Emotionen im Job:Heul doch!

Emotionen im Job: Noch immer werden Gefühlsäußerungen von Frauen am Arbeitsplatz anders bewertet, als die von Männern.

Noch immer werden Gefühlsäußerungen von Frauen am Arbeitsplatz anders bewertet, als die von Männern.

(Foto: Chris Barbalis / Unsplash)

Tränen im Büro sind für Frauen ein Karrierekiller - aber ein Wutausbruch vom Chef ist okay? Wie es die Laufbahn beeinflusst, wenn Menschen Gefühle zeigen.

Von Kathleen Hildebrand

Dass sie nicht so ganz in ihr Team passte, hatte sie schon gemerkt. Nur woran das lag, das wusste Simone Landgreb nicht so recht. Irgendwann stand ihr Jahresgespräch an, es war Zeit für Feedback. Und da kam dann dieser Satz von ihrem Chef: "Du bist so emotional", sagte er und klang etwas gequält dabei. "Deine Mimik verwirrt die anderen."

Simone Landgreb, Wirtschaftsingenieurin, 41 Jahre alt, ist nicht der Typ Mensch, der mit Rationalität nichts anfangen kann. Sie hatte sich über Zeitarbeitsverträge in ihrem Unternehmen hochgearbeitet, nebenher ein Fernstudium absolviert. Mit Zahlen und Prozessen kennt sie sich bestens aus. Heute arbeitet Simone Landgreb längst woanders, aber mit ihrem echten Namen möchte sie trotzdem nicht in dieser Geschichte vorkommen.

Zu emotional also. Und was war mit dem Kollegen, mit dem sie sich ein Büro teilte? Der in Telefongesprächen Lieferanten anschrie, auf eine Art, für die "ich eine Abmahnung bekommen hätte"? Der sei eben so, hieß es über ihn. Das darf man nicht so ernst nehmen. Alle schienen ihn sehr zu mögen, auch die Chefs. Seine Emotionalität ließ man dem Kollegen durchgehen, fand ihn vielleicht sogar sympathisch deswegen, so unverstellt menschlich.

In Zeiten von Burn-out-Präventionsprogrammen und Achtsamkeitsseminaren könnte man meinen, dass ein paar Emotionen auch am Arbeitsplatz niemanden mehr aus der Fassung bringen. Aber das stimmt nicht. Schon gar nicht, wenn es eine Frau ist, die da fühlt und das auch noch zeigt. Denn noch immer werden Gefühlsäußerungen von Frauen am Arbeitsplatz anders bewertet als die von Männern.

Rumbrüllen passt zum Klischee

Eine Frau, die weint, gilt schnell als zu weich. Als nicht tough genug für den Job, den sie doch bitte einfach machen soll. Aber der Mann, der in der Konferenz einen Wutausbruch hat? Der übertreibt es vielleicht, aber wirklich schräg angeschaut wird er wohl in den seltensten Fällen. Wie kann das sein? In einer Welt, in der man als Arbeitnehmer nicht nur in Start-ups und in Kreativberufen bitte als "ganzer Mensch" zur Arbeit kommen soll. Mit allen Leidenschaften und Privatinteressen - denn wer weiß, welche Regungen in einer hochdynamischen Wirtschaft irgendwann einmal nützlich werden könnten?

Ein Anruf bei Hans-Georg Wolff, Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Köln. Es stimme schon, sagt er: "Neue Führungskonzepte setzen auf Kooperation, Achtsamkeit und Mitgefühl. Deshalb ist auch der Ausraster heute nicht mehr gern gesehen." Aber: "Das Rumbrüllen passt zum Klischee des aggressiven, kompetitiven Mannes", sagt Wolff, "und deswegen irritiert es im Arbeitsumfeld nicht so stark wie das Weinen."

Auch dass die Gefühlsäußerungen bei Männern und Frauen nach zweierlei Maß bewertet werden, stimme leider noch immer, sagt Wolff. "Es gibt eine gesellschaftliche Vorstellung davon, wie der ideale Berufstätige aussieht: kühl, rational, kompetitiv." Frauen hingegen gelten ihrem Geschlechterstereotyp nach als emotional, sozial, aufopferungsvoll. "Das heißt", sagt Hans-Georg Wolff, "dass der Mann seinem Stereotyp nach sehr gut in die Arbeitswelt passt. Bei der Frau ist das nicht so." Dem Klischee nach als "weiblich" geltende Gefühle wie Traurigkeit oder Rührung werden deshalb eher als unpassend für den Arbeitsplatz wahrgenommen als "männliche" Gefühle wie Wut.

Dass sich das ändert, dafür sieht Hans-Georg Wolff nur geringe Anzeichen. "Die Situation ist nicht gut. Aber früher war sie noch schlimmer. Einer Frau wird heute immerhin nicht mehr gleich die Kompetenz abgesprochen, wenn sie im Büro Gefühle zeigt. Heute sind die Konsequenzen viel subtiler: Die Sympathie für sie schwindet, man traut ihr keine Führungsfähigkeit mehr zu.

Führungskräfte wollen Klischees bestätigt sehen

Trotzdem sollten Frauen lieber nicht am Konferenztisch ausrasten, um zu zeigen, dass auch sie so aggressiv sein können wie so mancher Mann. Das zeigt eine Studie der Psychologin Victoria L. Brescoll von der Universität Yale aus dem Jahr 2008. Sie untersuchte, wie hoch oder niedrig Versuchspersonen den Status von Frauen und Männern einschätzen, die im beruflichen Kontext bestimmte Gefühle äußern.

Das Ergebnis: Wütenden Männern schrieben sie einen höheren Status zu als solchen, die sich traurig zeigten. Wenn aber Frauen wütend waren, schätzten männliche wie weibliche Probanden deren Status niedriger ein als den der wütenden Männer. Und das unabhängig von ihrem hierarchischen Rang: Sowohl einer weibliche Trainee als auch einer Chefin schrieben sie einen niedrigeren Status zu, wenn sie Wut zeigten, als wenn sie es nicht taten.

Und was ist mit dem weinenden Mann? Auch er bricht mit seinem Geschlechterklischee - und auch ihm schadet das. Allerdings schadet es ihm nicht so stark wie einer Frau, sagt Wirtschaftspsychologe Hans-Georg Wolff: "Bei einem Mann ist man eher bereit, sein emotionales Verhalten auf äußere Umstände zurückzuführen: auf eine Trennung oder auf einen Todesfall. Einer Frau wird die damit verbundene Schwäche als Persönlichkeitsmerkmal angerechnet: Die ist in drei Jahren auch noch so."

Digitale Kommunikation ist männlich

Eine optimistischere Antwort bekommt man auch nicht, wenn man Sabine Kittner-Schürmann nach der Lage der Gefühle in der deutschen Arbeitswelt fragt. Sie ist Gleichstellungsbeauftragte der HSH Nordbank. Manchmal muss sie Einstellungsgespräche unterbrechen, weil die Fragen der Führungskräfte schon zeigen, dass sie das Klischee weiblicher Durchsetzungsschwäche und Weichheit bestätigt sehen wollen. "Da fragt der Chef dann: 'Glauben Sie, dass Sie sich durchsetzen können, wenn Sie alle mitnehmen wollen?' Nur noch eine Minderheit von Führungskräften sagt explizit: Ich will nur Männer", berichtet Sabine Kittner-Schürmann. Aber männeruntypisches Verhalten wolle ihrer Erfahrung nach kaum jemand, weil es nicht als Mehrwert wahrgenommen wird.

"Es gab eine Zeit, da hätte ich gesagt: Es wird besser. Aber aktuell wird wieder versucht, das Thema in die Ecke zu drängen", sagt sie. Dem Klischee nach weibliche Fähigkeiten wie Kommunikationsfähigkeit und Einfühlungsvermögen seien wegen der Dominanz der Dienstleistungswirtschaft eine Weile interessant gewesen. Seit der Digitalisierung werde aber auf anderen Wegen kommuniziert als auf dem persönlichen Weg. "Alles wird technischer, und das heißt: weniger weiblich. Außerdem gilt Gleichberechtigung als gesellschaftlich erreicht, und jeder, der noch darauf hinweist, wird als Spielverderber gesehen."

Sabine Landgreb hat versucht, sich anzupassen. Über die Jahre hat sie Dutzende Coachings, Durchsetzungsseminare und Führungsworkshops besucht. Bei einer dieser Schulungen fragte eine Dozentin: "Kann es sein, dass Sie in einem männerdominierten Umfeld arbeiten?" Ihre Mimik sei so ausdruckslos. Natürlich war sie das. Zu diesem Zeitpunkt hatte Landgreb einen guten Teil ihres Lebens daran gearbeitet, weniger "emotional" zu sein.

Nicht mehr so oft zu lächeln, Wut auf keinen Fall zu zeigen. "Es gibt dafür spezielle Atemtechniken", sagt sie heute und muss dabei ein bisschen lachen. Mit unbewegten Gesichtern kämen die meisten Männer besser klar als mit einer energischeren Mimik, hat man ihr erklärt. Und: Bloß nicht lächeln! Das gelte als Unterwerfungsgeste. Simone Landgreb sagt: "Irgendwann hab ich gedacht: Die spinnen doch alle!"

Wenn Christian Seidel so etwas hört, fängt er an, noch schneller zu sprechen als sonst. Er ärgert sich über solche Ratschläge. Er ist frustriert. Seidel gibt Karriereseminare für Frauen, wie Simone Landgreb sie besucht hat, aber er versucht dabei, alles anders zu machen als seine Coach-Kollegen. Es ist ihm bewusst, dass sein Job eigentlich all die Klischees sehr unangenehm bestätigt, gegen die er sich einsetzt: ein Mann, der Frauen beibringt, wie sie sich im Job zu verhalten haben.

Eigentlich bräuchten die Männer Hilfe

Wenn man ihm zuhört, sind es aber eher die Männer, die Hilfe nötig haben, nicht die Frauen. "Klar sagen auch Männer: Ich fühle. Ich lasse Schwäche zu. Aber das stimmt nicht. Sie tun es nicht. Weil sie im Umgang mit diesen Gefühlen keine Übung haben." Aus dieser mangelnden Vertrautheit heraus urteilten viele von ihnen dann auch Frauen ab, wenn sie in den "falschen" Situationen Gefühle äußern. Und der Job gilt nun mal als absolut falsche Zone für Gefühle. "Ich finde Zum-Gefühle-Zeigen ist keine Situation falsch", sagt Christian Seidel. "Es ist immer okay, ein Gefühl zu zeigen, solange es keinen Menschen psychisch oder körperlich verletzt. Das ist die Verantwortung, die wir haben. Ansonsten sollte alles erlaubt sein."

Christian Seidel will niemanden umerziehen, sondern ermutigen, zu seinen Gefühlen zu stehen. Er sagt: "Wenn es ans Fühlen geht, müssen wir uns unabhängig machen von geschlechtsabhängigen Klischee-Unterschieden und versuchen zu verstehen, dass Gefühle etwas ganz neutral Menschliches sind. Dass 'Schwäche'-Gefühle Frauen und 'Stärke'-Gefühle den Männern zugeordnet werden, damit kommen wir nicht weiter, das ist eine Sackgasse."

Und aus dieser Sackgasse, findet Christian Seidel, gibt es mittlerweile nur noch einen Weg: Auch die Männer müssen sich bewegen. Seit Jahren sehe der Kampf um bessere Geschlechterverhältnisse am Arbeitsplatz aus wie ein Fußballspiel, bei dem nur eine Mannschaft spielt, die der Frauen. Die andere, die der Männer, stehe nur in ihrer Hälfte rum. "Ich kenne kein einziges Gender-Seminar, in das Männer geschickt werden, damit sie lernen, wie man auch auf die Frauen zugeht." Das wäre also mal eine Maßnahme.

Auch Sabine Kittner-Schürmann findet nicht, dass der Ball gerade im Feld der Frauen liegt. "Wir müssen aufhören, so zu tun, als wären die Frauen selbst schuld daran, dass sie in ihren Karrieren nicht so leicht vorankommen wie Männer." Vorerst rät sie Frauen, nicht so "männlich", sondern so authentisch wie möglich zu sein. Denn anders könne niemand seine oder ihre Belange überzeugend vertreten.

Vor Verhandlungssituationen zum Beispiel sollte man sich fragen: "Welche Argumente habe ich? Was ist mir wichtig? Und wie kann ich die passenden zwischenmenschlichen Signale senden, um das zu erreichen?" Sie als Gleichstellungsbeauftragte versuche, den - meist männlichen - Führungskräften immer zu zeigen: Angeblich wollt ihr die Qualifiziertesten. Aber die bekommt ihr nicht, wenn ihr zulasst, dass bei euch unbewusst die falschen Mechanismen ablaufen.

Der Weg in den Chefsessel muss auch mit Emotionen gangbar sein

Auch der Wirtschaftspsychologe Hans-Georg Wolff glaubt, dass der Weg noch lang ist, hin zu einer Gleichberechtigung auch auf solch subtilen Ebenen. "Es gibt in heutigen Familien immer noch oft eine sehr traditionelle Rollenverteilung. Die emotionale Arbeit machen meist die Mütter." Erst wenn man nicht mehr von der Kindheit bis ins Berufsleben solche einseitigen Erfahrungen mache, sagt Wolff, werden sich auch die Erwartungen an die Geschlechter verändern. Das sei zwangsläufig ein zäher, langsamer Prozess. "Wenn man ihn politisch stützen will, dann halte ich eine Frauenquote für gar nicht so falsch."

Sabine Landgreb geht heute wieder gern zur Arbeit. "Ich bin entspannter als früher, lache viel mit meinem neuen Kollegen." Und das liegt auch daran, dass in der Behörde, wo sie jetzt arbeitet, der Frauenanteil sehr viel höher ist als in dem Unternehmen, wo sie früher angestellt war. Wahrscheinlich ist es wirklich so: Erst wenn es normal ist, dass in allen Gesellschaftsbereichen Frauen anzutreffen sind, wird sich die Vorstellung, dass sie die Gefühligen sind und Männer die starken Rationalisten, der Realität anpassen.

Denn der Weg auf den Chefsessel prägt einen Menschen. Er kann nicht darin bestehen, dass man lernt, bloß niemals Emotionen zu zeigen. Wenn das passiert, werden sich die Bilder, die man sich vom Verhalten der Geschlechter macht, nach und nach verändern. Und wenn die Stereotype sich auflösen, dann wird es auch leichter, eine große Bandbreite an Emotionen zu äußern. Bis irgendwann niemand mehr im Mitarbeitergespräch diesen Satz zu hören bekommt: "Du bist so emotional." Denn das sind alle Menschen.

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