Ende der ständigen Erreichbarkeit:E-Mails nach Feierabend unerwünscht

Die ständige Erreichbarkeit über Smartphone und Tablet-Computer macht immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland krank. Die ersten Unternehmen reagieren auf den Dauerstress und unterbinden E-Mails nach Feierabend. Doch damit ist das Problem noch nicht gelöst.

Alexander Mühlauer

Man soll ja nicht prahlen, aber er hatte es wirklich geschafft: glänzend verhandelt, Vertrag unterschrieben, Büro bezogen und nun bereit, alles zu geben - für seinen neuen Job. Er leitet jetzt den Vertrieb eines großen Buchverlags in Norddeutschland, hat Führungsverantwortung, muss sich beweisen, gerade am Anfang, als Neuer in der Firma. Also schreibt er an einem Samstag eine E-Mail an seine Mitarbeiter, setzt den Chef in "CC", damit der sieht, dass er auch am Wochenende für das Unternehmen da ist.

Doch der Chef sieht das anders. Am Montag zitiert er den neuen Durchstarter zu sich und teilt ihm freundlich mit: "E-Mails nach Feierabend und im Urlaub sind bei uns nicht erwünscht."

Genau so sei es passiert, erzählt ein Kollege beim Mittagessen in der Kantine. Und es stimmt: Viele Chefs denken um. Immer mehr Spitzenmanager großer Konzerne geißeln den E-Mail-Wahnsinn Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendein Boss das Hohelied auf den Feierabend anstimmt. Kaum ein Zeitungsinterview, das ohne die Frage nach der ständigen Erreichbarkeit auskommt.

Jim Hagemann Snabe, Co-Vorstandschef des Softwarekonzerns SAP, sagte der Welt am Sonntag: "Man muss das Handy auch ausmachen können." Kasper Rorsted, Chef bei Henkel sagte dem Handelsblatt: "Ich selbst lese samstags grundsätzlich keine E-Mails." Und Marion Schick, im Telekom-Vorstand zuständig für Personal, schreibt auf der Internetseite des Unternehmens, dass zwar nicht jede Mail, die nach Feierabend geschrieben werde, die Mitarbeiter überfordere, nur: "Als klug Führende mache ich mir aber bewusst, was sie eventuell beim Empfänger auslöst. Daher überlege ich mir einmal mehr, ob ich diese Mail nicht auf den nächsten Arbeitstag verschiebe."

Die drei Führungskräfte sind nicht allein. Das Thema Arbeitswelt beschäftigt Deutschlands Chefetagen Bei Daimler sollen Mitarbeiter von 2013 an entscheiden dürfen, eingehende E-Mails in ihrer Abwesenheit automatisch löschen zu lassen. Der Stuttgarter Autobauer geht damit noch einen Schritt weiter als der Konkurrent aus Wolfsburg. Seit gut einem Jahr schaltet VW seinen Mitarbeitern mit Firmen-Smartphone nach Dienstschluss den E-Mail-Eingang ab. Auch andere Dax-Konzerne nehmen die Datenflut zunehmend ernst. Gewerkschaften wie die IG Metall erkennen eine positive Entwicklung, denn der psychische Druck auf die Mitarbeiter nimmt zu Und hatte nicht Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen erst kürzlich angemahnt, dass eine deutlichere Trennung von Arbeit und Freizeit nötig sei?

Im Zentrum der Debatte steht die Frage, wie Arbeitnehmer dem digitalen Wandel begegnen. Die Last der Informationen wird immer erdrückender, die Zeit, diese zu verarbeiten, immer kürzer.

Nun könnte man sagen: Selbst schuld, wer seine Mails in der Freizeit liest. Doch gerade in Krisenzeiten steigt der Druck, ständig erreichbar zu sein. Man könnte ja etwas verpassen, man könnte ja zu lange mit einer Antwort auf die Frage vom Chef brauchen, man könnte ja - einfach mal abschalten? So einfach ist das für viele leider nicht.

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