall: Bäm - ein Überraschungsmoment! An dieser Stelle hat die Autorin des konkreten Textes schon einen Halbsatz wieder gelöscht. Und überlegt, ob "Bäm" lautmalerisch nicht besser mit drei "ä" zu schreiben wäre ...

Perfektionismus im Job ist in Zeiten der Selbstoptimierung in allen Lebensbereichen ein verbreitetes Phänomen. Mancher würde sogar sagen: ein Leiden. Für diejenigen, die daran erkrankt sind, ist ihr Perfektionismus wie diese gefühlte Ganzjahresgrippe, die man mit allerlei Mittelchen vergeblich zu bekämpfen versucht. Doch das Handicap ist immer da. Die Symptome des 150-Prozent-Anspruchs im Arbeitsalltag: ein gehetzter Blick, fahrige Bewegungen und ein nagendes Gewissen. Das beliebteste Mittelchen im Kampf dagegen: Aufgaben-Priorisierung mithilfe von Listen.

Es gibt handschriftliche Listen in nüchternen schwarzen Notizbüchern. Punkt eins, zwei, drei, wobei das zu Erledigende maximal kurz und konkret formuliert wird. Jedes Abhaken oder - noch besser - Durchstreichen eines Punkts verschafft dem Job-Perfektionisten ekstatische Befriedigung. Leider lässt der Interruptus nicht lange auf sich warten: Am Ende des Tages sind Punkt eins und zwei zwar von der Liste verschwunden, doch Punkt drei hat die Unterpunkte a) bis g) bekommen. Außerdem kleben auf dem Weiß-Schwarz der Notizbuchseite diverse Post-its - der Platz wurde knapp bei all den Details.

Maschineller Pragmatismus gegen überzogenen Selbstanspruch

Mancher Perfektionist pfeffert das auf doppelte Höhe angeschwollene Büchlein (die Post-ist!) irgendwann gefrustet in den Papierkorb und sucht sein Heil in Computerprogrammen. Was ist schließlich pragmatischer als eine von überzogenen Ansprüchen und Selbstzweifeln freie Maschine?

Da wird dann eine "LOP" angelegt, eine "List of Open Points", die einzelnen Aufgaben werden jeweils mit einem Status versehen. Besonders Ambitionierte lassen sich den Bearbeitungsstand am Ende des Arbeitstages als Tortendiagramm ausspucken. Klingt toll, aber man ahnt es, der Perfektionist überlistet sich auch hier selbst. Mit einem "Erledigt" ist er so geizig wie der Schwabe mit Lob. Und selbst wenn die Torte eines Abends voll ist, ist da dieser ewig quälende Gedanke: "Ganz perfekt wäre es natürlich, wenn ..."

Die Präsentation ist inhaltlich auf den Punkt und sauber formatiert - aber fehlen nicht noch ein paar Animationen? Soll ja auch nicht langweilig sein, der Vortrag. Die Marktanalyse ist abgeschlossen, die Liste der wichtigsten Konkurrenten vollständig. Ob man den Kreis nicht doch auf die kleineren Wettbewerber ausweiten sollte?

Bloße Vollständigkeit hinterlässt beim Perfektionisten ein schales Gefühl. Perfekt, das stammt vom lateinischen Begriff "perfectum" - vollendet. Der Perfektionist strebt nach nicht weniger als Vollendung. Er schiebt noch Papierstapel auf Kante und zupft verwelkte Blätter vom Büro-Gummibaum, wenn die Kollegen längst auf dem Sofa vor ihrer Lieblingsserie sitzen. Oder im Yoga-Studio den "herabschauenden Hund" machen.

Dabei weiß er, dass das, was er zu leisten versucht, im Job nicht gefragt ist. Hier ist Effizienz die Maxime. Außerdem wird Teamwork verlangt und das ist ihm ein Graus. Schließlich macht es keiner so perfekt wie er. Eifersüchtig hütet er sein Herrschaftswissen.

Okay, dann sterbe ich halt

"Du wirst noch mal in Schönheit sterben", warnt die wohlmeinende Kollegin regelmäßig. Und Freunde - die er ständig versetzt - haben dem Perfektionisten einen Ratgeber über das Pareto-Prinzip geschenkt. Der italienische Soziologe und Ökonom Vilfredo Pareto fand Ende des 19. Jahrhunderts heraus, dass in Italien 80 Prozent des Einkommens auf 20 Prozent der Bevölkerung fallen. Daraus ging die 80:20-Regel hervor, die auf verschiedene Bereiche angewendet werden kann. Bezogen auf das Berufsleben besagt sie: 80 Prozent unseres Erfolges gehen auf 20 Prozent unserer Bemühungen zurück. Ergo genüge es vollkommen, sich auf die entscheidenden 20 Prozent zu konzentrieren.

Den Perfektionisten graust bei dieser Vorstellung. Während er noch darüber nachsinnt, was ein Prinzip wert ist, das nie auf 100 Prozent kommt, klopft es an seinem Büro. Der Kollege Pragmatiker, der am Montag Projektabgabe hat, steckt den Kopf zur Tür: "Bist du auch noch hier? Es ist Freitagabend! Du kommst jetzt noch mit auf ein Bier! Keine Diskussion."

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